Berufseinstieg:Mein erstes Mal

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"Das fängt ja gut an": Wie eine Hochschulabsolventin den Sprung von der Uni in den Arbeitsalltag erlebt.

Judith Meier

An der Uni belügt man sich selbst. Das merkt man erst, wenn man richtig arbeitet. 40 Stunden die Woche, denkt man als Student, das bringe ich ja auch locker zusammen.

(Foto: Foto: iStockphoto)

Von wegen! Auch während des Studiums habe ich immer gearbeitet. Zumindest während der Prüfungszeit hatte ich das Gefühl, dass meine Woche wirklich ziemlich ausgefüllt war. Doch man vergisst dabei, wie oft man sich als Student doch zwischendurch auf einen Kaffee verabredet und die Mittagspause in der Mensa auch mal auf gute drei Stunden ausdehnt. Außerdem kann man hin und wieder auch erst um 11 Uhr in der Früh anfangen mit lernen (Die Begründung lautet dann in etwa: "Gestern ist man ja schließlich schon so überaus fleißig gewesen und wenn man ausgeschlafen ist, kann man sich ja auch besser konzentrieren..."). Über Aussagen das faule Studentenleben betreffend regt man sich natürlich maßlos auf.

Und jetzt? Jetzt sehne ich mich fast nach den alten Uni-Zeiten, die mich am Schluss doch eigentlich nur noch genervt hatten. Ich wollte endlich arbeiten, produktiv sein, mehr Geld haben.

Doch die ersten Tage in der Arbeit laufen nicht so, wie ich sie mir vorgestellt habe. Ich habe noch keinen eigenen Computer und muss die ganze Zeit jemand anderem über die Schulter schauen. Gleichzeitig mit mir fängt noch ein anderer Neuer an. Bei der morgendlichen Sitzung wird er aufgefordert sich vorzustellen, ich werde vergessen - das fängt ja gut an.

Am zweiten Tag muss ich allein in die Kantine gehen. Die anderen waren alle schon, und ich habe es nicht gemerkt. Die Arbeit selbst kommt mir umständlich vor, aber das traue ich mich natürlich nicht zu sagen.

Immerhin: Die Kollegen sind sehr nett und die anfängliche Distanz schwindet schnell. Auch wenn sich alle duzen, sind die hierarchischen Unterschiede zwischen den leitenden Mitarbeitern, den Festangestellten, Ausgelagerten und Freien deutlich zu spüren. Mir wurden gar nicht alle Kollegen vorgestellt, aber langsam weiß ich, zu wem man ganz besonders freundlich sein sollte.

Auch wenn ich eigentlich nach acht Stunden mit meiner Arbeit fertig wäre, gehe ich noch nicht nach Hause. Ich möchte mich ja nicht gleich in der ersten Woche als jemand abstempeln lassen, der um Punkt fünf Uhr den Stift fallen lässt. Ob es den anderen genauso geht, oder haben sie wirklich so viel zu tun?

Der späte Feierabend macht sich inzwischen im Kühlschrank bemerkbar. Im Supermarkt war ich schon lange nicht mehr. Aber eigentlich brauche ich das auch nicht: Abends liege ich nur auf der Couch und bin zu nichts mehr zu gebrauchen. Hunger habe ich auch nicht wirklich - die Breze vom Bäcker auf dem Weg in die Arbeit, die eigentlich als Frühstück gedacht war, tut's auch.

Ich müsste dringend mit meiner neuen Krankenversicherung telefonieren, aber wann, zum Teufel, soll man das machen, wenn man nicht das ganze Großraumbüro daran teilhaben lassen will? Nach ein paar Wochen kann ich an einem Tag etwas früher gehen und versuche, solche organisatorischen Dinge zu erledigen. Aber meine Ansprechpartnerin bei der Versicherung ist schon nicht mehr da. Man teilt mir mit, die Kernzeiten im Büro seien 10 bis 15 Uhr! Solche Arbeitszeiten hätte ich auch gern.

Nach ein paar Wochen verabrede ich mich wieder mit meinen besten Freunden - vorher ging das einfach nicht. Ich war nur mit mir selbst beschäftigt, mehr als eine Lebenszeichen-Mail war nicht drin. Die meisten meiner Freunde sind in ähnlichen Situationen und haben Verständnis. Eine Freundin freut sich allerdings regelrecht, dass ich das Arbeiten nicht so leicht wegstecke:

Sie arbeitet schon seit sie 16 ist und hat sich immer ein bisschen geärgert, dass die "faulen" Studenten sich nachmittags zum Kaffeetrinken verabreden konnten. Jetzt ärgere ich mich selbst ein bisschen darüber - doch mittlerweile bin ich auch froh, nicht mehr in der Bibliothek zu sitzen.

Jeden Tag freunde ich mich mehr mit meiner neuen Lebenssituation an. Das Tollste daran ist eigentlich, dass man nicht mehr dieses permanent schlechte Gewissen hat: Während des Studiums hatte man nie genug gelernt und es gab immer Sachen, die man hätte tun oder vorbereiten müssen.

Auch wenn ich es noch nicht gelernt habe, Abends und am Wochenende von der Arbeit abzuschalten, kann ich die freie Zeit nun ganz anders genießen - ohne den ständigen Gedanken "eigentlich müsste ich ja noch lernen". Und in der Zeit, die man hat, kann man sich auch mehr leisten und mal Essen gehen. Die "Pizza-Margherita-und-ein-kleines-Spezi"-Zeiten sind vorbei.

Eine Wahl habe ich nun sowieso nicht mehr, das Arbeitsleben hat mich gekriegt. Aber ich bin froh, dass ich vorher so richtig ausgiebig studiert habe.

Die Autorin hat Soziologie studiert und arbeitet seit drei Monaten in einem internationalen Konzern. Für die Jobsuche hat sie sechs Monate gebraucht.

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