Berufseinstieg:Die Job-Metamorphose

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Mehr Geld, weniger Freunde und häufiger Rückenschmerzen: Mit dem ersten Job ändert sich einfach alles. Fünf Berufseinsteiger erzählen über den Wechsel zwischen Uni und Arbeitsleben.

Stefan Siegfried

Taufen, Hochzeiten, Predigten, Gottesdienste und Beerdigungen abhalten, Gemeindemitglieder besuchen, seelsorgerische Gespräche führen - in Martin Ringhofs Leben hat sich so einiges verändert, nachdem er das Theologie-Studium in München abgeschlossen hatte. Seit Herbst 2005 absolviert er einen zweijährigen Pastoralkurs im Pfarrverband Gaißach-Reichersbeuern in der Nähe von Bad Tölz. Im vergangenen Jahr wurde er Diakon, Ende Juni wird er zum Priester geweiht. "Während des Studiums war die Arbeit, die ja hauptsächlich aus Lesen, Schreiben und Denken bestand, gleichförmiger", sagt der 31-Jährige. "Heute geht die Zeit viel schneller vorbei, wenn man mehrere Termine an einem Tag hat, ständig unterschiedliche Menschen trifft und dafür immer wieder den Ort wechseln muss.'"

(Foto: N/A)

Der Übergang vom Studium zum Beruf ist ein Paradigmenwechsel. Plötzlich hat man zwar Geld, aber mindestens acht Stunden am Tag - meist sogar mehr - sind komplett ausgefüllt mit Arbeit. Oft ist man abends zu erschöpft, um auszugehen, und, wie früher, die Nächte durchzufeiern. Am nächsten Morgen muss man schließlich früh raus und kann nicht mehr eine Vorlesung einfach mal so über sich ergehen lassen.

Anstelle von Hausarbeiten, Klausuren und Prüfungen treten Meetings und Projekte mit Deadlines, anstelle von Kommilitonen die Kollegen, anstelle von Professoren, die man ja eher selten zu Gesicht bekam, Vorgesetzte, die man jeden Tag sieht. Plötzlich hat man Verantwortung für andere, zumindest mehr als früher. Der Beruf - das merkt man schnell - verändert nicht nur den Alltag, sondern auch die Persönlichkeit.

"Was man als erstes merkt, ist, dass man nicht mehr ausschlafen kann", sagt Anne Schnieber. Seit April vergangenen Jahres arbeitet die promovierte Medizinerin bei McKinsey als Beraterin. Zu ihren Kunden gehören Krankenhäuser, Versicherungen und andere Institutionen im Gesundheitssektor. "Mein Tagesrhythmus ist ganz anders als früher." Der Berateralltag erfordert ihren vollen Einsatz: Unter der Woche arbeitet die 29-jährige Berlinerin vier Tage in Stuttgart an einem Projekt, nur am Freitag ist sie zu Hause, da ist "Office Day" - so heißt das bei McKinsey.

"Ich war in meinem ganzen Leben selten so tief in einem Thema drin wie in unserem aktuellen Projekt. Das Abschalten fällt mir da manchmal wahnsinnig schwer. Samstag früh gehe ich dann oft mal ausgiebig shoppen, um wieder an etwas ganz anderes denken zu können." Zwar sei es auch während des Studiums - und besonders während der Promotionsphase - schwer gewesen abzuschalten, aber das war damals noch ihre eigene Sache. Heute sind viel mehr Leute - Kunden, Kollegen, Vorgesetzte - von ihrer Arbeit unmittelbar betroffen als zu Unizeiten. Da Schnieber den Großteil der Woche unterwegs ist, ist auch das Verhältnis zu den Freunden heute anders als früher. "Das hat sich in drei Phasen geändert: Am Anfang haben noch jedes Wochenende alle angerufen und wollten was machen, und ich war häufig zu müde. In der zweiten Phase haben schon weniger Leute angerufen. Und mittlerweile melden sich nur noch die Menschen, die mir auch wirklich wichtig sind - und mit denen treffe ich mich." Das Privatleben sinnvoll zu füllen, erfordere nun mehr Organisation als früher: "Man kann sich nicht mehr ständig mal so auf einen Kaffee verabreden."

Das Verhältnis zur Freizeit hat sich insgesamt verändert, bestätigt Steffen Wiegmann, der seit dem vergangenen Jahr im Deutschen Auswandererhaus, einem Museum zur Geschichte der Emigration in Bremerhaven, volontiert. Das fängt bei kleinen Dingen wie Einkaufen und Reparaturen an und geht bis zur Urlaubsplanung. "Plötzlich überlege ich mir, was ich im nächsten Monat an dem und dem Wochenende mache."

(Foto: N/A)

Mit dem Wechsel vom Hörsaal auf den Arbeitsplatz muss man aber auch das eigene Rollenverständnis neu definieren. "Man ist jetzt Repräsentant", sagt Wiegmann. Als ihn sein Arbeitgeber kürzlich auf einen Kongress nach Pennsylvania in den USA schickte, merkte er: "Einen Vortrag im Auftrag des Museums zu halten ist etwas anderes als ein Referat an der Uni. Man muss nun sein Thema und die Institution, die man vertritt, auch verkörpern, Rede und Antwort stehen, muss berufliche Kontakte knüpfen, und auch mal - aus beruflichen Gründen - Small-Talk halten. Letzteres ist zwar nicht so mein Ding, aber das Repräsentieren fällt mir leicht, weil ich mich voll und ganz mit dem identifiziere, was ich mache."

Doch die Freiheit, die er an der Uni hatte, sei schon fantastisch gewesen, sagt Wiegmann, weil er damals in andere Fachbereiche reinschnuppern konnte. Während seines Volontariats promoviert der Historiker noch nebenher.

"Schade ist es, dass ich nicht mehr genug Zeit habe, alles so perfekt zu machen, wie ich es gerne möchte", sagt Dana Wetteborn, Ingenieurin bei EADS in Ottobrunn bei München. "Ständig gibt es irgendwelche Meetings, und darauf möchte ich mich auch vorbereiten, weil ich Entscheidungen ja in die richtige Richtung lenken will." Oft aber bleibe nicht die Zeit dafür.

Diakon Ringhof findet, dass auch das sein Gutes hat: "Die Textarbeit während des Studiums war doch häufig - auf gut Bayrisch gesagt - eine Tupferlscheißerei. Hier noch eine Fußnote, da noch ein Zitat. Wenn ich heute einen Artikel für den Pfarrbrief schreibe, muss der nicht hundertprozentig nach allen Seiten wissenschaftlich abgesichert sein, erfüllt aber doch seinen Zweck. Und es ist viel befriedigender, weil man gleich eine Reaktion von den Lesern erhält."

"Das Tolle ist, dass man nicht mehr nur zuhören muss, sondern selbst etwas tun kann", sagt Gabriele Prey, seit vergangenem Jahr als Trainee im Vertrieb bei Bertelsmann in München. "Ich habe heute mehr Erfolgserlebnisse in einer kürzeren zeitlichen Abfolge. Die Ergebnisse meiner Arbeit sind unmittelbarer, wenn etwa ein Auftrag reinkommt, der Umsatz steigt oder der Kunde mich lobt, dass er gut betreut wurde." An der Uni habe man länger auf Rückmeldungen warten müssen. Die Arbeit gebe einem mehr Selbstvertrauen, sagt die Soziologin, auch wenn sie jetzt komplett auf sich gestellt sei und insgesamt mehr Verantwortung habe.

Ernster sei sie geworden, meint Ingenieurin Wetteborn - das sagen auch ihre Freunde. Seit Oktober 2005 arbeitet die 26-Jährige nun bei EADS, sie hat ihren Traumjob gefunden. "Früher habe ich einfach drauflosgemacht und vieles ausprobiert. Heute versuche ich mir über die Dinge klarzuwerden, die mir wirklich wichtig sind, und überlege zweimal, ob ich etwas brauche oder nicht und ob es den Zeitaufwand wirklich wert ist." Die Trennung von Beruf und Privatleben fällt Wetteborn und auch den meisten anderen schon sehr schwer: "Ich gehe oft abends nach Hause und denke weiter über die Arbeit nach."

Natürlich ändern sich mit dem Berufseintritt auch die Gesprächsthemen im Freundes- und Bekanntenkreis. Plötzlich macht man sich Gedanken über Altersvorsorge, Versicherungen oder über Sinn und Notwendigkeit einer Putzfrau. Oder eben über Probleme auf der Arbeit. "Aber ich versuche das nicht so zuzulassen, auch wenn es manchmal schwierig ist, den Kopf für Privates frei zu haben, wenn ich in Gedanken gerade mal wieder bei der Arbeit bin", sagt Wetteborn.

Ernster, reifer, dankbarer und gelassener werde man, sagt Diakon Ringhof. "Die Schule und das Studium verleiten dazu, dass man etwas infantil bleibt. Jetzt stehe ich selbst in der Verantwortung." Eine strikte Trennung von Berufs- und Privatleben ist für den angehenden Priester nicht denkbar: "Mein Lebenswandel ist nun Teil meines Berufes. Ich kann aus meiner Wohnung nicht mein privates Fort Knox machen."

Eigentlich geht es also nur um eines: das Erwachsenwerden. Man muss sich neu definieren. Was früher wichtig war, ist heute vielleicht nicht mehr ganz so wichtig - oder andersrum.

Und was richtet das Berufsleben sonst noch mit einem an? "Rückenschmerzen", sagt Dana Wetteborn, "man bekommt leider Rückenschmerzen, - weil man ja den ganzen Tag vor dem Computer sitzen muss."

© SZ vom 21.4.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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