Beruflich unterwegs:Wann Reisezeit Arbeitszeit ist

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Dürfen Arbeitnehmer, die beruflich unterwegs sind, für die Reisezeit Überstunden geltend machen? Und dürfen sie diese abfeiern oder bekommen sie die Mehrarbeit ausbezahlt? Rechtsanwältin Ina Reisch antwortet.

SZ-Leser Bert R. fragt: Ich bin Servicetechniker und muss für Lehrgänge häufig mit dem Dienstwagen ins 600 Kilometer entfernte Hamburg fahren. Bei einem zweitägigen Lehrgang sieht das so aus: Ich arbeitete bis mittags und fahre dann nach Hamburg. Zurück geht es am übernächsten Tag um 17 Uhr, Ankunft zu Hause 23 Uhr. Immerhin darf ich am nächsten Morgen ausschlafen und muss erst um neun Uhr statt wie gewohnt um acht Uhr erscheinen. Einen Freizeitausgleich für die Überstunden, also die Fahrtzeit, gibt es nicht. Meine Frage ist nun: Ist dieses Verhalten rechtens? Wenn nein, wie gehe ich dagegen vor?

Wenn der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel vorschreibt, es aber ihm überlässt, wie er seine Reisezeit nutzt, liegt keine Arbeitszeit vor. (Foto: dpa)

Ina Reinsch antwortet:

Lieber Herr R., zunächst ist zu klären: Gelten Ihre Fahrten überhaupt als Arbeitszeit? Erst dann stellt sich überhaupt die Frage, ob Sie für die anfallenden Überstunden einen Anspruch auf Freizeitausgleich haben. Das Bundesarbeitsgericht (BAG) sieht es so: Wenn der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die Nutzung öffentlicher Verkehrsmittel vorschreibt, es aber ihm überlässt, wie er seine Reisezeit nutzt, liegt keine Arbeitszeit vor. Selbst dann nicht, wenn der Mitarbeiter in der Bahn arbeitet. Die Freiheit, auch mal ein Nickerchen machen zu dürfen, schließt eine Beanspruchung aus, meinen die Richter.

Anders dürfte die Lage für diejenigen aussehen, die auf Anweisung des Chefs selbst mit dem Auto fahren. Es spricht einiges dafür, ihre Reisezeit als Arbeitszeit zu werten. Das BAG hat diese Frage bisher allerdings offengelassen. Eindeutig ist die Situation für Mitarbeiter, die hauptberuflich Autofahren wie etwa Berufskraftfahrer oder Außendienstmitarbeiter. Bei ihnen ist die Reisezeit auch Arbeitszeit. Für Sie wäre also zu klären, ob Sie als Servicetechniker Außendienstmitarbeiter sind oder bis auf die Lehrgänge in Hamburg am Standort Ihres Unternehmens arbeiten. In letzterem Fall wäre es wichtig zu wissen, ob Ihr Chef Ihnen die Wahl des Verkehrsmittels überlässt. Entscheiden Sie sich dann nämlich freiwillig für das Auto, liegt keine Arbeitszeit vor.

Sollte Ihre Reisezeit als Arbeitszeit gelten, ist allerdings noch nicht gesagt, dass Sie die Überstunden auch in Freizeit ausgeglichen bekommen.

Ein Wahlrecht zwischen Ausbezahlen und Abfeiern gibt es nicht. Und der Freizeitausgleich muss im Arbeits- oder Tarifvertrag vereinbart werden. Existiert eine solche Regelung nicht, haben Sie üblicherweise nur einen Anspruch auf Bezahlung.

Mein Rat an Sie lautet also: Lassen Sie die für Sie geltenden Verträge und Vereinbarungen prüfen. Es kommt auf die konkrete Ausgestaltung Ihres Jobs an. Erst dann wird klar, ob das Vorgehen Ihres Arbeitgebers rechtens ist. Sollte das nicht der Fall sein, würde ich zunächst das persönliche Gespräch suchen. Manchmal lässt sich so eine Lösung finden. Parallel würde ich mich gut präparieren. Im Streitfall liegt die Beweislast für die Leistung der Überstunden und dafür, dass sie vom Arbeitgeber angeordnet wurden, nämlich bei Ihnen.

Auf eines möchte ich Sie jedoch noch aufmerksam machen: Ihre Arbeitszeiten verstoßen an den An- und Abreisetagen möglicherweise gegen das Arbeitszeitgesetz. Sollte Ihre Reisezeit als Arbeitszeit gelten, arbeiten Sie an diesen Tagen etwa elf bis zwölf Stunden. Erlaubt sind im Regelfall acht bis maximal zehn Stunden werktäglich. Arbeitszeiten darüber hinaus können Sie ablehnen.

Haben Sie auch eine Frage zu Bewerbung, Berufswahl, Etikette, Arbeitsrecht, Karriereplanung oder Führungsstil? Schreiben Sie ein paar Zeilen an coaching@sueddeutsche.de. Unsere sechs Experten beantworten Ihre Fragen im Wechsel. Ihr Brief wird selbstverständlich anonymisiert.

© SZ vom 03.12.2011 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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