Begabungsförderung:Angst, Neugierde oder Langeweile

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Viele Internate versprechen die adäquate Förderung von Hochbegabten, sagt Sebastian Renger. Er rät Eltern, genau hinzusehen, ob das wirklich der Fall ist. (Foto: OH)

Für hohe Intelligenz kann es verschiedene Anzeichen geben. Manche Kinder leiden unter ihrer Begabung. Damit sie ihr Potenzial ausschöpfen können, muss sich erst ihr Selbstbewusstsein entwickeln.

Interview von Christine Demmer

Diplom-Psychologe Sebastian Renger ist Geschäftsführer und wissenschaftlicher Leiter im Deutschen Zentrum für Begabungsforschung und Begabungsförderung (DZBF) im nordrhein-westfälischen Minden. Er berät unter anderem bei der Bildung und Entwicklung von Hochbegabten - bereits Eltern von kleineren Kindern im Alter von sechs oder sieben Jahren.

SZ: Ist ein hochbegabtes Kind in einem Internat besser aufgehoben als in einer Tagesschule?

Sebastian Renger: Das Internat ist nur ein möglicher Weg für hochbegabte Kinder und Jugendliche. Es setzt die Bereitschaft des Kindes voraus, sich auf Zeit von den Beziehungsstrukturen der Eltern zu lösen. Daher muss beim Kind eine gewisse Autonomie und Selbststeuerung vorliegen. Dies zu erkennen, verlangt einen sehr differenzierten Blick auf die Persönlichkeit mit all ihren Bedürfnissen, Wünschen, Zielen und Erfahrungen. Nur dann kann die Entscheidung sicher ausfallen. Hochbegabung ist jedoch kein Entscheidungsfaktor für oder gegen ein Internat.

Wie können Eltern wissen, ob und wann ihr Kind überhaupt bereit ist, in ein Internat zu gehen?

Es will lernen, es ist extrem neugierig. Gleichzeitig beobachten wir, dass der hohe Ehrgeiz nicht immer umfassend in der Regelschule unterstützt werden kann. Dann entsteht beim Kind der ganz eigene Wunsch nach mehr Anspruch im Lernen und Leisten. Es kann in der Hochbegabung aber auch sein, dass sich Leistungsmotivation hinter Leistungsangst versteckt. Solche Jugendlichen zweifeln an sich und müssen erst zu ihrem Potenzial hingeführt werden. Sie müssen an sich glauben.

Zur Hochbegabung und zur Leistungsbereitschaft muss also Selbstbewusstsein hinzukommen?

Ja, sie müssen zu ihrer eigenen Klugheit stehen und sich so akzeptieren, wie sie sind. Selbstverstehen fängt beim Fremdverständnis durch andere an, auch in der Hochbegabung: Erst wenn ich mich durch andere verstanden fühle, kann ich mich auch selbst verstehen. Diese Entwicklung kann im Zusammenleben im Internat schneller vor sich gehen.

Eltern halten ihr Kind aus extrem gegensätzlichen Gründen für hochbegabt: Wenn es lauter Einser nach Hause bringt oder wenn es in der Schule total versagt. Kann ein Internatsbesuch tatsächlich den Knoten lösen?

Nicht zwingend. Um das festzustellen, muss man sich das Kind ganz genau anschauen. Wenn es tatsächlich unterfordert ist - und das kann man mit Tests nachweisen -, lässt sich das unter Umständen durch eine Schulveränderung kompensieren. Das muss aber nicht so sein. Dafür ist das Gespräch mit dem Kind unverzichtbar.

Viele Internate versprechen die spezielle Förderung von hochbegabten Kindern.

Schielt man da nicht mit einem Auge auf Eltern, die in ihrem Kind von klein auf das Genie sehen?

Wir müssen genau hinsehen. Wenn sich Eltern für ein Internat entscheiden, müssen Antworten auf die Frage vorliegen, was an dieser Schule potenziell besser laufen kann als an der Regelschule. Eltern müssen sich in der Gewissheit entscheiden können, dass die Erwartungen des Kindes ans Internat erfüllt werden können.

© SZ vom 10.03.2016 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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