Bachelor-Studium:Die Leistungsfalle

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Prüfungsangst, Lernblockaden, Stressattacken - gerade ehrgeizige Studenten geraten durch den Bachelor unter Druck.

Birgit Taffertshofer

Im ersten Semester lief alles noch gut. Bettina musste zwar hart arbeiten, aber die Noten waren bestens. Erst später konnte sie nicht mehr abschalten, litt unter Schlafstörungen und vermasselte schließlich eine Mathematikklausur. Mit Weinkrämpfen saß die 21-jährige Studentin damals bei ihren Eltern, obwohl sie sich doch auf die nächsten Klausuren hätte vorbereiten müssen. Als ihr der Hausarzt riet, sie solle einen Psychologen aufsuchen, verstand sie gar nichts: Sie hatte doch kein psychisches Problem, sondern nur Schwierigkeiten in ihrem Studium!

Der Stress auf dem Weg zum Bachelor setzt einigen Studenten sehr zu. (Foto: Foto: dpa)

Mit Fällen wie Bettina sind die Therapeuten an Hochschulen immer häufiger konfrontiert: Junge Menschen, die alles besonders gut machen wollen und gerade deshalb scheitern.

Mit dem Bachelor sollte für Studenten vieles besser werden: Schneller und straffer sollte das Studium werden, gleichzeitig sollten die jungen Leute mehr Orientierung und Betreuung erhalten. Doch Deutschlands Hochschulen sind nicht nur Orte planvollen Lernens, sie sind auch Brutstätten von Prüfungsängsten, Schreibblockaden und Stressattacken.

Probleme vorverlegt

Während früher die Studenten erst vor dem Examen um Hilfe schrien, sind viele nun schon am Anfang ihres Studiums am Ende ihrer Kräfte. Dabei geraten sie nicht nur wegen ständiger Prüfungen und überfrachteter Studienpläne unter Druck, sondern auch wegen ihrer übertriebenen Ansprüche an sich selbst.

"Hauptsache schnell und gut" denken viele Studienanfänger. Jede verpatzte Prüfung, jede misslungene Hausarbeit, kurz, jeder Umweg in Richtung Bachelor wird als persönliches Scheitern empfunden. Schließlich fließt jede Zensur in die Abschlussnote ein, und diese entscheidet wiederum, ob der Sprung ins Berufsleben oder ins Masterstudium gelingt.

Viele fürchten, wenn sie nicht zu den Besten gehören, haben sie sich ihre Zukunft für immer verbaut. Stimmen die Ergebnisse in den Tests nicht, ist die Verunsicherung groß. Schon im ersten und zweiten Semester tragen sich etliche Studenten mit dem Gedanken, ihr Studium wieder abzubrechen. Insgesamt gibt jeder fünfte Hochschüler in Deutschland sein Studium vorzeitig auf. Den Staat kostet das jährlich mehr als zwei Milliarden Euro zusätzlich.

Es gibt viele Gründe, sein Studium abzubrechen oder das Fach zu wechseln. Die Politik will vor allem mit mehr Beratung vor dem Studium gegensteuern. Hochschulen sollen in engen Kontakt mit Schulen treten, über Studiengänge informieren und Eignungstests entwickeln. Doch manche Studenten kommen ins Schleudern, obwohl sie sich für das richtige Fach entschieden haben.

Laut Studien leiden 20 bis 25 Prozent der Hochschüler unter psychischen Schwierigkeiten, die sie in ihrer Arbeit beeinträchtigen. Dazu gehören depressive Verstimmungen genauso wie Selbstwertprobleme. Was Wissenschaftler wie Rainer Holm-Hadulla, Professor für psychotherapeutische Medizin an der Universität Heidelberg, aber erst seit Einführung des Bachelors beobachten: Ein Problem nimmt stark zu - die Prüfungsangst.

In der Beratungsstelle in Heidelberg wuchs die Zahl der Hilfesuchenden innerhalb nur eines Jahres um 20Prozent. Auch das Berliner Studentenwerk erreichen immer mehr Anfragen wegen Prüfungsängsten. Gewiss, psychotherapeutische Hilfe in Anspruch zu nehmen stellt immer weniger ein Tabu dar. Hinzu kommt aber auch, dass das Studium heutzutage viele Auslöser für ein seelisches Ungleichgewicht birgt. Der Prüfungsdruck ist durch stetige Leistungskontrollen höher, die Finanzierung wird mit den Studiengebühren schwieriger, und oft kommen Zukunftsängste hinzu.

Vor allem leistungsbereite Studenten stehen unter Druck, beobachtet Wilfried Schumann, Leiter der psychosozialen Beratungsstelle von Universität und Studentenwerk Oldenburg. Die Schule meisterten sie mühelos. Aber sie lernten nie, ihre Arbeit zu strukturieren, Prioritäten zu setzen und auch mal Mut zur Lücke zu zeigen. Schumann nennt das "falschen Perfektionismus". An der Universität lasse sich diese Arbeitshaltung nicht durchhalten. Es gebe Studenten, die schon bei der Vorbereitung zur Prüfung blockieren. Denen könnten Lerntechniken, mehr Teamarbeit und ein besseres Zeitmanagement helfen. Andere benötigten ähnlich wie Spitzensportler ein mentales Training, um in der Prüfungssituation selbst nicht die Fassung zu verlieren.

Die Hochschulen und Studentenwerke haben inzwischen auf die Prüfungsmisere reagiert. Zum einen werden die Studiengänge von externen Agenturen geprüft, und die Hochschulen müssen sich für hohe Abbrecherquoten rechtfertigen, gegebenenfalls Lerninhalte streichen oder verändern. Ferner sind zu den üblichen Studienberatern Psychologen und Psychotherapeuten hinzugestoßen. Ihre Arbeit beschränkt sich nicht mehr auf einzelne Sprechstunden für nervöse Studiosi. Mittlerweile sind regelrechte Kurztherapien möglich. Unterstützt wird diese Arbeit auch von Studenten, die zu Lerncoachs ausgebildet werden.

Im Studentenwerk Mannheim zum Beispiel begleiten Psychotherapeuten Studenten acht bis zehn Wochen vor einer Prüfung individuell. Auch in den anderen Beratungsstellen sind fünf bis zehn Sitzungen pro Student keine Seltenheit mehr. Und diese Einzelgespräche wirken, zeigt eine noch unveröffentlichte Studie der Uni Heidelberg: Die Studenten fühlten sich hinterher nicht nur wohler, sondern auch ihre Studienleistungen verbesserten sich, sagt Holm-Hadulla.

Betreuung für gestresste Studenten

Manchen Hochschulen geht das nicht weit genug, sie halten strukturelle Veränderungen für notwendig, um die Studenten am Studienbeginn nicht zu überfordern. An der kleinen Leuphana-Universität in Lüneburg zum Beispiel ist eine Art Studium generale entstanden. Studienanfänger aller Fächer sollen zunächst ein Semester lang gemeinsam wissenschaftliche Arbeitstechniken erlernen, bevor sie sich für ein Fachstudium entscheiden.

Andere Hochschulen setzen auf ein weniger radikales Programm, um ihren Studenten die Möglichkeit zu geben, sich in den Universitätsbetrieb einzufinden. Sie bieten interdisziplinäre Vorlesungen an oder Veranstaltungsreihen, die Schlüsselkompetenzen des wissenschaftlichen Arbeitens vermitteln sollen.

"Starker Start ins Studium" heißt das Projekt in Oldenburg, bei dem Hochschule und Studentenwerk gemeinsam versuchen, junge Menschen für das Studium zu rüsten. Für 20.000 Studenten stehen heute fünf Therapeuten bereit, eine Besetzung, von der andere Universitäten nur träumen können. Sie bieten Einzelgespräche an, daneben gibt es aber auch Vorträge und verschiedene Workshops für Studenten. "Dort lernen sie die Überlebenstechniken für die Hochschule", sagt Wilfried Schumann. Wie schreibe ich eine wissenschaftliche Arbeit? Wie bereite ich mich auf eine Prüfung vor? Wie teile ich meine Zeit ein?

"Die jungen Leute müssen erst mal lernen zu scheitern", sagt Schumann. Prüfungsvorbereitung hat in den Workshops etwas Spielerisches. Scheitern wird zur Chance.

© SZ vom 29.12.2008/vw - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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