Arbeitsmarkt:Die Mär vom Mangel

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Fachkräfte fehlen, klagen die Arbeitgeber. Dabei sind sie selbst schuld daran.

Nicola Holzapfel

Unternehmen, die neue Mitarbeiter suchen, jammern oft über ihre Bewerber. Mal sind es zu viele, so dass man sich gezwungen sieht, die Bewerbungsmappen in Waschkörben zu stapeln. Mal sind sie ungeeignet, so dass man trotz vieler Interessenten offene Stellen leider unbesetzt lassen muss. Oder aber sie sind zu rar: Es gibt zu wenige Bewerber. In diesem Stadium befinden sich die Arbeitgeber angeblich zurzeit. Schon warnen sie vor einem bevorstehenden Fachkräftemangel.

Ein angehender Industriemechaniker am "Tag des Ausbildungsplatzes", der jährlich stattfindet. An diesem Tag gehen die Arbeitsagenturen in Unternehmen und werben für Lehrstellen. In diesem Jahr wurden so fast 17.000 zusätzliche Ausbildungsplätze geschaffen. (Foto: Foto: dpa)

"Moment mal!", staunt da der Beobachter. Wie kann das sein: Gestern noch zu viel, heute schon zu wenig. Sind all die Jobsuchenden und wechselwilligen Fachkräfte denn alle schon wieder untergekommen? Nein, das belegen ja allein die monatlichen Zahlen der Bundesagentur für Arbeit: Arbeitslosigkeit ist nach wie vor ein Massenphänomen.

Nun kann man gewiss nicht jedes Unternehmen mit diesem Hinweis zur nächsten Arbeitsagentur schicken. Es gibt Berufe und Branchen, in denen ist es schon seit einer Weile schwierig, qualifizierte Spezialisten zu rekrutieren - für manche Ingenieurs- und IT-Berufe trifft das zu.

Abgelehnt

Und doch machen es sich die Arbeitgeber zu einfach, wenn sie jetzt nach der nächsten Greencard-Regelung rufen. Da soll der Zuzug aus dem Ausland richten, was man selbst verbockt hat. Denn eines müssen sie sich vorwerfen lassen: zu kurzfristiges Denken.

Da gibt es Konzerne, die entlassen reihenweise qualifiziertes Personal, um wenig später "händeringend" nach Bewerbern Ausschau zu halten. Da gibt es Unternehmen, die sortieren alle Interessenten aus, die nicht exakt aufs Profil passen. Beispielsweise wird dann einem Architekten, der sich umorientieren will, nicht zugetraut, Fertighäuser zu verkaufen.

"Quereinstieg", das ist in Deutschland noch die Ausnahme. Zu der "Flexibilität", die von den Beschäftigten gerne gefordert wird, sind die Unternehmen in Personalangelegenheiten selbst partout nicht bereit. Dabei geht es gar nicht darum, eine Sekretärin auf den vakanten Posten eines Fahrzeug-Ingenieurs zu setzen. Es gibt genügend Positionen, in denen man sich die notwendigen Fertigkeiten schnell aneignen kann - selbst wenn man zuvor etwas ganz anderes gemacht haben sollte.

Auch bei der Investition in die eigenen Mitarbeiter halten sich die Betriebe viel zu sehr zurück. Seit Jahren werden die Weiterbildungs-Etats heruntergeschraubt. "Lebenslanges Lernen" wird zwar von Arbeitgeber-Seite lauthals gefordert, ist aber offenbar Privat-Sache der Beschäftigten.

Keine Chance

Doch den gravierendsten Fehler, den Unternehmen begehen, ist es den Nachwuchs zu vernachlässigen. Davon zeugt seit Jahren die Lehrstellen-Lücke. Es gibt viel zu wenige Ausbildungsplätze. Selbst wenn die Angebote in diesem Jahr offenbar zunehmen: Noch immer warten hunderttausende junge Menschen in staatlich geförderten Überbrückungsmaßnahmen darauf, ins Berufsleben starten zu dürfen.

An dieser Stelle kommt häufig der Einwand, dass viele Schulabgänger unqualifiziert seien, man sie gar nicht ausbilden könnte. Das stimmt leider zum Teil, und doch reicht es nicht, es bei der Klage zu belassen oder die Schuld den Schulen zu geben. Stattdessen ist Engagement gefordert. Es gibt Unternehmen, die Initiative ergreifen und selbst in die Schulen gehen, um den Schülern Praxiskenntnisse zu vermitteln und Perspektiven aufzuzeigen.

Auch manche IT-Firmen engagieren sich: Sie versuchen an den Schulen mehr Interesse für technische Fächer zu wecken. Sie hoffen, dass sich das später bei der Studienentscheidung der jungen Leute auszahlt und sich mehr Erstsemester für ein ingenieur- oder naturwissenschaftliches Fach entscheiden.

Ein solcher Einsatz zahlt sich nicht gleich morgen aus, aber er zeigt, wie sich mit dem Phänomen "Fachkräftemangel" auch umgehen lässt: aktiv und nach vorne schauend. Nur wer wirklich alles selbst versucht hat, hat ein Recht zu jammern.

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