Arbeiten beim G-8-Gipfel:"Man hat viel zu wenig Luft"

Lesezeit: 3 min

Catherine Gay wird beim G-8-Gipfel eingepfercht in einer Kabine sitzen und dolmetschen. Fehler darf sie dabei nicht machen - es sei denn, ihr Redner will es so.

Nicola Holzapfel

Ohne Dolmetscher wäre der G-8-Gipfel sinnlos: Die Teilnehmer würden sich schlicht nicht verstehen. Catherine Gay übersetzt in Heiligendamm simultan vom Deutschen, Russischen und Englischen ins Französische.

Catherine Gay war schon beim letzten G-8-Gipfel in Deutschland dabei. Sie weiß: Es wird vor allem stressig werden. (Foto: Foto: oh)

sueddeutsche.de: Ist es für einen Dolmetscher etwas Besonderes beim G-8-Gipfel zu arbeiten?

Catherine Gay: Ja. Es ist etwas anderes als über die Einhaltung von EU-Standards oder die Entwaldung zu sprechen. Bei diesen hohen politischen Treffen muss man als Dolmetscher auf jedes Wort achten, das man ausspricht. Für den Redner geht es ja immer darum, seine Interessen zu wahren und dennoch mit anderen zu einem Konsens zu kommen. Das ist eine ganz besondere Spannung und Verantwortung.

sueddeutsche.de: Wissen Sie schon, was Sie beim G-8-Gipfel erwartet?

Gay: Nein. Ich weiß noch gar nichts. Das ist alles auch für uns Dolmetscher unter Verschluss. Es gibt kein Vorbereitungsmaterial. Erst in letzter Minute werden uns die Dokumente in die Kabine gereicht. Aber natürlich bereite ich mich vor. Ich lese viel Zeitung und halte mich über die Themen auf dem Laufenden, die schon absehbar sind.

sueddeutsche.de: Wie muss man sich das Dolmetschen vorstellen?

Gay: Dolmetschen ist Teamarbeit. Ich sitze mit meinen beiden Kollegen in der französischen Kabine. Aktiv mit eingeschaltetem Mikro übersetzen wir etwa 20 Minuten am Stück und dann übernimmt ein Kollege. Danach hören wir mit und bereiten uns auf die nächsten Redner vor.

sueddeutsche.de: Und wenn Ihnen ein Fehler unterläuft?

Gay: Es ist sehr wichtig, auf die Zwischentöne zu achten. Gerade bei politischen Treffen ist die Stimmung im Saal entscheidend. Deswegen bleiben wir in der Kabine, um weiter mitzuhören. Außerdem helfen wir uns und recherchieren parallel füreinander. Dafür gibt es auch Computer in der Kabine. Wir arbeiten also nicht nur mit den Ohren ...

sueddeutsche.de: Aber ganz ausschließen kann man Fehler doch nicht?

Gay: Natürlich kann man etwas missverstehen. Aber man kann sich ja wieder korrigieren. Wenn ein Fehler passiert, kann das auch an einer Unklarheit liegen, die vom Redner beabsichtigt war. Vielleicht wollte er zunächst sondieren, wie eine Aussage ankommt. Abhängig von den Reaktionen, kann er sich dann präzisieren und auch einen Rückzieher machen, indem er sagt: "Das habe ich so nicht gemeint."

sueddeutsche.de: Der spanische Schriftsteller Javier Marias beschreibt in seinem Roman "Mein Herz so weiß" eine Szene, in der ein Dolmetscher einem Staatschef völlig andere Worte in den Mund legt und so einem Gespräch zwischen Politikern plötzlich eine ganz andere, nämlich private Wendung gibt. Müssen sich Politiker auch in der Realität vor so etwas fürchten?

Gay: Nein, das ist absolut unwahrscheinlich. Die Gesprächspartner warten ja gegenseitig auf ihre Antworten. Sie würden ziemlich schnell merken, wenn da etwas schiefläuft.

Außerdem hat man dazu gar keine Zeit. Man hört dem Redenden zu, fängt an zu übersetzen und hört währenddessen weiter zu. Dabei kontrolliert man sich immer selbst. Viele Dolmetscher haben den Kopfhörer nur auf einem Ohr. Mit dem anderen hören sie sich selbst zu.

sueddeutsche.de: Das klingt sehr anstrengend.

Gay: Die Arbeitsbedingungen sind schwierig. Manchmal kommt man an eine physische Grenze. Es ist ja nicht nur die Konzentration, die anstrengt. In den Kabinen ist es unglaublich heiß, man hat viel zu wenig Luft. Bei manchen Einsätzen gibt es kaum Pausen. Manche dauern viel länger als geplant. Mein Eindruck ist auch, dass immer schneller geredet wird.

sueddeutsche.de: Wie gehen Sie mit all diesen Anforderungen um?

Gay: Wir sind keine Maschinen, die wie ein Roboter übersetzen. Da hat jeder seine eigene Strategie. Manche schonen sich und verzichten bewusst auf Gesten oder theatralische Betonung. Aber wenn Angela Merkel eine feurige Ansprache zum Klimaschutz hält, kann man das nicht mit einer eintönigen Mausstimme übersetzen.

sueddeutsche.de: Wie sehr müssen sich Dolmetscher in den Redner hineinversetzen?

Gay: Man kommt schon in die Gedankenwelt des anderen hinein, aber man weiß immer: Das sind nicht meine Gedanken. Man ist sich immer sehr bewusst, dass man nur Vermittler ist.

sueddeutsche.de: Was schätzen Sie an Ihrem Beruf?

Gay: Ich bekomme viel zurück: Viel Wissen - ohne behaupten zu wollen, dass man nach zwei Tagen Dolmetschen schon Experte wäre. Es ist sehr abwechslungsreich. Natürlich gehört auch Neugier dazu. Ich habe zum Beispiel nicht unbedingt einen Ingenieur-Kopf. Aber wenn man zwangsläufig seine Nase auch in solche Sachen hineinstecken muss, erweitert das den Blick, nach und nach ist man immer besser informiert und versteht viel mehr.

sueddeutsche.de: Und wie sieht es mit der Anerkennung aus? Bekommen Sie die?

Gay: (lacht) Nicht immer.

sueddeutsche.de: Freuen Sie sich auf den G-8-Gipfel?

Gay: Wenn ich mir die Demonstrationen ansehe: nein. Das wird wahrscheinlich sehr stressig. Aber es wird auch spannend sein. Das auf jeden Fall.

Catherine Gay, halb Französin, halb Schottin, arbeitet seit 14 Jahren in Deutschland als freiberufliche Dolmetscherin. Sie ist Mitgleid bei AIIC, dem Internationalen Verband der Konferenzdolmetscher.

© sueddeutsche.de - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: