Anwälte der Globalisierung:Der Weg zum Top-Jurist

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Ein anderes Rechtssystem, andere Abschlüsse: Warum deutsche Juristen trotzdem in die USA auswandern.

Viola Schenz

Das waren noch Zeiten! Ein Satz - "Ich studiere Jura" - und das Herz der Schwiegermutter war erobert. Das Studium mag hart und trocken gewesen sein, doch es folgte in der Regel ein lukrativer Job bei einem Großunternehmen oder beim Staat, in einer Sozietät oder gleich in einer eigenen Kanzlei. Heute schreckt ein Jura-Studium potentielle Schwiegermütter eher ab. Denn die Chancen für Juristen sind schlecht, und das seit Jahren.

Ein LL.M zahlt sich aus: Top-Juristen steigen in Deutschland mit einem Jahresgehalt ab 75.000 Euro ein. (Foto: Foto: sueddeutsche.de)

Laut Bundesagentur für Arbeit hat sich die Zahl arbeitsloser Juristen im letzten Jahr bei 8400 eingependelt. Kanzleien bieten jungen Rechtsanwälten kaum noch sozialversicherungspflichtige Arbeitsplätze an, besonders in kleinen und mittleren Kanzleien ist freie Mitarbeit auf Stunden- oder Honorarbasis inzwischen üblich. Allein der Anteil der unbefristeten Stellen ist zwischen 2004 und 2005 von 74 auf 59 Prozent gesunken.

Wie viele selbstständige Anwälte oder Notare sich am Rande des Existenzminimums oder mit Zweitjobs durchschlagen müssen oder gar aufgegeben haben, ist nicht bekannt. Das schreckt den Nachwuchs allerdings nicht ab, der Zulauf zum Jura-Studium bleibt seit Jahren hoch. Und während man sich hierzulande gerade an protestierende Ärzte gewöhnt, folgen vielleicht schon bald die Robenträger den Weißkitteln und greifen zu Trillerpfeife und Transparent.

Wie aber reagierten Europäer mit miserablen Job-Aussichten früher? Sie sparten auf eine Schiffspassage und setzten über den Atlantik, dorthin, wo Licht am Horizont zu sichten war. Das scheint neuerdings auch für Juristen zu gelten. "Jagdszenen am Times Square" titelte der Online-Dienst des Spiegel kürzlich einen Artikel über eine Juristen-Jobmesse, bei der sich 150 amerikanische Top-Kanzleien um deutsche Jura-Studenten und Jung-Advokaten balgten. Trotzdem: Warum sind ausgerechnet die USA so attraktiv, ein Land mit einem eigenen Rechtssystem, mit eigenen Abschlüssen?

"Hier kann man innerhalb eines Jahres Abschluss und Zulassung erwerben. Ich kenne kein anderes Land, wo das möglich ist", sagt Thomas Brunn. Der 32-Jährige arbeitet seit einem Jahr im Herzen Manhattans, bei Clifford Chance, einer Kanzlei mit internationalen Niederlassungen, zuständig für Geldgeschäfte und Transaktionen. Für viele Jura-Studenten der Traum einer Karriere.

Für Brunn ging er in Erfüllung, weil er die notwendigen Voraussetzungen mitbrachte: den Master of Laws (LL.M.) hatte er 2002 als Student an der renommierten Columbia University in New York gemacht, und anschließend das Bar-Exam, also die begehrte Anwaltszulassung, bestanden. Ohne LL.M. kein Bar-Exam, ohne Bar-Exam keine US-Karriere. "Der LL.M. könnte mal den Rang eines Doktortitels einnehmen, mir hat er genauso viel gebracht wie mein Doktortitel", meint der promovierte Jurist.

Beim begehrten Rechtsstudium an der Columbia University sei die Zahl ausländischer Studenten auf fünf bis zehn pro Nationalität beschränkt, sagt Brunn. Eine Generation früher sah das noch anders aus. Als Andreas Junius 1981 dort seinen LL.M.-Studiengang antrat, war er ein Exot. "Ich war der einzige Deutsche an Columbia", sagt der 51-Jährige. "Es gab vielleicht 15 oder 20 deutsche Jura-Studenten in den gesamten USA." Damals die Ausnahme, seien heute ein Studium oder ein Arbeitsaufenthalt in den USA schon beinahe eine Grundvoraussetzung für eine Karriere in einer führenden deutschen Kanzlei.

Junius blieb nach Studium und Promotion im Big Apple, heute ist er Partner bei Dechert, einer großen US-Kanzlei mit Dependancen in London, Paris, Brüssel und München. Zur Zeit pendelt er zwischen New York und Frankfurt, wo er ein weiteres Dechert-Auslandsbüro aufbaut. Einen Teil oder gar das ganze Jura-Studium in den USA zu verbringen, werde schon lange geschätzt, meint Junius, nicht erst, seit sich die Arbeitsmarktlage in Deutschland verschlechtert habe. "Die Studienbedingungen sind hier für Leute mit Eigeninitiative besser. Sie wissen, dass sie mit einem guten Abschluss auch in guten Positionen landen können. Das amerikanische Studium bereitet außerdem besser auf die Praxis vor."

Das Quäntchen Mehrarbeit

Da können offensichtlich weder die hohen Studiengebühren abschrecken noch die hohen Anforderungen, die junge Juristen anschließend in einer amerikanischen Kanzlei erwarten: "Ohne Extra-Einsatz geht gar nichts. Bei großen Transaktionen kann es sein, dass man jedes Wochenende durcharbeitet. Auch sonst sind 16 oder 17 Stunden am Tag keine Ausnahme, auch über mehrere Wochen", berichtet Brunn. "Hart gearbeitet wird überall, aber hier vielleicht noch ein Quäntchen mehr als in Europa, besonders in New York", meint Andreas Junius. Dieses Quäntchen Mehrarbeit schlägt sich dafür deutlich im Gehalt nieder. Große New Yorker Kanzleien zahlen Top-Kandidaten 145.000 Dollar Einstiegsgehalt plus Bonus. In Deutschland liegt es bei einer Kanzlei vergleichbarer Größe zwischen 75.000 und 90.000 Euro.

Dennoch werden US-Büros wie die von Dechert nicht mit deutschen Bewerbungen überflutet. "Im Moment ist die Arbeitsmarktlage in Deutschland für Top-Juristen sehr gut", sagt Junius, "die machen hier ihr LL.M. und versuchen noch ein Jahr praktische Erfahrung in einer der Kanzleien zu sammeln, wollen dann aber die Früchte der Ausbildung nach Deutschland tragen."

Dass internationale oder binationale Jura-Studenten so gefragt sind, ist auch eine Folge des globalisierten Marktes. Allerdings lassen sich hier unterschiedliche Entwicklungen beobachten. Die Phase der Eröffnung deutscher Kanzleien in den USA ist weitgehend abgeschlossen. Dafür drängen amerikanische Kanzleien in den deutschen Markt und bauen hier deutsche Teams auf.

"Diese Kanzleien folgen den US-Mandaten, aber auch der Entwicklung in Europa", erklärt Junius. "Deutschland ist eben die stärkste Entwicklungsregion in Europa, auch im Kapitalmarktbereich. Da sind US-Kanzleien fast prädestiniert, Büros zu eröffnen und diese aktiven Kapitalmarkt-Transaktionen zu bearbeiten."

Insofern haben die Jagdszenen am Times Square ihre ganz profanen Ursachen: "Die Deutschen sind nicht deswegen gefragter, weil sie im Vergleich zu anderen so hervorragend sind, sondern weil Deutschland der wichtigste Markt in Europa für die USA ist", sagt Junius. "Große Kanzleien und Unternehmen bauen sich deutsche Talente im Hinblick auf Zentral- und Osteuropa auf."

© SZ vom 10.6.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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