Ansturm auf Bayerns Universitäten:Die Studenten-Lawine

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Es fehlt an Lehrpersonal, an Geld und an Räumen: Zusätzlich 80.000 Studenten werden in den nächsten fünf Jahren in die Universitäten strömen. Ein Ansturm, gegen den Bayerns Hochschulen nicht gerüstet sind.

Birgit Taffertshofer

So deutlich werden Hochschulrektoren selten: "Wenn jetzt wieder faule Kompromisse folgen, müssen wir die Studenten aussperren", sagt Alf Zimmer. Was der neue Sprecher der Universitätsrektoren da formuliert, ist mehr als eine Warnung an die Politik.

Volle Hörsäle, schlechte Stimmung: Die Kultusministerkonferenz warnt schon seit längerem vor geburtenstarken Jahrgängen: Die ohnehin sehr gut besuchten Vorlesungen an Bayerns Universitäten werden in den kommenden Jahren noch überfüllter. (Foto: Foto: dpa)

Auf Bayerns Hochschulen rollt eine gewaltige Studenten-Lawine zu - doch ein Investitionsprogramm fehlt bislang. Dabei sind sich Professoren wie Politiker einig, dass der Anstieg der Studentenzahlen eine der größten Zukunftschancen für Bayern ist.

In den nächsten fünf Jahren werden 80.000 Studenten mehr in die Fachhochschulen und Universitäten strömen, ein Plus von gut 30 Prozent. Das ist nicht nur ein kurzfristiger Spitzenwert: Laut Prognosen des Wissenschaftsministeriums bleiben die Studentenzahlen bis 2020 zwischen 20 und 30 Prozent über dem aktuellen Niveau. Es wird also eng in Bayerns Hörsälen. Das ist keine neue Erkenntnis.

Die Kultusministerkonferenz warnt schon seit längerem vor geburtenstarken Jahrgängen, und spätestens seit der Einführung des achtstufigen Gymnasiums vor drei Jahren ist klar, dass es 2011 einen doppelten Abiturjahrgang geben wird.

Doch bisher warten die Hochschulen vergebens auf ein Finanzierungskonzept als Antwort auf den sich zuspitzenden Raum- und Personalnotstand. Dabei drängt die Zeit. "Es genügt nicht, kurzfristig die Löcher zu stopfen, wir brauchen Planungssicherheit bis 2020", betont der Regensburger Rektor Zimmer. Bis spätestens Ende Juni will Wissenschaftsminister Thomas Goppel seinen Investitionsplan dem Kabinett vorlegen.

Er rechnet, dass mindestens 680 Millionen Euro notwendig sind, um die Hochschulen auf die wachsenden Aufgaben vorzubereiten. Goppel will in den nächsten fünf Jahren 38.000 neue Studienplätze schaffen. Doch nach dem Bericht des Lenkungsausschusses "Steigende Studierendenzahlen", welcher der Süddeutschen Zeitung vorliegt, brauchen die Hochschulen in den Folgejahren bis 2020 noch deutlich höhere Summen. 270 bis 320 Millionen Euro Mehrausgaben pro Jahr seien nötig, um die Studentenmassen ausbilden zu können.

"Einen Königsweg gibt es nicht"

Zwar wird im Wissenschaftlich-Technischen Beirat der Staatsregierung, der am nächsten Freitag sein Gutachten vorlegt, inzwischen die Idee einer "Hochschul-Milliarde" diskutiert. Die Einsicht in die Notwendigkeit fehle aber vielen CSU-Politikern noch, klagt Rektor Zimmer. "Es sehen zwar alle das Problem, sagen aber zugleich ein ausgeglichener Haushalt ist sakrosankt." Und selbst wenn die Studentenzahlen weniger ansteigen sollten als prognostiziert, wie Finanzpolitiker gerne behaupten, bedeutet dies laut Zimmer allenfalls eine Normalisierung. Denn Bayerns Universitäten seien schon heute chronisch überlastet, nicht selten bis zu 200 Prozent.

Überfüllt und unterfinanziert sind die Hochschulen schon seit den siebziger Jahren. Damals mussten sie wegen der geburtenstarken Jahrgänge mit dem ersten Studentenberg fertigwerden. Die Staatsregierung veranlasste die Türen zu öffnen, doch mit den Folgen ließ sie die Hochschulen weitgehend alleine. Seither hat sich die Zahl der Studenten in Bayern etwa verdoppelt. Nun stehen die Hochschulen vor einem zweiten Studentenberg.

Die Politiker wissen, dass künftig hochqualifizierte Fachkräfte und Wissenschaftler gebraucht werden, um in einem rohstoffarmen Land wie Bayern den Wohlstand zu erhalten. Nur: Wie sie den Studenten eine hohe Ausbildungsqualität bieten können, bleibt unklar. Klar ist nur: Einen Königsweg gibt es nicht. "Man muss sich das wie ein Mosaik vorstellen", sagt Marion Schick, Sprecherin der Fachhochschulen. "Das wird ein Solidarakt der Gesellschaft."

Was sie damit meint, kann man in dem 58-seitigen Bericht des Lenkungsausschusses nachlesen. Und eines wird dabei schnell deutlich: Das größte Problem wird sein, überhaupt das nötige Lehrpersonal zu finden. Meist können Wissenschaftler in der Wirtschaft deutlich mehr verdienen. Zudem ist der Lehrberuf an den Massenuniversitäten unattraktiv geworden. Im Freistaat ist die Lehrverpflichtung schon heute deutschlandweit am höchsten, für das Forschen bleibt kaum Zeit.

Um die künftigen Studentenmassen ausbilden zu können, müsse die Wirtschaft Leute für die Hochschullehre freistellen, sagt Schick. Zulassungsbeschränkungen können nur die "Ultima Ratio" sein, warnt der Lenkungsausschuss in seinem Bericht und schlägt ein Bündel von Maßnahmen vor: Professoren im Rentenalter sollen länger arbeiten, Lehrer sollen an die Uni kommen, und Studienanfänger sollen besser beraten werden, um die Studienzeiten zu verkürzen und den Anteil der Abbrecher zu reduzieren.

Wie viel darf ein Studienplatz für Biochemie kosten?

Zu einer Entlastung der Unis soll auch der Bachelor-Abschluss beitragen, der Absolventen früh für den Arbeitsmarkt qualifiziert. Ob und wie viele freie Kapazitäten sich mithilfe all dieser Instrumente schaffen lassen, ist laut Lenkungsausschuss aber unsicher. Er rät deshalb auch, verstärkt Werbung zu machen: für Unis im Osten, für schlecht besuchte Studiengänge, für E-Learning.

Während die Zeit verrinnt, wächst an den Hochschulen die Nervosität. Die Münchner FH-Präsidentin Schick sitzt an ihrem Schreibtisch und seufzt. Vor ihr liegt ein Fragebogen der Hochschulrektorenkonferenz. Die HRK will wissen, wie es um die Umsetzung des Hochschulpakts in Bayern steht - ein kürzlich gestartetes Hilfsprogramm von Bund und Ländern. Doch Schick muss etliche Fragen mit "noch offen" beantworten. "In Bayern fehlen nach wie vor Daten, Fakten, Zahlen", klagt sie.

In anderen Bundesländern wie etwa Nordrhein-Westfalen lägen diese längst vor. Niemand wisse hierzulande genau, wie sich die Studierendenströme entwickeln, welche Fachkräfte die Wirtschaft braucht oder wie viel ein Studienplatz für Biochemie an der Uni mehr kosten darf als einer für Maschinenbau an der FH.

Denn wie die Fach- und Führungskräfte von morgen, gerade in teuren Fächern wie Natur- und Ingenieurwissenschaften, mit den bisher veranschlagten 5500 Euro pro Student und Jahr vernünftig ausgebildet werden sollen, mögen die Politiker wissen, die Rektoren wissen es nicht.

© SZ vom 16.04.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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