Altersdiskriminierung:Grenzen der Willkür

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Viele Arbeitnehmer sehnen sich die Rente herbei - doch immer öfter gibt es auch das Gegenteil: Junge Senioren, die sich mit 65 noch nicht zurückziehen wollen. Eine Expertenkommission gibt ihnen Recht - und hat Vorschläge gegen die Altersdiskriminierung erarbeitet.

Daniela Kuhr

Jahrelang hatte der Mann ehrenamtlich in der Gewerkschaft mitgearbeitet. Er half Mitgliedern beim Ausfüllen von Versicherungsanträgen - ein Vorgang, der ausgesprochen kompliziert sein kann, sodass seine Erfahrung oft gefragt war. Doch mit 70 war Schluss. Die Gewerkschaft teilte ihm mit, dass Ehrenamtliche bei ihr nur bis zu dieser Altersgrenze arbeiten dürften. Der Mann musste gehen.

Oder die 24-jährige Frau, die sich bei Gericht um das Ehrenamt einer Schöffin beworben hat. Sie wurde abgelehnt, weil sie zu jung war. "Um Schöffin zu werden, muss man 25 Jahre alt sein", sagte Christine Lüders, Leiterin der Antidiskriminierungsstelle des Bundes, am Dienstag in Berlin. Und schließlich gab es da auch den Kapitän, der mit 65 aufhören musste. "Er ging nach England, wo er noch zwei Jahre länger arbeiten durfte", erzählte Lüders.

"Alle drei Fälle sind legal, und alle drei Fälle sollten uns nachdenklich machen." Denn allzu oft seien Altersgrenzen willkürlich gesetzt und ergäben überhaupt keinen Sinn. Doch das Allgemeine Gleichbehandlungsgesetz verbietet Diskriminierungen wegen des Alters. Deshalb hatte die Antidiskriminierungsstelle des Bundes Anfang des Jahres eine Expertenkommission eingesetzt, die Vorschläge zum Abbau von Altersdiskriminierung erarbeiten sollte. Die Ergebnisse wurden am Dienstag in Berlin vorgestellt.

Zu den Kernforderungen zählt demnach das Streichen aller Altersgrenzen bei Ehrenämtern. "Altersgrenzen halten ältere Menschen vom Engagement für die Gesellschaft ab. Das ist dumm und gehört abgeschafft", sagte Bremens früherer Bürgermeister Henning Scherf (SPD), der die Kommission geleitet hat. In den Gesetzen finden sich solche Altersgrenzen für Ehrenämter, wie etwa bei den Schöffen, zwar nur noch selten.

Doch in Satzungen von öffentlichen Institutionen oder auch in einigen Vereinen sind sie nach wie vor anzutreffen. "Vor hundert Jahren mag es dafür vernünftige Gründe gegeben haben", sagte Scherf. "Doch die Gesellschaft hat sich verändert. Solche Altersgrenzen passen da einfach nicht mehr in die Zeit." Schon allein wegen des demografischen Wandels sei die Gesellschaft in Zukunft auf das ehrenamtliche Engagement von Älteren angewiesen.

Zudem forderte die Kommission, die Hinzuverdienstgrenzen für Frührentner abzuschaffen oder wenigstens "spürbar anzuheben". Bei der gegenwärtigen Gesetzeslage sei es für Frührentner unattraktiv, einer bezahlten Beschäftigung nachzugehen. So dürfen sie derzeit nur 400 Euro (von 2013 an 450 Euro) monatlich hinzuverdienen, ohne dass ihre ohnehin schon geringere Rente weiter gekürzt wird. Wer dagegen erst beim Erreichen des gesetzlichen Rentenalters in Ruhestand ging, könne unbegrenzt hinzuverdienen. Durch diese Ungleichbehandlung werde die Motivation von Frührentnern, zu arbeiten, gleich in zweifacher Weise beschränkt, sagte der wissenschaftliche Leiter der Kommission, Gerhard Naegele.

Auch werden Ältere nach Auffassung der Experten benachteiligt. So würden Menschen, die wegen eines Unfalls pflegebedürftig seien, deutlich mehr Leistungen erhalten als Menschen, die allein wegen ihres Alters Pflege benötigten. Wer beispielsweise einen Betriebsunfall erlitten hat, bekommt über die gesetzliche Unfallversicherung unter Umständen sogar eine Begleitung für gewisse Erledigungen - während Menschen, die altersbedingt pflegebedürftig sind, "nur körperbezogene Hilfeleistungen erhalten", sagte Scherf. Den Tarifvertragsparteien empfahl die Kommission darüberhinaus, sämtliche Altersgrenzen in den Tarifverträgen auf ihre Sinnhaftigkeit zu überprüfen.

© SZ vom 05.12.2012 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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