Ärger-und-Jammer-Verbot:Meckern vertraglich untersagt

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Früher haben die Mitarbeiter geschimpft, heute wird gewitzelt. Warum eine Software-Firma ihren Angestellten verbietet, sich lautstark zu ärgern.

Interview von Jutta Pilgram

Ramona Wonneberger ist Diplom-Ingenieurin und Gründerin der Software-Firma Nutzwerk in Leipzig. Vor fünf Jahren schrieb sie ein Ärger-und-Jammer-Verbot in die Arbeitsverträge ihrer 15 Mitarbeiter. Nörgeln darf seither nur noch, wer zugleich einen konstruktiven Vorschlag äußert.

"Solange ich am Ärger klebe, bin ich nicht offen für andere Dinge", sagt Ramona Wonneberger. (Foto: Foto: oh)

SZ: Wann haben Sie sich zuletzt geärgert? Wonneberger: Letzten Sonntag. Ich wollte nach Tobago in Urlaub fliegen, das Gepäck war schon im Auto verstaut, da klemmte der Kofferraum. Es war mitten in der Nacht und es dauerte eine Stunde, bis ein Techniker kam und den Kofferraum entsperrte - das Flugzeug hatten wir längst verpasst. Da habe ich mich zum ersten Mal seit langem geärgert.

SZ: Verständlich. Warum finden Sie es dann so verwerflich, sich zu ärgern? Wonneberger: Ich finde es gar nicht verwerflich. Wer sich ärgern will, soll es tun. Doch bloßes Jammern ist Energieverschwendung. Wenn Ärger hochkommt, stelle ich sofort die Frage: Kann ich's ändern oder nicht? Wenn es regnet oder ich den Flieger verpasse, dann ist Ärgern sinnlos und verdirbt mir nur das Leben.

SZ: Sie haben ein Mecker-Verbot in die Arbeitsverträge Ihrer Mitarbeiter geschrieben. Ist das Ihr Ernst? Wonneberger: Ja. Denn solange ich am Ärger klebe, bin ich nicht offen für andere Dinge. Früher wurde bei uns zum Beispiel ständig über ahnungslose Kunden geschimpft, die behaupteten, ihr Drucker funktioniere nicht wegen unserer Virenschutz-Programme. Heute gilt bei uns, dass Kunden keine Ahnung haben müssen und dumme Fragen stellen dürfen. Sonst könnten sie sich schließlich selbst um ihren Virenschutz kümmern - und wir hätten keine Kunden.

SZ: Wie lautet denn der Gute-Laune-Paragraph in Ihren Arbeitsverträgen? Wonneberger: Meckern und Jammern ist bei Nutzwerk verboten! Dies gilt insbesondere während der Arbeitszeit, in den Räumen der Nutzwerk GmbH sowie gegenüber Mitarbeitern, Kunden, Partnern und Gästen. Ausnahme bilden Themen, welche die Leistungsfähigkeit von Nutzwerk erhöhen können. In diesem Fall ist Meckern oder Kritik erwünscht und gefordert - vorausgesetzt, diese ist immer mit einem durchführbaren Verbesserungsvorschlag verknüpft.

SZ: Und das haben Ihre Mitarbeiter unterschrieben - ohne zu meckern? Wonneberger: Ja. Und seither sind alle besser drauf. Das liegt sicher nicht nur an unserer Firmenphilosophie. Vor fünf Jahren machten wir noch Verluste, heute haben wir knapp drei Millionen Euro Umsatz und machen 25 Prozent Gewinn.

SZ: Was ist mit Leuten, die Ihren verordneten Optimismus nicht ertragen? Wonneberger: Ich kann niemandem verbieten, sich zu ärgern. Einer Mitarbeiterin war es auf einmal zu ruhig und zu freundlich bei uns. Sie wollte weiter über ihr Privatleben schimpfen, aber niemand hörte mehr zu. Sie ist dann gegangen.

SZ: Glauben Sie nicht, dass Wut und Ärger auch produktiv sein können? Wonneberger: Doch. Wenn man die Ärger-Energie nutzt, um etwas zu verändern. Die Frage ist nur, wie lange man beim Ärger verharrt. Manche Menschen müssen sich zehn Jahre lang über ihre Arbeit ärgern, bevor sie den Job wechseln. Andere ärgern sich zehn Minuten, benutzen ihren gesunden Menschenverstand und machen sich auf die Suche.

SZ: Aber manchmal macht Jammern und Lästern einfach Spaß... Wonneberger: Sicher, manche Menschen brauchen das. Wenn Sie aufhören zu meckern, stellen Sie auf einmal fest: 95 Prozent der Gesprächsthemen fallen weg. Bei uns wird beim Mittagessen nur noch gewitzelt und viel mehr gelacht.

SZ: Sie leiten inzwischen Anti-Ärger-Trainings bei Porsche, Deutsche Bank und anderen Firmen. Was lernt man da? Wonneberger: Das Seminarziel ist es, seine Ärgerzeit zu halbieren. Ich gebe keine Tipps gegen schlechte Laune oder mache irgendwelche esoterischen Übungen. Wir erzählen einfach Geschichten und zerlegen die einzelnen Ärger-Gründe, bis sie sich auflösen. Ein Teilnehmer hatte sich zusammengerechnet 4600 Stunden über seinen Chef geärgert. Ich fragte ihn: Und hat es etwas genützt? Er sagte: Nein! Damit hatte sich die Sache erledigt.

Interview: Jutta Pilgram

© SZ vom 25.11.2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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