Zähne:Zeig her deine Füllung

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Großflächige Zahnschäden werden in Deutschland ganz unterschiedlich behandelt - dies ermöglicht Rückschlüsse auf die Herkunft des Patienten.

Von Guido Bohsem

Dass der Zustand der Zähne etwas mit dem sozialen Umfeld zu tun hat, merken die Mitarbeiter der Gesundheitsämter jedesmal, wenn sie Kitas oder Kindergärten besuchen: Anhand des Gebisses der Kleinen, können sie den familiären Hintergrund locker bestimmen. Stammen die Kinder etwa aus der akademisch geprägten oberen Mittelschicht, sind die Milchzähne in aller Regel tipptopp in Ordnung. Kinder aus sozial schwachen Schichten und Kinder von Migranten hingegen leiden häufig schon mit fünf Jahren unter schwerer und schwerster Karies.

Nach einer Untersuchung der Barmer Ersatzkasse lassen sich anhand der Zähne aber auch noch weitere Schlüsse ziehen: An der Art und Weise, wie erkrankte Zähne behandelt wurden, könne man womöglich ablesen, aus welchem Bundesland man stammt oder zumindest, ob man in der Stadt oder auf dem flachen Land lebt. Insgesamt werteten die Barmer-Experten für ihre Untersuchung die Zahnbehandlungen der 8,6 Millionen Kunden der Kasse aus. Das sind gut zehn Prozent aller Versicherten in Deutschland.

Das Ergebnis ist verblüffend. Es gibt sowohl ein Ost-West- als auch ein Stadt-Land-Gefälle, was die Behandlung von großflächigen Schäden angeht. So versorgten die Zahnärzte in Sachsen-Anhalt, Mecklenburg-Vorpommern und Thüringen die Zähne ihrer an Karies erkrankten Patienten vorzugsweise mit einer Füllung. Mehr als doppelt so viele Füllungen kamen rein rechnerisch auf eine gesetzte Krone oder Teilkrone (1 zu 2,1 - 2,3) .

Die Zahnmediziner in Hamburg, Bremen und Berlin hingegen behandeln Patienten mit dem selben Leiden ganz anders. Laut Untersuchung wird in den Großstädten deutlich häufiger zu der kosmetisch anspruchsvolleren und vor allem teuren Krone oder Teilkrone gegriffen, um den erkrankten Zahn zu versorgen. Hier kommt auf eine Krone noch nicht einmal eine Füllung (1 zu 0,7-0,8).

Als Erklärung bieten die Experten der Barmer zwei Möglichkeiten an. Da ist zum einen die Sache mit dem Einkommen. Weil die Versicherten, so die These, in den ostdeutschen Ländern im Schnitt weniger verdienen als die Versicherten im Westen, wählen sie lieber eine nicht ganz so schicke Füllung als für eine Krone eigenes Geld draufzuzahlen. Doch sei diese Erklärung sei nicht gänzlich überzeugend, räumen die Forscher selbst ein. Widersprechen doch ihre eigenen Daten diesem Erklärungsansatz. So sei ausgerechnet im wohlhabenden Bayern das Verhältnis von Krone zu Füllung ähnlich hoch wie in den ostdeutschen Ländern (1 zu 1,91).

Als zweiten Erklärungsansatz führen die Wissenschaftler ins Feld, dass "für urbane Strukturen typische Aspekte von Lebensstil und subjektivem Ästhetikempfinden prägend sind". Sprich, in den Städten achten auch die weniger wohlhabenden Menschen deutlich stärker darauf, wie ihre Zähne aussehen. Die städtischen Versicherten sind demnach eitler und anspruchsvoller als die Versicherten auf dem flachen Land. Doch auch hier bleiben Fragen offen. Warum, so als Beispiel, weist Hessen ähnliche Werte auf wie die Stadtstaaten (1 zu 1,07)? Sind die Hessen eitler als die benachbarten Rheinland-Pfälzer (1 zu 1,41)? Hat es mit der großen Zahl der Bankangestellten zu tun? Liegt es am Äppelwoi? An Volker Bouffier?

Die Experten der Barmer können es nicht erklären. Die Interpretation der Ergebnisse sei hypothetisch und erfasse auch nicht alle in Frage kommenden Ursachen, schreiben sie in ihrer Untersuchung. Sicher sei jedoch, dass die lokalen Unterschiede in der Behandlung der kariösen Zähne auffällig seien.

© SZ vom 19.05.2015 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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