Zugegeben, die Bakterien machen es den Ärzten nicht leicht. Über die Haut des Patienten oder keimbehaftete Materialien, häufiger noch infolge von Lungenentzündungen, Harnwegs- oder Atemweginfekten gelangen sie zu den Gelenken. Haben sie erst die Ersatzteile gefunden, sammeln sie sich dort und bilden zähe Beläge. Solche Biofilme fürchten die Mediziner. Schon nach drei Wochen gibt es kaum noch eine Chance, sie aufzulösen. Keine Abwehr stört sie, bis die Keime Knorpel oder Muskel erreichen. Dann erst schlägt der Körper Alarm. Das kann mal ein paar Wochen, mal ein bis zwei Jahre dauern. "Deswegen muss man auch sehr genau schauen, was sich da im Körper breitgemacht hat", sagt Andrej Trampuz.
Trampuz ist Infektiologe, also auf Krankheiten durch Bakterien, Pilze oder Viren spezialisiert. Sechs Jahre hat er in der Schweiz gelernt und behandelt, bevor er sich so nennen durfte. Obwohl selbst die Bundeskanzlerin inzwischen vor gefährlichen Mikroben warnt, mangelt es in Deutschland an entsprechend ausgebildeten Ärzten. Da gibt es die Fachärzte für Hygiene und die für Mikrobiologie. Der eine berät die Klinik, der andere sitzt im Labor. Nur selten sehen die Spezialisten einen Patienten. Trampuz sagt: "In Deutschland gibt es kein Hygiene- und kein Resistenzproblem, Deutschland hat ein Diagnostik- und Behandlungsproblem."
So erlebte es auch Heike B., als sie mal wieder im Krankenhaus lag und die Ärzte ihr sagten, sie könne gar keine Schmerzen haben, das Knie sei weder dick noch geschwollen. Und das Fieber, die Schweißausbrüche, die Schwäche? "Alles Symptome, die für eine versteckte Infektion sprechen", sagt Trampuz. Die Ärzte der Polizistin hatten ein an Hormonproblem geglaubt.
"Solche Fehldiagnosen kommen nicht so selten vor, wie man glauben möchte", sagt der Registerexperte Labek. Und selbst wenn die Diagnose stimmt, "die Behandlung von diesen Infektionen ist heikel", sagt Dirk Abitzsch, Chefarzt des Kompetenzzentrums für Spezialisierte Septische Chirurgie am Klinikum St. Georg in Leipzig. Eine Standardbehandlung gibt es nicht. Es fehlt an Studien. Die Deutsche Gesellschaft für Orthopädie und Unfallchirurgie empfiehlt, eine neue Prothese erst vier bis sechs Wochen nach Infektionsbeginn einzubauen. Währenddessen sollten die Ärzte Überbrückungsprothesen und Antibiotika einsetzen.
Das klingt vernünftig, birgt aber zwei Probleme: "Wer nicht genau hinschaut, weiß nicht, was er bekämpfen muss", sagt Alexander Friedrich, Leiter der Medizinischen Mikrobiologie an der niederländischen Uniklinik Groningen. Genau hinschauen können aber längst nicht alle - nur rund fünf Prozent der deutschen Krankenhäuser verfügen über mikrobiologische Labore. Die Gefahr: Womöglich werden die Keime nicht richtig bestimmt, die eingesetzten Antibiotika wirken nicht, verstärken stattdessen die gefürchteten Resistenzen. Zudem schadet das lange Liegen oft den älteren Patienten, es kommt zu Thrombosen, Wundinfektionen, Herzinfarkten.
Doch langsam wächst unter Orthopäden und Chirurgen mehr Bewusstsein für das Thema Keime. Deshalb holte Norbert Haas, Direktor des Centrums für Muskuloskeletale Chirurgie an der Charité, im April 2013 den Infektiologen Trampuz nach Berlin. Denn der hatte bereits in der Schweiz ein Verfahren entwickelt, mit dem sich auch verborgene Erreger entdecken lassen. So lässt er mutmaßlich keimbelastete Prothesen wieder herausnehmen. Die Ersatzteile kommen in ein Ultraschallbad, dessen Schallwellen auch hartnäckige Biofilme aufbrechen. In der Flüssigkeit des Bades und im Muskelgewebe des Patienten sucht Trampuz dann noch während der Operation nach den Erregern. "Dank moderner Gentests wissen wir innerhalb von wenigen Stunden nicht nur, welche Keime im Spiel, sondern auch gegen welche Antibiotika sie resistent sind", sagt Trampuz. Dann erhalten die Patienten eine auf sie abgestimmte Antibiotika-Therapie und schließlich die neue Prothese.