Familie und Pflege:Welches der Kinder übernimmt die Pflege?

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Welches der Kinder oder Schwiegerkinder diese Rolle einmal annimmt, ist eine heikle Frage, die nicht selten von Missverständnissen und Enttäuschungen begleitet wird. Auch wenn Eltern es nicht aussprechen, in ihren verletzlichsten Phasen wollen sie nicht jeden ihrer Angehörigen auf gleiche Weise an sich heranlassen. Sie haben ihre Favoriten für kritische Situationen. Der Gerontologe Karl Pillemer von der US-amerikanischen Cornell University hat Familien mit alternden Müttern über Jahre befragt. Mehr als 70 Prozent der betagten Frauen hatten - lange vor dem Ernstfall - sehr genaue Vorstellungen, welches ihrer Kinder sie einmal pflegen soll. Der Nachwuchs ahnte durchaus etwas von den Vorlieben, doch den Favoriten der Mutter identifizierte nur etwa die Hälfte der Kinder korrekt.

Zu diesen divergierenden Vorstellungen trägt möglicherweise bei, dass Mütter und Kinder sehr unterschiedliche Kriterien bei der Wahl der geeignetsten Pflegeperson anlegten. Die Alternden favorisierten in der Mehrheit der Fälle das Kind, das der Formel: weiblich, gleichgesinnt, jung am nächsten kommt. Da spielt klassisches Rollendenken hinein, aber auch der Wunsch, sich in die Hände dessen zu begeben, der die eigenen Ansichten weitestmöglich kennt und teilt.

Pflegebedürftige profitieren von positiv gestimmten Helfern

Unter den äußeren Lebensumständen spielte vor allem die geografische Nähe bei der Wahl der Pflegeperson eine Rolle. Dagegen berücksichtigten die Älteren erstaunlicherweise nur selten, wie stark der Nachwuchs durch die eigene Familie gefordert ist. Auch wem die Eltern einst die meiste Unterstützung zukommen ließen, war nicht entscheidend. Dies aber sind für die Kinder wichtige Faktoren.

Die Motive, aus denen sie die Pflege übernehmen, sind, neben bloßem Pflichtgefühl, eine enge Bindung an den Hilfsbedürftigen und der Wunsch, ihm etwas zurückzugeben. Durch Zuwendung, Liebe und auch finanzielle Leistungen scheinen Eltern eine Art soziales Kapital anzulegen, das Jahrzehnte später zurückgezahlt wird. Wurden genügend solcher Rücklagen gebildet und fallen die Vorstellungen innerhalb der Familie zusammen, kann Pflege gut gelingen und bei aller Belastung auch beglückende Momente haben.

"Etwa seit den 1990er-Jahren richtet die Forschung ihren Blick auch auf die positiven Aspekte der Pflege", sagt Psychogerontologin Margund Rohr, die sich an der Universität Erlangen mit dem Thema befasst. Pflegende können ihre Beziehung zum Angehörigen und den Zusammenhalt in der Familie als gestärkt empfinden. Manche berichten von eine Art Sinnfindung durch die Fürsorge, andere schätzen die Kompetenz und Erfahrung, die sie durch die Betreuung erwerben. "Wem es gelingt, die positiven Aspekte wahrzunehmen, der fühlt sich weniger belastet", sagt die Gerontologin. Auch die Pflegebedürftigen, sogar Demenzkranke, profitieren davon, wenn die Pflegenden positiv gestimmt sind.

Übernimmt allerdings ein Angehöriger die Pflege, den der Alternde nicht gewünscht hat, kann die Pflege unbefriedigend verlaufen. Hilfsbedürftige neigen in dem Fall stärker zu depressiven Verstimmungen. Auch Spannungen in der Familie der Pflegenden hat der Gerontologe Pillemer beobachtet.

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