Chirurgie in der Schwangerschaft:Mit dem Skalpell in den Mutterleib

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Immer häufiger werden Kinder operiert, die noch im Mutterleib sind. Längst geht es nicht mehr nur um die Rettung des jungen Lebens, sondern um die Verbesserung von Prognosen. Unter welchen Umständen der gewagte Eingriff gerechtfertigt ist, diskutieren Fachleute kontrovers.

Von Christian Guht

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Ultraschallbild eines ungeborenen Kindes.

(Foto: iStockphoto)

Zwölf Mal hat Martin Meuli es schon gemacht: Er hat den Bauch einer schwangeren Frau geöffnet, ihre Gebärmutter aufgeschnitten und ist durch die Eihüllen hindurch zu dem ungeborenen Kind vorgedrungen, um das eigentliche Kunststück zu vollbringen: die Schließung eines offenen Rückens am Fetus, eines Spalts über der Wirbelsäule, der sogenannten Spina bifida. "Das ist so ziemlich der schwierigste Eingriff, den man machen kann", sagt der Direktor des Universitätskinderspitals Zürich. Gleichzeitig handelt es sich um eine Operation, die der sogenannte Fetalchirurgie in den letzten Jahren deutlich steigende Fallzahlen eingebracht hat - und damit wachsende Aufmerksamkeit. Und: Der Eingriff ist unter Experten durchaus umstritten.

"Die pränatale Spina-bifida-Operation kommt vermutlich nur für sehr wenige Fälle infrage, und das Risiko für Mutter und Kind ist nicht unbeträchtlich", sagt Ernst-Johannes Haberl, Leiter des Arbeitsbereiches Kinderneurochirurgie an der Berliner Charité. "Die Möglichkeit eines vorgeburtlichen Verschlusses wird viel zu wenig genutzt", findet hingegen Thomas Kohl, der am Universitätsklinikum Gießen-Marburg das Deutsche Zentrum für Fetalchirurgie und minimalinvasive Therapie (DZFT) leitet. Der Kinderarzt hat bis dato rund 70 offene Rücken von Feten gedeckt, nach einer von ihm entwickelten Methode. Damit bewegt er sich allerdings in den Augen einiger Kollegen etwas zu offensiv auf ein Terrain, das als Neuland gilt.

Anfang der 1980er-Jahre wagte der Mediziner Michael Harrison an der Universität von San Francisco die erste Operation eines Ungeborenen. Er behob dabei einen Harnstau, der höchstwahrscheinlich zur Totgeburt des Kindes geführt hätte. Die therapeutische Alternativlosigkeit legitimierte die riskante Operation, und lange beschränkten sich solche Eingriffe auf Krankheitsbilder, bei denen es praktisch nichts zu verlieren gab.

Seit etwa 20 Jahren aber erweitern sich die Möglichkeiten und Einsatzgebiete. 1997 schlossen Mediziner erstmals den offenen Rücken eines Fetus, womit das Prinzip reiner Lebensrettung verlassen wurde. Der Entwicklungsdefekt verursacht zwar häufig neurologische Schäden, wie Lähmungen der Beine, wenn die Spaltbildung zu einem Vorfall von Rückenmark führt. Aber nur jedes zehnte Kind stirbt nach der Geburt an so einer Meningomyelozele. Rechtfertigt die ernste, aber nicht hoffnungslose Prognose also die Manipulation an Fetus und Gebärmutter, die ihrerseits ein erhöhtes Frühgeburts-, Infektions- und Todesrisiko birgt? Reicht es nicht aus, die Läsion nach der Geburt zu verschließen, wie es üblicherweise geschieht?

"Je länger der Defekt besteht, desto schwerer die neurologischen Ausfälle", rechtfertigt Martin Meuli Eingriffe am Fetus. Seit einiger Zeit propagieren Experten die "Doppelschlag-Hypothese": Nicht die Spaltbildung allein verursache die neurologischen Schäden, sondern auch der Kontakt des offen liegenden Rückenmarks mit Fruchtwasser und Gebärmutterwand. Je eher diese Schadensquelle behoben werde, umso besser.

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