Wohnprojekt:Gut Holz

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Eine kleine Gemeinde in Bayern hat bezahlbare Mietwohnungen für Senioren gebaut. Das Projekt war umstritten, auch wegen seiner Architektur. Nun ist es für den Bauherrenpreis nominiert.

Von Ingrid Weidner

An einem sonnigen Morgen stehen die Türen des Gemeindesaals weit offen, die turnenden Seniorinnen und Senioren absolvieren ihre Übungen mit großer Disziplin. Bürgermeister Hans Holzmeier zeigt stolz die neue Wohnanlage in Schechen, einer Gemeinde mit etwa 5000 Einwohnern in der Nähe von Rosenheim. Das Ensemble aus 16 barrierearmen Wohnungen, dem Gemeindehaus und einem Innenhof erinnert an einen Dreiseit-Hof, wie es im Ort noch einige gibt. Im Sommer 2018 zogen die ersten Mieter ein, andere warten darauf, dass sie dort ein neues Zuhause finden. Deshalb umringen einige Seniorinnen nach der Sportstunde den Bürgermeister und erkundigen sich, ob sie auch wirklich an erster Stelle auf der Warteliste stehen. Holzmeier bleibt verbindlich freundlich, ohne etwas zu versprechen.

Das Projekt kostete den Bürgermeister viel Kraft, doch wenn er durch die Anlage geht und die Architektur erläutert, spricht er nur zögerlich über die Schwierigkeiten, mit denen er zu kämpfen hatte. Auch wenn der Bau mehrmals vor dem Aus stand, schwingt nie Groll mit. Die Idee, bezahlbare Wohnungen für Senioren zu schaffen, denen das eigene Zuhause zu groß geworden ist, die aber noch keine Pflege brauchen, beschäftigte ihn schon lange. Immer wieder sprach er mit dem Landwirt Modest Mitterhuber darüber, zu dessen Hof in der Ortsmitte auch ein unbebautes Grundstück zählte. Man habe jahrelang über das Vorhaben diskutiert, und dann überraschte der Landwirt den Bürgermeister mit einem ungewöhnlichen Vorschlag: Er wolle der Gemeinde das etwa 4000 Quadratmeter umfassende Grundstück schenken. Bei einem durchschnittlichen Quadratmeterpreis von 500 Euro entsprach das einem Wert von rund zwei Millionen Euro. Das Grundstück wurde in die Modest-Mittelhuber-Stiftung eingebracht, die Gebäude in Erbbaurecht von der Gemeinde errichtet. Ein Glücksfall für Schechen.

Vielen ist es schwer gefallen, die eigene Wohnung aufzugeben

Ideen für das besondere Projekt sollte ein Architektenwettbewerb liefern. Trotz großer Widerstände im Gemeinderat gelang es, eine Mehrheit für eine Ausschreibung zu finden. Gewonnen haben Deppisch Architekten aus Freising mit einem Entwurf in Holzbauweise, der Ideen und Struktur der Dreiseit-Höfe im Ort aufnimmt und neu interpretiert. Architekt Michael Deppisch plant und baut seit mehr als 20 Jahren mit dem nachwachsenden Rohstoff Holz. Sein Entwurf nutzt das leichte Gefälle des Grundstücks für ein Sockelgeschoss; an der Hangseite entstanden drei, ansonsten zwei Etagen. Auf einer Bodenplatte entstanden die Wohnungen in Massivholzbauweise mit vorgefertigten Elementen. Die Anmutung der Außenwände erinnert an die Holzverkleidung der umliegenden Bauernhöfe. Innenwände und Decken der Wohnungen entstanden ebenfalls in Massivholzbauweise. Die 16 Mietwohnungen sind über den Hof und Laubengänge im Obergeschoss erschlossen, die gleichzeitig als Begegnungsfläche dienen. Das Gemeindehaus als eigenständiges Gebäude ist dagegen zur Straße hin ausgerichtet, die Autos von Bewohnern und Besuchern parken zentral am Rand der Anlage. Entstanden sind elf 50 Quadratmeter große Zwei-Zimmer-Wohnungen und fünf Drei-Zimmer-Wohnungen mit 65 Quadratmetern Wohnfläche.

Zusammen gehts besser: Mitglieder des Seniorenprojekts. (Foto: Marius Ballasus)

Für die Wohnungsvergabe gibt es gewisse Einkommens- und Vermögensgrenzen - je nach finanzieller Situation variieren die Mieten zwischen 7,50 und acht Euro für den Quadratmeter. Geplant sind die Domizile für Rentner ab 60 Jahren, Menschen mit Behinderung oder erwerbsunfähige Personen.

Anfangs sei das Interesse der Schechener groß gewesen, doch als die Fertigstellung näher rückte, zögerten manche, sich um eine Wohnung zu bewerben. Man habe unterschätzt, dass vielen älteren Menschen die Entscheidung schwer falle, die eigene Wohnung und damit Möbel und Hausrat aufzugeben, so Holzmeier.

Das Zögern der Schechener half dem Ehepaar Behrendt. Sie lasen von dem Projekt in der Zeitung und bewarben sich, obwohl sie im Umland lebten. Und zogen als erste Mieter im Sommer 2018 in eine Drei-Zimmer-Wohnung. Dorothea Behrendt, 63 Jahre alt und Rentnerin, kommt aus dem Rheinland. "Alles super", sagt sie über ihr neues Zuhause. Ihr Mann Adelbert, 74 Jahre, sitzt daneben und nickt. Über organisierte Tagestouren, ein freundliches Miteinander und die wöchentliche Turnstunde lernten die Behrendts schnell ihre Nachbarn kennen, Freundschaften entstanden. Anfangs bereitete dem Ehepaar der laute Fernseher der Nachbarin schlaflose Nächte. Schließlich fassten sich die beiden ein Herz und sprachen die Frau an. Seitdem ist es nachts ruhig.

Modernes Haus: Das Gebäude ist für den Bauherrenpreis 2020 nominiert (Foto: Marius Ballasus)

Auch wenn noch niemand Pflege braucht, achten die Bewohner aufeinander und helfen sich gegenseitig. Im September eröffnete das Seniorenbüro im Gemeindehaus, das ehrenamtliche Hilfe vermittelt. Auch mit der Infrastruktur im Ort, etwa Einkaufsmöglichkeiten, Ärztehaus sowie einer Bahn- und Busverbindung nach Rosenheim sind die Behrendts zufrieden. Und wie gefällt ihnen die moderne Architektur der Anlage? "Holz ist schon schön", beginnt Frau Behrendt vorsichtig, wirft einen Seitenblick auf ihren Mann, der nickt. Sie erklärt, dass ihnen die Decken und Böden aus Holz in den Wohnungen gefielen, auch die offene Wohnküche, an die sich eine Terrasse anschließt. Dann legt sie eine Pause ein und sagt: "Hier ist alles nüchtern". Doch Gebäude verändern sich mit ihren Bewohnern. An manchen Balkonen blühten dann Geranien, einige Mieter haben die Rasenflächen vor ihren Terrassen umgegraben und Blumen gepflanzt. Die Gemeinde investierte für das Ensemble und die Außenanlagen 4,6 Millionen Euro. Über ein kommunales Wohnraumförderprogramm bezuschusste der Freistaat das Projekt mit 1,3 Millionen Euro und unterstützte es außerdem mit einem zinslosen Darlehen über 1,5 Millionen Euro. Modest Mitterhuber erlebte zwar noch die Grundsteinlegung im Frühjahr 2017, starb aber fast 90-jährig im August des gleichen Jahres.

Weil es inzwischen eine Warteliste gibt und nicht die ganze Fläche bebaut wurde, denkt Bürgermeister Holzmeier darüber nach, in einem zweiten Bauabschnitt weitere acht bis zehn Wohnungen zu errichten. Doch vermutlich wird sein Nachfolger dieses Projekt umsetzen, denn nach 24 Jahren im Amt will sich Holzmeier im kommenden Jahr nicht mehr zur Wahl stellen. Die vielen Kritiker aus der eigenen CSU-Fraktion sind inzwischen leiser geworden. Wäre es nach ihnen gegangen, gäbe es das moderne Gebäude nicht. Mit dem Vorwand "zu teuer" wollten sie eine Massiv- statt der Holzbauweise durchsetzen. Der Architekt kennt die Vorbehalte gegen das Bauen mit Holz auch aus anderen Projekten, die Abstimmung im Gemeinderat von Schechen war knapp, wie Holzmeier erzählt. Nachtragend ist er nicht.

Inzwischen wurde das Projekt für den Bauherrenpreis 2020 nominiert, die Einladung nach Berlin kam schon im Rathaus Schechen an. Wer gewonnen hat, erfahren die Nominierten am 19. Februar 2020 im Rahmen der Baufachmesse bautec. Auch Architekt Deppisch freut sich über die Nominierung und wünscht sich, dass mehr Kommunen gängige Muster aufbrechen, Ängste ablegen und mutiger über das Zusammenleben und Bauen nachdenken.

© SZ vom 07.12.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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