Wie Deutschland regiert wird:Gute Politik sieht anders aus

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Die Bundesregierung hat sich in dieser Woche ausgiebig selbst gefeiert. Doch wer genau hinsieht, stellt fest: Kanzlerin Merkel und ihre Minister machen keinen guten Job.

Marc Beise

Kaum jemand gibt gerne zu, dass er schlechte Arbeit macht - auch keine Regierung. Natürlich sind sich Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) und ihr wichtigster Minister, Finanzchef Peer Steinbrück (SPD), einig, dass die Große Koalition auf bestem Wege ist - und sie haben sich in der viertägigen Haushaltsdebatte dieser Woche im Bundestag auch ausgiebig gefeiert.

Was aber sind die Kriterien, um die Selbsteinschätzung an den objektiven Umständen zu messen? Woran erkennt man überhaupt, ob Deutschland gut regiert wird oder nicht?

Womöglich könnte man es daran erkennen, dass die Wirtschaft rund läuft. Dass es volle Auftragsbücher, erkleckliche Lohnsteigerungen, optimistische Unternehmer und zufriedene Arbeitnehmer gibt. Dass die Zahl der Arbeitslosen sinkt und die Überschüsse in der Kasse der Bundesagentur für Arbeit steigen.

Dass die Steuereinnahmen nach oben schnellen und der Staat weniger neue Schulden macht: Wenn all dies die Kriterien zur Bewertung von Regierungshandeln sind, dann macht die Regierung Merkel/Steinbrück derzeit einen guten Job.

Die Zahl der Arbeitslosen, die bis auf fünf Millionen im Winter 2005/2006 gestiegen war, befindet sich heute bei 3,7 Millionen und wird auch im Falle eines harten Winters nicht annähernd wieder das alte Niveau erreichen.

Es empfiehlt sich, die Zahlen zu ordnen

Die Neuverschuldung des Bundes, die unter Finanzminister Hans Eichel (SPD) auf bis zu 40 Milliarden Euro geklettert war, ist für 2007 mit 20 Milliarden berechnet; und vermutlich wird sie am Jahresende noch einmal um die Hälfte niedriger liegen. Die Bundesagentur für Arbeit häuft seit 2006 einen Milliardenüberschuss an, nachdem früher üblicherweise Geld nachgeschossen werden musste.

Freilich empfiehlt es sich, die Zahlen ein wenig zu ordnen. Die Überschüsse der Bundesagentur erklären sich vor allem aus dem Umstand, dass mehr Menschen arbeiten, also zur Arbeitslosenversicherung beitragen, und weniger arbeitslos sind, also Leistungen aus Nürnberg erhalten.

Die gute Lage am Arbeitsmarkt erklärt sich durch die guten Geschäfte vieler Unternehmen quer durch alle Branchen - ebenso wie die dadurch fälligen höheren Steuerzahlungen respektive Steuereinnahmen des Fiskus. Die gute Konjunkturlage aber kann gar nicht der Verdienst der Großen Koalition sein, weil die Zyklen viel länger sind:

Die Unternehmen ernten heute, was vor Jahren schon angeschoben worden ist. (Nicht einmal die Bundesregierung behauptet - ernsthaft und fern der Festzelte -, sie sei für den Aufschwung verantwortlich; augenzwinkernd spricht Bundeswirtschaftsminister Michael Glos (CSU) davon, die Bundesregierung habe den Aufschwung jedenfalls nicht gestört.)

Regierungsarbeit muss also über den Tag hinaus konzipiert sein. Legt man an das Regierungshandeln, wie es diese Woche im Bundestag debattiert worden ist, diese Elle an, dann relativiert sich die Leistung des Merkel-Teams erheblich. Denn wo sind die Akzente, die heute für die Zukunft gesetzt werden?

Sie finden sich allenfalls noch in der Steuerpolitik, wo mit der Unternehmensteuerreform 2008 ein für Investoren hübsch anzusehender Körperschaftsteuersatz von 15 Prozent und eine Gesamtsteuerbelastung von unter 30 Prozent winkt. Allerdings sehen immer mehr Betriebe die Reform mit Sorge, weil gleichzeitig bisherige, wichtige Steuervorteile gekippt worden sind, auf die gerade ertragsarme und krisengeschüttelte Unternehmen angewiesen sind.

Der Münchner Steuerrechtler Wolfgang Schön spricht deshalb von einer "Steuerreform für Siegertypen''. Davon gibt es derzeit viele und im nächsten Abschwung wenige. Viele kleine Mittelständler - und sie stellen das Gros der deutschen Wirtschaft - können mit der Reform wenig anfangen, klagen aber über die weiterhin hohen Sätze der Einkommensteuer.

Auch in der Arbeitsmarktpolitik bestünde die Kunst darin, Vorsorge für schlechte Konjunkturen zu schaffen, wenn die Unternehmen nicht mehr händeringend Arbeitskräfte suchen, sondern ihnen die Neueinstellungen durch flexible Regeln schmackhaft gemacht werden müssen. Dazu müsste man den Arbeitsmarkt umbauen - was nicht geschieht.

Warum will Steinbrück erst 2011 einen ausgeglichenen Haushalt vorlegen?

Und warum will sich Steinbrück 2008 noch einmal mit fast 13 Milliarden Euro neu verschulden und sich bis 2011 gedulden, bis er einen ausgeglichenen Haushalt vorlegt? Was, wenn die gute Konjunktur so lange gar nicht trägt und die Steuerzuflüsse wieder schwächer werden?

Dann könnte der Plan nur über drastisches Sparen eingehalten werden - eine Politik, in der Steinbrück keine Übung hat. Rechnet man die Steuererhöhungen des Jahresanfangs heraus, sieht seine Bilanz ohnehin mager aus - weil er zulässt, dass die Ausgaben weiter kräftig steigen.

Anstatt hier und heute antizyklisch die Taschen zuzuhalten, wecken Merkel und Steinbrück Erwartungen. Sie sprechen immer nachdrücklicher von der notwendigen "Teilhabe am Aufschwung'' und von einem "internationalen Ordnungsrahmen für die Soziale Marktwirtschaft''. Was fatal ist: In wirtschaftlich guten Zeiten werden die Bürger mit Heilsversprechen geködert, deren Erfüllung sie erst recht in schlechteren Zeiten einfordern werden.

Angesichts der Beharrungskräfte der Gesellschaft muss gute Politik gegen Widerstände kämpfen - Merkel und Steinbrück aber gehen den Widerständen aus dem Weg.

Auch wenn Steinbrück den Eindruck erweckt, er müsse seine Kasse mit Zähnen und Klauen gegen Begehrlichkeiten verteidigen: Wo sind die Fälle, da er sich wirklich und mit Erfolg gegen den Zeitgeist stemmt? Wer immer nur den leichteren Weg geht, regiert. Aber er regiert nicht gut.

© SZ vom 15.09.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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