Visionen:Zusammenrücken für die Zukunft

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Der ehemalige Bundesumweltminister Klaus Töpfer referiert über die Perspektive von Städten.

Sebastian Hepp

Im Jahr 2050 wird die Erdbevölkerung von derzeit etwa 6,5 Milliarden auf 8,5 bis 9 Milliarden Menschen angewachsen sein. Bereits heute leben weltweit mehr Menschen in städtischen als in ländlichen Regionen. Wie wird die ,,europäische Stadt der Zukunft'' vor dem Hintergrund dieser globalen Entwicklung aussehen? Dieser Frage widmete sich Klaus Töpfer, Professor für Umwelt und nachhaltige Entwicklung an der Tongij-Universität in Schanghai, bei einem Vortrag im neuen Jüdischen Gemeindezentrum in München.

Auch Hongkong ist eine Stadt, die ständig wächst. Blick auf den Victoria-Hafen (Foto: Foto: AP)

Immer mehr Menschen ziehen in die Städte, teilweise mit verheerenden Folgen sowohl für die Bevölkerung als auch für die Umwelt. Die zunehmend urbanen Siedlungsstrukturen und ihre ökologischen, sozialen, wirtschaftlichen und gestalterischen Herausforderungen waren daher die zentralen Themen, mit denen sich Töpfer unlängst im Rahmen der Reihe ,,Zukunftsdialog Perspektive München'' befasste.

Wie geht's in München weiter?

Stadtbaurätin Elisabeth Merk berichtete in ihrer Begrüßungsansprache über die bauliche Entwicklung in München. ,,Der Raum wird weniger, die Bebauung dichter'', sagte Merk. Ziel der Stadt München sei es aber nach wie vor, jährlich 6000 neue Wohnungen zu schaffen. Und die Bundesregierung wolle die Entwicklungsflächen in ganz Deutschland bis zum Jahr 2020 um 20 Prozent erweitern.

Mit Blick auf die globale Entwicklung warnte der ehemalige Bundesumweltminister davor, dass die Verdichtung in den städtischen Ballungsräumen zu immer größeren Unterschieden zwischen Arm und Reich führen werde. ,,Und überall dort, wo Wohlstand auf Armut trifft, wird eine Mauer errichtet'', sagte Töpfer und nannte die USA und Mexiko als Beispiel.

,,Wie können wir die nicht eingebundenen Teile der Bevölkerung so am Wohlstand teilhaben lassen, dass sie nicht mehr wandern müssen und die globalisierte Welt stabiler wird?'', fragte er und gab die Antwort gleich selbst: ,,Wir brauchen eine wirtschaftliche Entwicklung, die allen Menschen eine Perspektive für Wohlstand und Frieden bietet.'' Es sei wichtig, nicht nur die Symptome, sondern die Ursache zu bekämpfen.

"Wie im Mittelalter"

Voraussetzung für diesen Prozess sei aber vor allem in den Zentren ein beträchtlicher Aufwand an Ressourcen. ,,Für ein Prozent wirtschaftliches Wachstum im ländlichen Raum benötigt man ein Prozent mehr Energie. Ein Prozent Wachstum im städtischen Raum dagegen bedeutet einen Mehrbedarf von 2,2 Prozent an Energie'', sagte Töpfer. ,,Nichtsdestotrotz sind die Städte auch in Zukunft die Orte wirtschaftlicher Entwicklung und wirtschaftlichen Wohlstands.''

Wie aber lässt sich der wachsende Energiebedarf mit den Zielen des Klima- und Umweltschutzes vereinbaren, wonach die ,,massenhafte Verbrennung fossiler Energieträger'' bis zum Jahr 2020 um 50 bis 80 Prozent reduziert werden soll? Neben dem verstärkten Einsatz von erneuerbaren Energien (sie sollen etwa 20 Prozent des Bedarfs decken) sei eine zunehmende Dezentralisierung das probate Mittel, um dieser ,,großen Herausforderung'' zu begegnen.

Keine weiten Entfernungen zwischen Wohnung und Arbeitsplatz, der zunehmende Umstieg vom Auto auf öffentliche Verkehrsmittel oder auf das Fahrrad und ganz allgemein ein ,,wieder näheres Zusammenrücken der Menschen wie im Mittelalter'' schwebt Töpfer vor. ,,Die Stadt der Zukunft wird den Zwang zur Mobilität wieder zurückschrauben müssen, indem sie mehr Patchwork-Strukturen schafft'', sagte er. Anders als etwa im zentralistisch strukturierten Frankreich mit der Metropole Paris seien die Voraussetzungen in Deutschland mit seinen ,,ausgeglichenen Stadtstrukturen von dezentraler Qualität'' hierfür gut.

Zum verantwortungsvollen Umgang mit den knapper werdenden Ressourcen gehört nach Töpfers Worten auch eine Steigerung der Energieeffizienz. So seien 40 Prozent der Energieversorgung allein mit dem Haus oder dem Gebäude verbunden. Und da lasse sich etwa durch eine andere Fassadenstruktur, andere Fenster oder eine bessere Nutzung der oberflächennahen Erdwärme viel Potential einsparen. Schon bei der Planung eines Einfamilienhauses sollten Bauherren flexibel denken und beispielsweise nicht ausschließen, dass sie - wenn der Nachwuchs mal aus dem Haus ist - der Umwelt zuliebe kleinere Räume wie die Kinderzimmer bewohnen.

Schädliche Monostruktur

Am Ende seines Vortrages stellte Töpfer elementare Fragen, mit denen sich vor allem die Städte dringend auseinandersetzen müssten. Wie gehen die Menschen mit den Herausforderungen einer sozial ,,bunter werdenden Gesellschaft'' um? Wie bewältigt die europäische Stadt die Globalisierung? Ein wichtiges Mittel ist laut Töpfer ein hohes Maß an ,,Elastizität''. Ein Beispiel für ein wenig elastisches Modell mit einer Monostruktur sei das Ruhrgebiet gewesen. Besonders problematisch sei, dass mit dem Wegfall von Kohle und Stahl die Städte dort ihre Identität verloren hätten.

Töpfer rät daher dazu, die Städte gegebenenfalls von ihrer Monostruktur zu befreien und ihnen zu einer neuen Identität zu verhelfen. ,,Die Menschen sind immer weniger bereit, die Globalisierung mit der Aufgabe der sozialen Identität zu bezahlen'', sagte Töpfer, der acht Jahre lang Exekutivdirektor des Umweltprogramms der Vereinten Nationen war.

Auf München würden die Etiketten ,,Monostruktur'' und ,,mangelnde Elastizität'' noch am wenigsten zutreffen. Denn die bayerische Landeshauptstadt sei nicht nur eine Stadt der Dialoge und der Integration, sondern zeichne sich auch durch ein hohes Maß an Identität aus - vom Sport über lokale Erholungsflächen bis hin zum Essen und Trinken. Für andere Zentren sei die Stadt München ein Vorbild.

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