USA: Stärkere Finanzkontrollen:Die Abwehr steht

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Die US-Regierung legt Pläne für die Regulierung von Derivaten vor - doch die Banken haben ihre Lobby bereits formiert. Sie wollen zu strenge Kontrollen verhindern.

Nikolaus Piper, New York

Mitte Juni wird es ernst. Dann will die Regierung Obama einen umfassenden Plan für die Neuregulierung des amerikanischen Bankensektors vorlegen. Die betroffenen Institute haben ihre Abwehr bereits organisiert. Zwischen Kongress, Finanzministerium und Interessengruppen steht jetzt ein langer Machtkampf bevor. Ein paar Details sind bereits jetzt schon bekannt.

Spekulationsgeschäfte brachten auch die AIG, einst die größte Versicherung der Welt, zu Fall. Im Bild die Zentrale in New York (Foto: Foto: dpa)

Der Agrarausschuss des US-Senats ist normalerweise kein Gremium, für das man sich an der Wall Street interessiert. Aus historischen Gründen jedoch ist der Ausschuss auch zuständig für die Aufsicht über den Handel mit Futures und Optionen. Und daher stand an diesem Donnerstag Gary Gensler, der neu ernannte Chef der Commodity Future Trading Commission (CFTC), der Überwachungsbehörde für den Terminhandel, den Senatoren Rede und Antwort.

Dabei legte er seine Pläne für die Neuregulierung komplexer Finanzprodukten vor. Dabei geht es um Produkte, die nicht an Börsen gehandelt, sondern von Käufer und Verkäufer direkt ausgehandelt werden. In der Fachsprache heißen sie "Over-the-Counter"- oder OTC-Produkte, was "Über den Tresen" bedeutet, aber besser mit dem alten deutschen Begriff "Tafelgeschäfte" übersetzt wird.

Die Zukunft des Finanzsystems

So kompliziert dies klingt - es geht dabei um die Zukunft des Finanzsystems. Die wichtigsten dieser OTC-Produkte sind die sogenannten Credit-Default Swaps (CDS). Spekulationen mit CDS brachten im vergangenen Herbst die einst größte Versicherung der Welt, AIG, zu Fall und das Weltfinanzsystem an den Rand des Zusammenbruchs.

CDS sind verbriefte Versicherungen gegen Zahlungsausfälle von Schuldnern. Theoretisch lassen sich damit Risiken effizienter verteilen als früher, praktisch jedoch war der Markt für CDS so undurchsichtig, dass ein aberwitziger Berg von Risiken im Weltfinanzsystem angehäuft wurde, ohne dass selbst Profis dies gemerkt hätten. Noch heute liegt der Nominalwert aller CDS bei 42 Billionen Dollar.

Unstrittig ist, dass hier Sicherungen eingebaut werden müssen. Die Frage ist: Wie stark werden sie? US-Finanzminister Timothy Geithner und CFTC-Chef Gensler planen im wesentlichen drei Eingriffe: Erstens soll sich jeder, der mit CDS handelt, registrieren lassen müssen. Zweitens sollen alle OTC-Geschäfte mit einem gewissen Prozentsatz an Kapital unterlegt werden. Drittens wird zwischen Käufer und Verkäufer eine Clearingstelle geschaltet. Sie garantiert das Geschäft für den Fall, dass einer der Partner zahlungsunfähig werden sollte.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, wie die Banken mitten in der schlimmsten Phase der Finanzkrise eine Lobby gegen strengere Regulierung gründeten.

Einige Bankenkritiker werfen Geithner und Gensler nun vor, dass sie der Wall Street zu nahe stehen und daher nicht rigoros genug vorgehen. Zum Beispiel die scheinbar harmlose Frage der Clearingstelle: Tom Harkin, ein demokratischer Senator aus Iowa, fordert, dass CDS nicht nur durch eine Institution garantiert, sondern an normalen Börsen gehandelt werden. Nur so werde der Handel hinreichend transparent. Mit einer Clearingstelle allein könnten die Banken die Spielregeln letztlich selbst bestimmen. Tatsächlich wird die New Yorker Firma ICE US Trust, die im März offiziell mit Clearingaufgaben im Handel mit CDS beauftragt wurde, von Banken und Energiekonzernen kontrolliert.

Gleichzeitig organisieren die Banken die Abwehr gegen schärfere Eingriffe. Bereits am 13. November 2008, mitten in der schlimmsten Phase der Finanzkrise, gründeten sie eine entsprechende Lobby-Gruppe mit Namen CDS Dealers Consortium. Mitglieder sind die wichtigsten Teilnehmer im Markt für CDS: JP Morgan Chase, Goldman Sachs und Bank of America. Vertreten werden sie von dem Lobbyisten Edward J. Rosen, einem einflussreichen Washingtoner Anwalt. Dessen Firma Cleary, Gottlieb Steen & Hamilton hat bereits 150000 Dollar für Lobbyarbeit ausgegeben, wie die Bürgergruppe OpenSecrets.com herausfand.

Entstehen Schlupflöcher, beginnt das Desaster von vorne

Besonders umstritten ist ein kleines, aber wichtiges Detail: Werden alle CDS standardisiert oder soll es weiter "maßgeschneiderte" Wertpapiere geben, die Banken mit bestimmten Großkunden abschließen können, zum Beispiel Versicherungen gegen Preisschwankungen seltener Rohstoffe.

Solche spezielle CDS können für bestimmte Unternehmen sinnvoll sein, bergen aber die Gefahr des Missbrauchs. "Diese mathematischen Genies, die all diese Dinge erfunden haben, werden einen Weg finden, alles in ein maßgeschneidertes Produkt umzuwandeln", sagte Senator Harkin der New York Times. Wenn man jetzt also nicht aufpasst, sichert sich die Branche Schlupflöcher; das Desaster beginnt von vorne.

Es geht dabei um das Geschäftsmodell der Banken: Sie brauchen hohe Erträge, um aus der gegenwärtigen Krise herauswachsen zu können; außerordentliche Gewinne sind aber nur noch mit riskanten Geschäften zu machen. Es stehen Sicherheit gegen Ertrag und Wachstum.

Warnungen schon vor elf Jahren

Schon vor mehr als elf Jahren hätten die amerikanischen Behörden die Möglichkeit gehabt, einige der Missbräuche zu stoppen, die in die Finanzkrise führten. Am 7. Mai 1998 veröffentlichte Brooksley E. Born, die damalige Vorsitzende der CFTC, ein Papier mit Namen "Concept Release". Darin verlangte sie eine schärfere Aufsicht über die CDS, die seinerzeit gerade erst erfunden worden waren.

"Wir wollen sicherstellen, dass unsere Regulierung angemessen bleibt angesichts der Veränderungen, die die Finanzmärkte in den letzten fünf Jahren erlebt haben," schrieb Born. Sie erhielt eine scharfe Abfuhr von Finanzminister Robert Rubin, Notenbankchef Alan Greenspan und dem Chef der Börsenaufsicht SEC, Arthur Levitt. Die drei fürchteten um die "Rechtssicherheit" und verbaten sich weitere Vorstöße der CFTC. Keine neun Monate später trat Born frustriert zurück. Im Jahr 2000 deregulierte Präsident Clinton den Handel mit Derivaten komplett.

Mit gehöriger Verspätung wurde Brooksley Born nun doch noch für ihr Engagement geehrt. Am 18. Mai 2009 erhielt sie aus der Hand von Caroline Kennedy den "Mut-Preis" der John-F.-Kennedy-Bibliothek in Boston. Ihre Rede dabei ließ an Deutlichkeit nichts zu wünschen übrig: "Wir haben jetzt die einzigartige Möglichkeit, ein schmales Zeitfenster, um ein umfassendes regulatorisches System für diese Finanzprodukte zu entwerfen und umzusetzen." Wenn es jetzt nicht gelinge, das Problem zu lösen, "werden wir in den kommenden Jahren von den Folgen unseres Scheiterns verfolgt werden," sagte Born.

© SZ vom 06./07.06.2009/as/mel - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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