US-Notenbank: Ungeahnte Risiken:Operation Blauer Himmel

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Die US-Notenbank Fed versucht mit allen Mitteln, auch mit unorthodoxen, der Finanzkrise Herr zu werden. Doch selbst die Notenbanker sind uneins über die Wirksamkeit ihres Risikoprojekts.

Carsten Matthäus

In normalen Zeiten ist die Arbeit einer Notenbank relativ unspektakulär. Mit dem Ziel, die Preise stabil zu halten, wird behutsam an der Zinsschraube gedreht. Droht Inflation, erhöht die Notenbank die Leitzinsen. Damit wird es für Unternehmen und Konsumenten teurer, sich Geld zu leihen. Das bremst die Wirtschaftsaktivität und damit auch den Anstieg der Preise. Im umgekehrten Fall wird eine träge Wirtschaft mit sinkenden Leitzinsen stimuliert, was wiederum die Inflationsgefahr erhöht.

Dollar-Karrikatur: Vertrauen fundamental erschüttert (Foto: Foto: AP)

Notenbanker folgen bei solchen Zinsentscheidungen zudem strengen Regeln und sie betonen bei jedem Auftritt ihre Unabhängigkeit vom politischen Geschäft der jeweiligen Regierung.

Die Zeiten für Notenbanker sind derzeit allerdings alles andere als normal. Insbesondere die US-Notenbank Federal Reserve (Fed) wird gerade zur ökonomischen Allzweckwaffe im Kampf gegen die Finanzkrise. In den Gängen der Institution wurde laut Wall Street Journal (WSJ) die Parole "blue sky" (blauer Himmel) ausgegeben. Die Mitarbeiter sollen so zu Vorschlägen animiert werden, die weit über ihre bisherigen gedanklichen Grenzen hinausgehen. Einige Abteilungen werden der Zeitung zufolge bereits als Swat-Teams bezeichnet, dem englischen Wort für Sondereinsatzkommando.

Swat-Teams in der Bank

Wenn die Fed am Dienstag die Leitzinsen von bisher einem Prozent auf nahe Null und damit auf ein historisches Tief senkt, dann ist dieser Zinsschritt nur ein Mosaikstein einer gigantischen geldpolitischen Operation. Ziel dieser Operation ist es, den gelähmten Finanzmarkt mit seinem Weltzentrum in New York wieder in Bewegung zu bringen - koste es, was es wolle.

Neben der Zinspolitik mischt sich die US-Notenbank immer offensiver ins Kreditgeschäft ein. So plant Fed-Chef Ben Bernanke, Kreditverträge mit Milliardensummen abzusichern, die ohne ihr Zutun gekündigt worden wären.

Millionen Hausbesitzer, Autokäufer und Kreditkartennutzer werden ihre Schulden zukünftig direkt bei der Fed haben - ohne es zu merken, denn die Notenbank operiert im Hintergrund. Sie kauft den Banken die Kredite gebündelt ab und übernimmt so deren finanzielles Risiko. Ziel solcher Operationen ist es, den Finanzinstituten den nötigen Spielraum zu verschaffen, damit diese wieder mehr Geld verleihen und dies zu besseren Bedingungen.

Der zweite Pfeil im Köcher

Die große Mehrheit der Ökonomen rechnet damit, dass Bernanke eine Ausweitung dieser unorthodoxen Geldpolitik ankündigen wird. In einer Rede am 1. Dezember hatte er bereits gesagt, der Schwerpunkt der Geldpolitik läge nun auf dem "zweiten Pfeil im Köcher der Federal Reserve - der Bereitstellung von Liquidität".

Möglich ist beispielsweise, dass die Fed anfängt, im großen Stil Anleihen von Unternehmen und dem Staat aufzukaufen, um die Marktzinsen niedrig zu halten. Auch hier geht es im Grunde darum, den Marktteilnehmern wieder das nötige Vertrauen einzuimpfen, damit neue Investitionen zu günstigen Konditionen finanziert werden können und die aktuellen Schuldenlasten den Unternehmen nicht das Genick brechen.

Lesen Sie im zweiten Teil, warum die Wirksamkeit der geldpolitischen Maßnahmen auch innerhalb der Fed umstritten ist.

Leider ist es aber keineswegs sicher, dass die ökonomische Allzweckwaffe auch funktioniert. Die Notenbank kann nämlich nur die Marktbedingungen verändern - nicht aber die Marktteilnehmer selbst.

Ein einfaches Beispiel ist der Markt für Kreditkarten. Dort haben klamme Banken ihren Kunden die Zinsen erhöht - trotz der Hilfszusagen der Notenbank. Der Grund: Zu viele Kunden habe ihre Rechnungen nicht beglichen, die Banken treten auf die Notbremse. Die Folge: Kunden, die ohnehin schon in Zahlungsschwierigkeiten sind, und die deswegen bei den Banken nicht als Top-Kunden gelten, haben nun mit einer jährlichen Zinsbelastung von mehr als 25 Prozent zu kämpfen. Vielen von ihnen wird außerdem das Konto gesperrt.

Das Problem: Die Zentralbank kann der klammen Bank zwar das Kreditrisiko teilweise abnehmen, nicht aber die Bewertung, ob der Kunde überhaupt kreditwürdig ist. Sie ist darauf angewiesen, dass die Banken wieder mehr Vertrauen in ihre Kunden entwickeln.

Wer ist noch kreditwürdig?

Dieses Vertrauen ist aber fundamental erschüttert. Von Bank zu Privatkunde, von Bank zu Unternehmen, von Bank zu Bank. Und dafür gibt es Gründe, die jenseits des Einflussbereichs der US-Notenbank liegen.

Da ist zum Ersten die finanzielle Situation der amerikanischen Haushalte. Ihr Vermögen - insbesondere die Werte der Immobilien und der Aktienpakete - ist einem aktuellen Bericht der Fed zufolge in nur einem Quartal um 2,8 Billionen Dollar auf 56,5 Billionen Dollar gesunken. Das ist der stärkste Rückgang seit Beginn der Aufzeichnungen im Jahr 1952.

Da ist zum Zweiten die fehlende Bereitschaft der Finanzwirtschaft, Geld in Umlauf zu bringen. So akzeptieren Investoren momentan bei amerikanischen Staatsanleihen sogar negative Renditen - nur damit ihr Geld in einem sicheren Hafen liegt. Und da sind zum Dritten die dramatischen Konjunkturdaten. So ist die Industrieproduktion nach Fed-Angaben in den USA im Jahresvergleich um 5,5 Prozent gesunken, der stärkste Rückgang seit 1980.

Die Sorge, ob die US-Wirtschaft in solch einer Verfassung überhaupt noch auf eine Stimulierung reagieren wird, entzweit selbst die Notenbanker. So äußerte sich Jeffrey Lacker, Präsident der Richmond Fed, skeptisch zur Wirksamkeit geldpolitischer Eingriffe zum jetzigen Zeitpunkt: "Meine Analyse der momentanen Situation ist, dass die Kreditvergabe der Banken eher von der Zahl kreditwürdiger Kunden gebremst wird als von der Versorgung mit Kapital", sagte er bei einer Rede im November.

Nach Informationen der Nachrichtenagentur Bloomberg sind drei der zwölf Notenbankpräsidenten, die im geldpolitischen Ausschuss der Fed sitzen, von Bernankes Kurs nicht überzeugt. Setzt sich der Fed-Chef durch, so wird er die Verantwortung für ein nie dagewesenes geldpolitisches Wagnis tragen. Auch dafür haben die Notenbanker dem WSJ zufolge bereits einen internen Namen: "Das große Experiment."

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