Türen:An der Schwelle

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Eine im Jahr 1683 erbaute Prunkpforte ziert die Einfahrt zum Altländer Bauernhof in Hamburg-Nincop. (Foto: Ingo Wagner/dpa)

Sie vermittelt zwischen drinnen und draußen, zwischen profan und heilig, zwischen privat und öffentlich. Eine kleine Kulturgeschichte der Tür.

Von Oliver Herwig

Türen, ganz gleich aus welchem Material - ob aus Holz, Stahl oder Glas - vermitteln Sicherheit. Hinter ihnen sind wir daheim. Und wer ihre Schwelle überschreitet, ist hoffentlich unser Gast. Am eindrücklichsten sagte dies Literaturnobelpreisträger Winston Churchill: "Wenn es morgens um sechs Uhr an meiner Tür läutet und ich kann sicher sein, dass es der Milchmann ist, dann weiß ich, dass ich in einer Demokratie lebe."

Natürlich lobte der große Staatsmann nicht stabile Türen, viel wichtiger war ihm, dass er weder am frühen Morgen noch sonst irgendwann Willkür und Staats-Schergen zu fürchten hatte. Churchill war gut darin, komplizierte Dinge auf den Punkt zu bringen. Er wusste auch, dass dafür ganz einfache Worte reichten und Bilder aus dem Alltag. Wie die Tür. Niemand zählt, wie viele von ihnen wir tagtäglich öffnen, anlehnen oder hinter uns zuziehen. Sie sind einfach ganz selbstverständlich - und doch so besonders.

Für manche ist das Tor nur eine größere Maueröffnung. Nichts könnte falscher sein

Türen trennen und verbinden gleichermaßen. Sie vermitteln zwischen drinnen und draußen, privat und öffentlich, profan und heilig im sakralen Bereich und als Außentüren im Winter zwischen kalt und warm. Dazu kommt in vielen Kulturkreisen eine Unheil abwehrende Wächterfunktion, wie bei den Dogon in Mali. Vorratsspeicher und Riegel sind durch Ornamente verziert und so symbolisch geschützt.

Weil die Tür so ein archaisches, rätselhaftes Ding ist, trägt sie auch viele Namen, die etwas über ihre Rolle in der Architektur, im Haus und in der Gesellschaft sagen. Pforten, Portale und Tore stehen nicht einfach so rum oder sind schnöde Teile der Fassaden, sie brauchen Personal: Pförtner, Concierges und Torwächter. Selbst wenn kein Mensch zu sehen ist, wachten früher symbolische Wächter über den Zutritt: Basilisken und Gorgonen rechts und links der Tür. Wer etwa die faszinierende Villa Stuck in München besuchen will, sieht sich plötzlich mit einem Gorgonenhaupt konfrontiert. Die mächtige Bronzetür erhielt so einen überirdischen Schutz. Am Eingang wacht sogar noch ein Abguss der Medusa Rondanini. Nicht nur Franz von Stuck war von dem Stück fasziniert, auch Goethe besaß während seines Aufenthaltes in Rom eine Gipskopie des Kopfes, der für ihn "das ängstliche Starren des Todes unsäglich trefflich" ausgedrückte.

Überhaupt Rom: Nirgends lässt sich der Zusammenhang von Toren und Macht besser studieren. Dort stehen nicht einfach bewegliche Metalltore, dort stehen Portale zwischen Herrschern und Beherrschten, Gegenwart und Vergangenheit sowie Diesseits und Jenseits. Einst zierten sternengeschmückte Bronzetore das Senatsgebäude am Forum Romanum. Diese wurden im 17. Jahrhundert ausgebaut und an der Bischofskirche der Päpste, San Giovanni in Laterano, wieder angebracht. Deutlicher lässt sich die Kontinuität von Macht nicht ausdrücken. Die Lateranbasilika führte fort, was der römische Senat verkörperte.

Spätestens am Flughafen wird klar: Türen sind auch Schleusen

Wer denkt, dieses Bild ließe sich nicht mehr steigern, muss sich folgendes Ritual vor Augen führen. Der Papst öffnet im Heiligen Jahr die Heilige Pforte der Vergebung. Sie wird nicht einfach mit dem Schlüssel Petri aufgeschlossen, sondern regelrecht aufgehämmert. Nach dem Heiligen Jahr wird sie auf beiden Seiten wieder zugemauert - und zwar bis zum nächsten regulären Heiligen Jahr 2025. Entsprechend aufgeladen ist dieser Eingang. Er verbindet Ritual und Verwandlung, ja Erlösung, gemäß dem Diktum Jes: "Ich bin die Tür; so jemand durch mich eingeht, der wird selig werden und wird ein und aus gehen und Weide finden." (Johannes 10:9)

Wer draußen bleibt, gar "draußen vor der Tür", hat ein Problem. Die Tür ist zu, der Dialog abgebrochen. Wolfgang Borchert, gezeichnet vom Zweiten Weltkrieg, schrieb das Stück in gerade einer Woche um die Jahreswende 1946/47. Er drückte die Verlorenheit einer ganzen Generation aus, die nun, fremd und verloren, in eine Gesellschaft zurückkehrte, die vom Krieg nichts mehr wissen wollte. Und ihnen buchstäblich die Tür vor der Nase zuknallte.

Das "Bildwörterbuch der Architektur" definiert Tor ganz einfach als "größere Maueröffnung, meist oben geschlossen". Nichts könnte falscher sein, irreführender. Türen trennen nicht einfach zwischen Innen- und Außenwelt. Selbst eine winzige Pforte ist nicht einfach nur ein Loch in der Wand, durch das man hinein- oder hinausschlüpft. Allein die vielen Bezeichnungen für ihre Bestandteile lassen etwas anklingen, das über das Materielle hinausgeht: Türzarge oder Türfutter, Türstock, Türblatt und Blindstock. Hier hat der Zimmermann kein Loch gelassen, sondern Generation für Generation ein Ding geformt, das Menschen verbindet - oder trennt.

Heute gilt eine Wohnung ganz profan als barrierefrei, wenn die Türschwelle nicht höher als zwei Zentimeter ist (DIN 18040). Die Schwelle ist eine Gestalt gewordene Grenze. Der Übergangsritus ist uralt. Angeblich trug bereits bei den Römern der Bräutigam seine Liebste über die Türschwelle des nun gemeinsamen Heims. Hollywood macht es heute noch. Überhaupt ist es im Film ganz einfach, mit der Tür ins Haus - oder zumindest in die Wohnung zu fallen.

Unvergessen "Shining" und Jack Nicholsons teuflisches Grinsen, als er den Kopf durch das geborstene Holz schiebt. Weil Türen so symbolisch aufgeladen sind, tauchen sie immer wieder im Film auf. Besonders Drehtüren haben es Drehbuchschreibern angetan. Ob Charlie Chaplin oder "Verstehen Sie Spaß?" - das rotierende, transparente Monster ist vielen Menschen nicht geheuer. Irgendwie verständlich. Statt geradeaus zu gehen, rotiert man um eine Achse und tritt dann erst ein. Besucher stehen in einem Schaukasten, einem beweglichen Schneewittchen-Sarg. Klaustrophobiker mogeln sich daher gerne an Drehtüren vorbei.

Spätestens am Flughafen aber sind Türen auch Schleusen. Sicherheitsfachleute haben aus einfachen Zugängen hochtechnische Vereinzelungsanlagen gemacht, die als Schwenk- oder Drehtür funktionieren, als Drehsperre, oft vor Toilettenanlagen auf Autobahnraststätten oder vor dem Eintritt ins Schwimmbad, bis hin zu aufwendigen Drehkreuzen, die wahlweise in zwei Richtungen betrieben und manchmal sogar von Fahrrädern genutzt werden können. Ein Hersteller bewirbt seine Produkte als "diskrete Personenvereinzelung für repräsentative Eingangsbereiche". Wie auch immer: Etwas Angst schwingt immer mit, wenn man plötzlich mannshohen Drehkreuzen gegenübersteht, die mit stählernen Stangen den Eindruck von großen Häckslern erwecken.

Doch selbst bei Zutrittskontrollen ist die Literatur führend: Dante beschrieb in seiner "Göttlichen Komödie" die wohl finale Sperre, das Höllentor: "Lasst, die ihr eintretet, alle Hoffnung fahren!" Der Höllenschlund ist das Gegenteil aller Verheißungen, die Ali Baba hinter dem magisch verschlossenen Portal erwarten: ein umgekehrtes "Sesam, öffne dich". Wie sympathisch sind da fernöstliche Schiebetüren, die zudem die Unterscheidung von Wand und Tür fast überflüssig machen.

© SZ vom 22.06.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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