Trulli:Runde Sache

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Die Trulli in Apulien wurden vor vielen Jahrhunderten errichtet, um der Steuer zu entgehen. Heute sind die seltsamen, mörtellosen Bauten sehr gefragt. Ein großer Teil der runden Häuser wird an Touristen vermietet.

Von Oliver Herwig

Apulien ist reich an kulturellen Schätzen. Dieser hier entsprang der Armut seiner Bewohner: Häuser ohne Mörtel, sogenannte Trulli, prägen seit Jahrhunderten den Landstrich der Selva. Nur wenige Tausend der Bauten aus geschichtetem Kalkstein sind noch erhalten. Viele dienen heute als Ferienunterkünfte. Entsprechend hat sich das Bild der Trulli mit ihren gekalkten Wänden und den weißen Symbolen auf den schuppenartigen Dachkegeln gewandelt. Von Armut ist nicht mehr die Rede, eher von niedlichen Hobbit-Bauten oder Schlumpf-Häuschen. Manchen Touristen erinnern sie an versteinerte Zipfelmützen. Stein auf Stein geschichtet, bieten die besonderen Bauten einen archaischen Raumeindruck. Trulli dienten der Landbevölkerung als Speicher, Nothütten und auch als Behausung.

Tatsächlich sollen erste Rundhäuser aus prähistorischer Zeit stammen. Damals dienten Tholos, Kuppelbauten, als Grablege. Die neuzeitlichen Kraggewölbebauten aus Trockenmauerwerk, wie sie Experten nennen, waren jedenfalls schon immer Zeichen kleiner Leute, die einfachste Materialien - in diesem Fall Bruchsteine - so geschickt auftürmten, dass sie in nur einer Nacht wieder abgerissen werden konnten. Historiker sehen Trulli als Steuervermeidungsprogramme. Abgaben waren schließlich nur auf echte Häuser zu entrichten. Wo aber kein Haus, da keine Steuer. Schließlich hatten die Grafen von Conversano, genauer Giangirolamo II Acquaviva d'Aragnona verfügt, dass die Häuser der Bauern ohne Mörtel zu bauen seien. Dieses Gebot fiel erst 1797. Da waren die einzigartigen Trockenmauerbauten längst zum Wahrzeichen des Landstrichs geworden.

Man sollte sich von der äußeren Form nicht täuschen lassen. Trulli besitzen einen quadratischen Grundriss, in den massiven Mauern sind Nischen und Öffnungen untergebracht, aber kaum Fenster. Daher dienten die gedeckten Eingänge mit ihren Sitznischen Handwerkern als halboffene Arbeitsräume. Die dicken Wände waren wie geschaffen für heiße Sommer und feuchtkalte Winter.

In Deutschland findet man ähnliche Rundbauten vor allem in den Weinbergen

Trulli sind Überlebenskünstler. Von der Traufe floss Regenwasser in Zisternen, auf dem hölzernen Hängeboden über dem Hauptraum lagerten Lebensmittel geschützt vor Ratten, und auf den Dächern trockneten Obst und Gemüse. Mit ihren massiven Mauern, winzigen Öffnungen und dem zentralen Kamin erinnern sie an massive Vettern der Iglus. Heimat der seltsam-schönen Häuschen ist aber ausschließlich Apulien. Sie findet man grob zwischen Bari und Brindisi. Genauer: auf der Murgia-Hochebene. Das Valle d'Itria wird sogar "Valle dei Trulli" genannt.

Alberobello ist unbestrittene Hauptstadt der Trulli. Die 10 000-Einwohner-Gemeinde wirkt wie ein Magnet für die absonderlichen Häuschen. Wer über die wogenden Hügel mit ihren charakteristischen Trockensteinmauern und Eichen auf den Ort zufährt, sieht sie am Wegesrand. Mal picobello restauriert, dann wieder Wind und Wetter überlassen. Die Bauwerke wirken wie neolithische Zeugen einer anderen Kultur, die sich auf Alberobello hin verdichten. Hier ein Doppelkegel und dort einer, klein und groß, immer irgendwie niedlich.

Fast anderthalbtausend gibt es in Alberobello, das im Sommer von Touristen regelrecht überrannt wird. Als die Unesco 1996 das Städtchen ins Weltkulturerbe aufnahm, löste sie einen Besucherandrang aus, wie man ihn hierzulande nur aus Rothenburg ob der Tauber oder Neuschwanstein kennt. Die weiß gekalkten Steinbauten hocken dicht an dicht wie Mega-Eier, die aus dem Nest eines Riesenvogels gefallen sind. Alberobello hat einen ganzen Hang ausschließlich mit Trulli. Jedes zweite scheint inzwischen ein Andenkenladen, ein Café oder ein kleines Restaurant zu sein. Die Schilder sind auf Englisch, die Türen voller Souvenirs: Mini-Trulli aus Keramik, bunt bemalt. Angeblich haben sich hier viele Engländer eingekauft, als das Pfund gut stand, das italienische Volkserbe aufwendig restauriert und zu Ferienunterkünften aufgemöbelt. Die einfachen Häuser mit ihren meist nur zwei, drei Räumen und spartanischer Einrichtung waren perfekt für ein Urlaubsdomizil, das ohne große Möbel oder übertriebenen Komfort auskommt.

In Alberobello gibt es inzwischen den Trullo Sovrano, ein Museum auf zwei Ebenen, siamesische Trulli aus einer Doppelfassade und einer einfachen Feuerstelle sowie sogar die Chiesa di Sant'Antonio im Trulli-Stil, errichtet als Zentralbau in Form eines griechischen Kreuzes. Inmitten des fürchterlich kitschigen Dekors grüßt Pater Pio die Welt der Trulli und Menschen, die hier schon seit dem 16. Jahrhundert Kegelhäuser errichten. Ihre dunklen Bruchsteindächer kontrastieren perfekt mit den weiß getünchten Mauern und verleihen der Siedlung einen ganz besonderen Zauber.

Trulli haben Pendants in vielen mediterranen Gegenden, Kraggewölbebauten aus Trockenmauerwerk finden sich selbst in England und in Deutschland. In rheinhessischen Weinbergen heißen die Rundbauten, die an Trulli erinnern, "Wingertsheisje" - Weinbergshäuschen. Und auch die moderne Architektur wendet sich Trockensteinmauern und groben Platten zu. Um Steuervermeidung geht es den heutigen Bauherren aber nicht.

© SZ vom 01.06.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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