Paul Kirchhof, 64, fordert seit langem ein einfaches, aber gerechtes Steuerrecht: 25 Prozent Steuersatz für alle, keine Ausnahmetatbestände mehr. Steuerhinterziehung, sagt der ehemalige Bundesverfassungsrichter, sei ein bedrohliches Phänomen, dem man nicht durch schärfere Strafen beikomme - sondern nur durch einfache, klare Steuerregeln.
Reform statt höherer Strafe: Ex-Verfassungsrichter Kirchhof.
(Foto: Foto: Reuters)Süddeutsche Zeitung: Herr Professor Kirchhof, viele Bürger fragen sich, warum ausgerechnet die Reichen, die es nicht nötig hätten, Steuern hinterziehen.
Paul Kirchhof: Auch ich staune darüber, dass Menschen, die genug Geld haben, um sich trotz Steuern das Leben angenehm zu machen, ein so unglaubliches Risiko eingehen, durch Bestrafung ihre Lebenssituation fundamental zu verschlechtern.
SZ: Sind vielleicht Experten wie Sie schuld, die den Bürgern einhämmern, dass der Staat ihnen zu viel Geld abverlangt? Wer den gefräßigen Staat illustriert, muss sich nicht wundern, wenn die Bürger sich dessen Zugriff entziehen.
Kirchhof: Das Gegenteil ist richtig. Das Problem ist nicht so sehr der starke Zugriff, sondern der unverständliche Zugriff. Wir beklagen die Ungleichheit und Ungerechtigkeit der Besteuerung. Angesichts relativ hoher Steuersätze und zahlreicher Ausnahmetatbestände muss jeder Steuerzahler denken, dass die anderen besser wegkommen. Also sucht er nach Lücken. Der Respekt vor dem Steuergesetz, das Vertrauen in das Recht geht verloren.
SZ: Was kann man dagegen tun?
Kirchhof: Wenn man alle legalen Ausweichmöglichkeiten vermeidet und einen einheitlichen Steuersatz von zum Beispiel 25 Prozent einführt, den wirklich jeder zahlen muss, verschwindet der Anreiz zur Steuergestaltung. Mein Ziel ist, dass jeder die Gewissheit hat, dass der andere einen gleich großen Prozentsatz Steuern zahlt.
SZ: Was macht Sie so sicher, das Verhalten der Bürger beeinflussen zu können? Handelt es sich nicht um ein Grundübel, Habgier im Sinne einer der sieben Todsünden, die dem Menschen angeboren ist?
Kirchhof: Das glaube ich nicht. Doch die Deutschen sind von Beginn ihres Berufslebens an daran gewöhnt worden, Steuervermeidung zu betreiben. Wenn ein Existenzgründer eine Gesellschaft mit beschränkter Haftung, eine GmbH, gründen will, weil er das persönliche Risiko scheut, sagt ihm der Steuerberater, dass eine GmbH & Co KG besser ist. Und dann, dass eine doppelstöckige GmbH & Co KG noch besser ist. Das versteht der Bürger zwar nicht, erfährt aber, dass Steuern sich allein durch Änderung des Rechtskleides sparen lassen. Die Steuerlast scheint nicht mehr unausweichlich.
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