Spritpreise:Die Jagd nach dem letzten Cent

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Von den Milliardengewinnen der Ölkonzerne kommt bei den deutschen Tankstellenpächtern wenig an, sie kämpfen ums Überleben - trotz steigender Spritpreise.

Silvia Liebrich

Nadine Ritter muss reagieren. Die Jet-Tankstelle um die Ecke hat ihre Preise für Benzin und Diesel um mehr als zwei Cent gesenkt. Zwei Konkurrenten in der näheren Umgebung haben nachgezogen. Wenn sie nicht riskieren will, dass der Hof ihrer Aral-Station leer bleibt, muss sie auch mit den Preisen runter - und das möglichst schnell. "Sonst macht die Konkurrenz das Geschäft", sagt die zierliche Person mit dem dunklen Pferdeschwanz.

Seit sechs Jahren ist sie in der Branche, ein Jahr davon als selbständige Pächterin. Die 24-Jährige betreibt in Bochum eines der Vorzeigeobjekte von Aral, direkt an der Auffahrt zur Autobahn A 43. Die Einrichtung der Tankstelle ist hell und modern, der hellgrau geflieste Fußboden blitzblank. Akkurat einsortiert sind die Warenregale des Shops. Während es draußen stürmt und regnet, zischt an der Kaffeebar der Milchaufschäumer.

An diesem Nachmittag hat es Nadine Ritter eilig, an den Computer zu kommen. Das Ergebnis ihrer täglichen Sondierungsfahrt im Stadtviertel hat ihren Verdacht bestätigt: Viele Autofahrer tanken lieber bei der billigeren Konkurrenz. Eigenmächtig senken darf sie die Preise an ihrer Station jedoch nicht. Ob sie Benzin oder Diesel billiger verkaufen darf, das wird ein paar Straßenzüge weiter entschieden, in der Bochumer Aral-Zentrale - wie alles andere, was mit Preisen zu tun hat. Und nicht immer ist Nadine Ritter mit dem einverstanden, was dort entschieden wird. Etwa dann, wenn man ihr Ansinnen ablehnt und deswegen nicht nur weniger getankt wird, sondern auch das Geschäft im Shop und im Bistro schlechter läuft.

Knallharter Verdrängungswettbewerb

Im Tankstellengewerbe tobt ein gnadenloser Verdrängungswettbewerb. Der Kraftstoffverbrauch in Deutschland geht seit 1994 stetig zurück. 15000 Tankstellen kämpfen um eine Kundschaft, die immer weniger tankt. Nach Ansicht von Experten sind das mindestens 3000 zu viel. Die überzähligen Stationen dürften in den nächsten Jahren nach und nach vom Markt verschwinden.

Ende November schrammte die Rohölnotierung nur knapp unter der 100-Dollar-Marke vorbei. Seit auch die Kraftstoffpreise Rekordhöhen erreicht haben, drehen die meisten Autofahrer erst recht jeden Cent zweimal um. Viele sind wütend - auf die Ölkonzerne, den Staat und natürlich die Tankstellenbesitzer. Mit Unverständnis reagieren sie auch darauf, dass Diesel inzwischen mancherorts so viel kostet wie der andere Sprit und Normal-Benzin soviel wie Super. "Das ist reine Geschäftemacherei, auf unsere Kosten", schimpft ein Pizzabäcker.

Diesen Unmut bekommt auch Petra Varga täglich zu spüren. Die 41-Jährige führt eine freie Tankstelle in der oberbayerischen Ortschaft Weßling in der Nähe des Ammersees. "Da hilft nur: ruhig bleiben, tief durchatmen und immer wieder erklären.

Das gehört zum Job, jammern hilft da nichts", meint die große, schlanke Frau mit dem burschikosen Kurzhaarschnitt und lacht dabei. Sie weiß, wovon sie spricht; seit 16 Jahren ist sie bei der kleinen, unabhängigen Tankstellenkette BK im benachbarten Herrsching unter Vertrag. Dass ihr ständig vorgehalten wird, sie verdiene sich eine goldene Nase mit angeblich überhöhten Spritpreisen, ärgert sie trotzdem. Petra Varga will, dass ihre Kunden verstehen, wie Kraftstoffpreise zustande kommen und wer daran verdient.

Heiko Wiegand, der für die Preispolitik von Aral zuständig ist, hat es genau ausgerechnet. Eine bunte Kuchengrafik, die von einem Projektor an die Wand geworfen wird, soll anhand eines Beispiels seine Erklärungen unterstreichen und deutlich machen, dass es der Staat ist, der hier abkassiert - mit Mineralöl- und Ökosteuer plus Mehrwertsteuer. Kostet ein Liter Super an der Zapfsäule 139 Cent, dann fließen 63 Prozent davon in die Staatskasse.

Der reine Warenwert beläuft sich auf 33 Prozent. Hinzu kommt ein Kostenanteil von vier Prozent für Transport, Pächter-Provisionen und mehr. Darin sei auch ein magerer Gewinn für Aral einkalkuliert, beteuert Wiegand. "Es ist das Spiel um einen Cent." Wer also glaube, dass für Aral hier viel zu holen sei, liege falsch. Das große Geld werde woanders gemacht, etwa bei der Rohstoffförderung, im Rohölhandel und mit Raffinerien. Doch er muss einräumen: Auch die zum BP-Konzern gehörende Aral, mit 2500 Stationen vor Shell der größte Anbieter auf dem hart umkämpften Tankstellenmarkt, ist im Raffineriegeschäft tätig und verdient in diesem Bereich bestens.

Anlaufstelle für die 2500 Tankstellenbetreiber

Von den Milliardengewinnen, die die Ölkonzerne derzeit anhäufen, kommt bei Tankstellenpächtern jedoch kaum etwas an. Für jeden verkauften Liter Sprit bekommen sie in der Regel nur ein bis zwei Cent Provision, je nach Vertragsgesellschaft. "Das reicht gerade so aus, um die laufenden Unkosten für die Pacht, Strom und die Wartung der Tankanlage zu begleichen", sagt Varga.

Ohne die Einnahmen aus ihrem kleinen Tankstellenladen und der Lottostelle würde sich ihre Station nicht tragen. Das gilt auch für Nadine Ritter ein paar hundert Kilometer weiter in Bochum. Auch sie erwirtschaftet mehr als zwei Drittel ihres Gewinns mit dem Aral-Shop und dem dazugehörenden Bistro. Am meisten bringt der Zigarettenverkauf, erst recht, seit der Gesetzgeber den Verkauf an Automaten erschwert hat.

Keine Tankstelle will daher teurer sein als der Konkurrent um die Ecke. Bleiben die Zapfsäulen verwaist, läuft auch das Laden-Geschäft schlecht. Und das schmälert empfindlich den Verdienst. Konflikte zwischen Pächtern und Ölkonzernen sind deshalb programmiert. Kraftstofflieferanten wie Aral wollen möglichst viel an jedem verkauften Liter verdienen, je höher der Preis, desto höher der Ertrag. Pächter haben dagegen das Ziel, möglichst viel zu verkaufen. Das geht nur, wenn sie Benzin und Diesel möglichst günstig anbieten können.

Zwischen den Parteien wird deshalb ständig gefeilscht. Katharina Loosers Aufgabe ist es, diese Konflikte zu lösen. Sie ist eine von 13 Preismachern in der Aral-Zentrale. Die sogenannte Pricing-Abteilung ist die Anlaufstelle für die 2500 Tankstellenbetreiber des Unternehmens. Anträge auf Preissenkung wie der von Nadine Ritter landen auf dem Schreibtisch der 28-jährigen Analystin. Ein ruhiger Job ist das nicht. "Jeder kann seine Preisvorstellungen anmelden, ein Wunschkonzert ist das hier aber nicht", stellt sie klar.

Korrektur in Sekunden

Zwar lassen sich die meisten Anträge routinemäßig mit Hilfe von "Rosi" bearbeiten, einer speziellen Software, die täglich mit aktuellen Daten gefüttert wird und automatisch Preise festlegen kann. Über Anfragen, die aus dem Rahmen fallen, muss Katharina Looser jedoch selbst entscheiden. Dazu gehört auch, aufgebrachte Pächter zu beruhigen, die mit ihren Entscheidungen nicht einverstanden sind. Sätze wie "Wollt Ihr meine Existenz ruinieren? Bei mir ist der ganze Hof leer", bekommt sie häufiger zu hören. Da gilt es, Ruhe zu bewahren "Man muss die Emotionen auf ein sachliches Niveau bringen", sagt sie.

Entscheidend für die Arbeit der Preismacherin sind mehrere Kriterien. Neben den Notierungen in Rotterdam, dem wichtigsten Umschlagplatz für Raffinerieprodukte in Europa, zählt dazu vor allem die Wettbewerbslage im regionalen Umfeld der einzelnen Tankstellen.

Deren Betreiber haben ihre Konkurrenten genau im Blick. Entweder sie drehen regelmäßig ihre Runden im Viertel. Noch einfacher ist es aber, ins Internet zu schauen. Die meisten Unternehmen machen aus ihren Preisen längst kein Geheimnis mehr und veröffentlichen die aktuellen Daten jeder einzelnen Station im Bundesgebiet im Netz. Dies erleichtert auch der Aral-Analystin die Arbeit. So kann sie Angaben, die in Anträgen von Pächtern zur Konkurrenzsituation stehen, überprüfen. "Es kommt schon vor, dass der ein oder andere hier schummelt", sagt Looser.

Die Preispolitik der Tankstellenkonzerne hat sich in den vergangenen Jahren dramatisch geändert. Die Zeiten, in denen der Tankwart erst einmal in aller Ruhe eine lange Leiter hervorziehen konnte, um in luftiger Höhe die Lettern auf den großen Preistafeln auszutauschen, sind passé. Heute geschieht dies auf Knopfdruck. Kommt die neue Preisorder aus der Zentrale, wird die Korrektur in Sekunden umgesetzt.

Konkurrenten belauern sich misstrauisch

Mehrere Preisanpassungen nach oben oder unten im gesamten Tankstellennetz innerhalb einer Woche sind gang und gäbe - auch bei Aral. Manchmal werden die Preise sogar innerhalb weniger Stunden geändert, je nach Lage auf dem Rohstoffmarkt.

Das machen nicht nur die großen Markenkonzerne so, sondern auch die kleinen freien Tankstellen, wie Dietmar Possart versichert. Er ist Chef der BK-Kette mit 24 Tankstellen, der auch Petra Varga mit ihrer Station in Weßling angeschlossen ist. Für Außenstehende könne so leicht der Eindruck entstehen, dass sich die Tankstellen bei Preiserhöhungen absprechen, meint Possart, der auch im Vorstand des Bundesverbandes Freier Tankstellen und Mineralölhändler sitzt. "Der Vorwurf ist lächerlich. Wer sich im Geschäft auskennt, weiß, dass das unter den gegebenen Umständen gar nicht notwendig ist."

Die Konkurrenten belauern sich so misstrauisch, dass ein Ausscheren kaum möglich ist. Wer keinen Preiskrieg riskieren will, hält sich an die ungeschriebenen Gesetze in der Branche. So wird etwa ein Preisunterschied von mindestens einem Cent je Liter zwischen großen Marken wie Shell, Aral oder Esso und Billiganbietern wie Jet stillschweigend akzeptiert. Riskiert ein Anbieter ungewöhnliche Preissprünge, kann er sicher sein, dass die anderen folgen werden.

Wie von Geisterhand

Ein Preiskampf könnte die Beteiligten teuer zu stehen kommen. Vor etwa sieben Jahren hat ein solcher die Branche schätzungsweise 500 Millionen bis eine Milliarde Euro gekostet. Ausgelöst wurde er durch die DEA-Kette, die inzwischen von Shell aufgekauft ist, mit der Einführung eines Rabattkarten-Systems. Dies hat den Kraftstoff für Kartenbesitzer de facto um etwa einen Cent günstiger gemacht. Es folgte eine Preisschlacht unter den Anbietern, der so weit ging, dass Benzin und Diesel sogar unter Einkaufspreisen verkauft wurde.

Das Kartellamt musste machtlos zusehen. Eine Klage gegen Aral wegen angeblicher Behinderung von kleinen Wettbewerbern scheiterte unter anderem an der fehlenden Rechtsgrundlage. Inzwischen hat sich die jedoch geändert. Vor kurzem wurde das Kartellrecht novelliert, und der Verkauf von Ware unter Einstandspreisen ist seitdem verboten. Wer erwischt wird, muss saftige Strafen zahlen.

Nadine Ritter muss das nicht interessieren. Die Tankstellenpächterin in Bochum hört endlich das vertraute Geräusch, auf das sie seit 20 Minuten wartet. Die Kasse wirft wie von Geisterhand eine Abrechnung aus. Absender ist die Preiszentrale von Aral. Die große digitalen Preistafel draußen vor der Tür beginnt zu rattern. Kurz darauf sind Benzin und Diesel um einen Cent günstiger als vorher. Zumindest an diesem Tag hat sich die junge Pächterin durchgesetzt.

© SZ vom 08.12.2007/woja - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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