Spontanes Wachstum:Geht's uns wieder gut?

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Die deutsche Wirtschaft brummt - derzeit vielleicht mehr als in den übrigen großen Industrienationen. Das kommt ein wenig überraschend.

Hans von der Hagen

Man hatte sich mittlerweile daran gewöhnt. Die deutsche Wirtschaft führte nur noch dort, wo es andere nicht tun wollten: die meisten Urlaubstage, die höchsten Arbeitskosten, die schlappsten Strukturen und der gewaltigste Beamtenapparat.

Doch dort, wo es drauf ankam, war Deutschland Schlusslicht: beim Wachstum. Gefühlt war es nicht vorhanden - null Komma irgendwas. Und jetzt? Jubelmeldungen allerorten. Die Läden werden offenbar überrannt, die Arbeitslosenzahl fällt und die Stimmung steigt.

Für wenige Monate könnte sich Deutschland womöglich gar an die Spitze der führenden Wirtschaftsnationen, der G7-Staaten, setzen. Mehr Wachstum als in den USA, sagt die Postbank - das hätte es seit der Wende nicht mehr gegeben. Um 3,4 Prozent soll es im vierten Quartal mit dem Bruttoinlandsprodukt im Vergleich zum Vorjahresquartal bergauf gehen. In den USA sind es 2,9 Prozent und in Großbritannien 2,8 Prozent. Die relative deutsche Stärke begründet sich also auch mit der relativen Schwäche der übrigen Länder.

Jenseits aller Prognosen

Für das Gesamtjahr könnte der Wert bei 2,7 Prozent liegen. So kräftig wuchs die deutsche Wirtschaft zuletzt im Jahr 2000. Und es ist weit mehr als im Vorjahr kollektiv demütig prognostiziert wurde: Der Sachverständigenrat hatte mit einem Prozent gerechnet, die sechs Wirtschaftsforschungsinstitute mit 1,2 Prozent. Abweichungen dieses Ausmaßes liegen nicht mehr im Rahmen der üblichen Prognosefehler. Irgendetwas ist da weit besser gelaufen als erwartet. Nur was?

Etwa die Bauwirtschaft: Sechs Jahre lang hatte es hier keine Zuwächse gegeben und 2006 errechnet sich dann gleich ein Plus von vier Prozent. Auch wenn sich ein erheblicher Teil davon auf die Abschaffung der Eigenheimzulage zurückführen lässt, ist eine derart deutliche Wende nicht antizipiert worden.

Gut läuft daneben das Exportgeschäft. Das, was Deutschland in die Welt verkauft, trägt derzeit rund 0,6 Prozentpunkte zum Wachstum bei. Hier profitiert Deutschland vor allem von den boomenden Absatzmärkten in Asien.

Die rapide Verbesserung am Arbeitsmarkt hatten die Volkswirte ebenfalls nicht auf der Rechnung: Derzeit werden jeden Monat knapp 30.000 neue Stellen geschaffen. Selbst wenn dies wohl überwiegend im Leiharbeitsbereich geschieht - es entlastet die öffentlichen Kassen und die Sozialsysteme enorm und stützt auf längere Sicht den Konsum.

Was WM und Mehrwertsteuererhöhung gemeinsam haben

Doch noch macht sich der Aufschwung im Portemonnaie der Bürgern angesichts der vielerorts sinkenden Realeinkommen nicht bemerkbar. Zwar dürfte der Konsum im laufenden Jahr um 1,3 Prozent zulegen - was im Vergleich zu den letzen Jahren schon viel ist - doch wirkt hier vor allem die Mehrwertsteuererhöhung. Die Verbraucher ziehen Einkäufe in das laufende Jahr vor, was zuweilen mit einem boomenden Weihnachtsgeschäft verwechselt wird. Die Mehrwertsteuererhöhung trägt nach Berechnungen der Postbank in diesem Jahr 0,3 Prozentpunkte zum Wachstum bei - genauso so viel übrigens wie die Fußball-WM.

Im Januar werde der Konsum aber wieder zurückfallen und sich dann nur langsam erholen, befürchten die Experten. Da er 60 Prozent zum Bruttoinlandsprodukt beiträgt, dürfte das Wirtschaftswachstum Deutschlands im kommenden Jahr im Vergleich zu den übrigen G7-Staaten denn auch nur noch mittelmäßig ausfallen.

Pessimisten gehen gar nur von einem Prozent aus, andere rechnen unterdessen erneut mit einer zwei vor dem Komma. Und dann könnte es uns vielleicht wirklich langsam besser gehen.

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