Société Générale:Was passiert mit Kerviel?

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Die Ermittlungen um den Skandalhändler Jérôme Kerviel und die Bank Société Générale sind abgeschlossen. Die wichtigsten Fragen und Antworten zu dem spektakulären Fall.

Michael Kläsgen

Im Fall Kerviel sind die Staatsanwälte vorangekommen. Die Ermittlungen sind so gut wie abgeschlossen. Die SZ beantwortet die wichtigsten Fragen zu dem Händler, der die französische Bank Société Générale Anfang des Jahres um fünf Milliarden Euro erleichterte.

War Kerviel ein Einzeltäter?

Offensichtlich ja. Jérôme Kerviel wird aller Voraussicht nach der einzige Angeklagte im Strafprozess sein. Die Anklage dürfte auf Fälschung und Gebrauch gefälschter Urkunden, Vertrauensmissbrauch und widerrechtliches Eindringen in ein Computersystem lauten. Auf diese Vergehen zielten die Ermittlungen. Die These, wonach Kerviel nicht allein gehandelt habe, verwarf die Staatsanwaltschaft nach gegenwärtigem Erkenntnisstand. Sein Assistent Thomas Mougard führte zwar etwa jedes achte Termingeschäft im Auftrag Kerviels aus und beglückwünschte ihn am 31. Dezember 2007 per E-Mail zu einem Gewinn von 1,4 Milliarden Euro. Aber eine Komplizenschaft konnte die Staatsanwaltschaft offenbar nicht erkennen.

Was ergaben die Ermittlungen?

Kerviel war - soweit bekannt - der Einzige in seinem Team von acht Leuten und im Handelssaal von Société Générale, der kriminelle Energie aufwandte, um seine Gewinne und damit seinen Bonus zu maximieren. Er kaufte zum Teil bis zu 6000 Terminkontrakte pro Tag. Zwar überzog er nicht als Einziger das Handelslimit von 125 Millionen Euro für das Team. Aber er verschleierte seine Geschäfte aufwendig mit fiktiven und unerlaubten Gegengeschäften. So zockte er im März 2007 mit 30 Milliarden Euro ungesicherten Kontrakten. Im Januar 2008 schwoll das Volumen auf 50 Milliarden Euro an. Er kaschierte sein Treiben, indem er als Erster ins Büro kam und als Letzter ging und kaum Urlaub machte. Kerviel verheimlichte der Bank Anfang 2008 sogar seinen Jahresgewinn von 1,4 Milliarden Euro, was mehr als der Hälfte des Umsatzes entsprach, den die ganze Wertpapierabteilung erzielte. Er meldete lediglich einen Gewinn von 55 Millionen Euro. Sonst, so fürchtete er, fliege auf, mit welch hohen Summen er jonglierte.

Was macht Kerviel im Moment?

Er hat einen Vertrag bei der Informatikberatungsfirma LCA (Lemaire Consultants & Associés) und verdient monatlich 4000 Euro brutto. Er ist einer von sieben Angestellten in der Firma im Pariser Vorort Levallois-Perret. Dort war er untergeschlüpft, nachdem seine Milliardengeschäfte im Januar aufgeflogen waren. Außerdem bereitet er sich neben den noch fast wöchentlichen Anhörungen auf den bevorstehenden Prozess vor. Von Wertpapieren muss er bis auf Weiteres die Finger lassen: Er muss sich laut polizeilicher Auflage von Handelssälen fernhalten sowie alles unterlassen, was mit seinem früheren Job zu tun hat.

Was passiert mit ihm?

Solange er nicht verurteilt ist, bleibt Kerviel auf freiem Fuß. Wirklich frei ist er aber nicht, der ehemalige Aktienhändler muss sich regelmäßig bei der Polizei melden und darf den Großraum Paris nur mit behördlicher Genehmigung verlassen. Seinen Pass und seinen Ausweis hat die Polizei beschlagnahmt.

Wie geht es juristisch weiter?

Mit einem Prozess ist erst 2009 zu rechnen, möglicherweise schiebt sich der Beginn weit ins nächste Jahr. Nach Abschluss der Ermittlungen durch die Staatsanwaltschaft haben die Anwälte beider Parteien drei Monate Zeit, um weitere Beweise vorzulegen oder Zeugen zu benennen. Die Ermittler beginnen derweil mit der Niederschrift der Anklage.

Wird es einen Deal geben?

Gegenwärtig schließen die Anwälte einen Deal, eine einvernehmliche Lösung vor Gericht, kategorisch aus. Es ist so gut wie ausgeschlossen, dass sich bis zu Prozessbeginn daran etwas ändert.

Verbringt Kerviel den Rest seines Lebens hinter Gittern?

Im widrigsten Fall kann Kerviel dem Vernehmen nach zu sieben Jahren Haft und einer Geldstrafe von bis zu 750 000 Euro verurteilt werden. Dass es zu der Höchststrafe kommt, ist aber angesichts der offensichtlichen Kontrollmängel, die die Bank zum Teil bereits eingestanden hat, eher fraglich.

Ist er ein reicher Mann, hat er sich persönlich bereichert?

Kerviel war einer der am schlechtesten bezahlten Händler in der Abteilung Delta One. Er verdiente zuletzt 48 500 Euro monatlich und erhielt Anfang 2007 einen Bonus von 50 000 Euro. Zwar fingierte er Geschäfte, für eine persönliche Bereicherung gibt es aber keine Indizien.

Ist Kerviel verrückt?

Nein. Er ist und war voll zurechnungsfähig und damit auch voll schuldfähig. Das ergab ein unabhängiges psychologisches Gutachten, das die Ermittler in Auftrag gaben und diese Woche veröffentlichten. Er war auch nicht selbstmordgefährdet und wollte nicht der Bank schaden, wie der ehemalige Bankchef Daniel Bouton am 24. Januar, als die Affäre aufflog, andeutete. Bouton stellte ihn als depressiven, destruktiven, psychisch labilen Händler mit genialen Zügen dar und deutete damit an, dass Kerviel verrückt sei.

Welche Folgen hatten Kerviels Milliardenspekulationen für die Bank?

Die Bank wechselte die gesamte Führungsmannschaft aus. Nicht nur Bankenchef Bouton verabschiedete sich in den Aufsichtsrat. Auch Jean-Pierre Mustier musste seinen Posten räumen. Mustier war bisher Chef der Investmentbank-Sparte und galt ursprünglich als heißer Kandidat für die Bouton-Nachfolge. Der Chef der Handelsabteilung, Pierre-Yves Morlat, und der Leiter der Abteilung für Aktien- und Derivatehandel, Luc François, schieden auf eigenen Wunsch aus dem Unternehmen aus. Gefeuert hat die Bank Kerviels direkten Chef Eric Cordelle und den Abteilungsleiter Martial Rouyère sowie Kerviels Assistenten Thomas Mougard. Niemand aus dem Umfeld von Kerviel ist mittlerweile noch auf seinem Posten. Die Bank will außerdem bis Mitte 2009 gut 100 Millionen Euro in den Aufbau neuer Kontrollsysteme und Abläufe investieren.

Warum hat Kerviel das gemacht?

Der Händler hat sich öffentlich bisher zu seinen Motiven nicht geäußert, weshalb darüber nur spekuliert werden kann. Aus dem psychologischen Gutachten geht hervor, dass er nach Anerkennung strebte. Seine riesigen Gewinne motivierten ihn, immer neue Risiken in Kauf zu nehmen. Seine Anwälte verweisen darauf, dass er angesichts seines relativ geringen Grundgehalts wenigstens einen hohen Bonus erzielen wollte. Außerdem wollte Kerviel befördert werden, sah aber bei Neubesetzungen oft die Absolventen von Eliteschulen an sich vorbeiziehen. Kerviel hingegen studierte an einer durchschnittlichen Universität und wuchs in vergleichsweise bescheidenen Verhältnissen im bretonischen Pont l'Abbé auf. Seine inzwischen pensionierte Mutter hatte einen Friseursalon, sein vor zwei Jahren verstorbener Vater war Ausbilder in einer Lehrlingswerkstatt für metallverarbeitende Berufe.

© SZ vom 28.6.2008/hgn - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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