So wohnt die Welt (2):Tiefe Einblicke

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In den schwedischen Großstädten sind Wohnungen klein, teuer und schwer zu bekommen. Außerdem ist der Immobilienmarkt kompliziert und voller Tücken - aber zum Glück hat jeder Schwede ein Domizil im Grünen.

Gunnar Herrmann

Wie wohnt es sich in anderen Ländern? Decken sich alle Schweden mit Ikea-Möbeln ein? Hat Australien eine eigene Wohnkultur? Legen Japaner Wert auf Balkone? Besitzen die Franzosen ein herzlicheres Verhältnis zu ihren Hausnachbarn als die Deutschen? Warum haben Niederländer selten Gardinen? Und: Wie findet man im Ausland eine geeignete Mietwohnung, und was kostet sie? In einer neuen Serie gehen die SZ-Auslandskorrespondenten all solchen Fragen nach.

Ein rotes Holzhaus am Wasser mit einem Bootssteg davor und einem großen Garten ohne Zaun - so lernen Ausländer die schwedische Wohnkultur kennen, wenn sie Urlaub in Skandinavien machen. Auch die Schweden machen gerne Urlaub in solchen Häusern, aber die wenigsten wohnen tatsächlich so.

Die gängigste Wohnform ist dagegen - wie in den meisten Nachbarländern im Süden auch - die kleine Wohnung in der großen Stadt. In Schweden sind diese Wohnungen manchmal sehr klein, sehr teuer und schwer zu bekommen. Außerdem ist der Immobilienmarkt kompliziert und voller Tücken. Wer als Fremder in den Norden kommt, benötigt zunächst eine eingehende Beratung, bevor er halbwegs versteht, was er beachten muss, bevor er sich niederlässt.

Besonders auf dem Mietwohnungsmarkt in größeren Städten wie Stockholm ist das Angebot knapp. In der Hauptstadt reihen sich deshalb vor allem junge Schweden in die "Bostadskö" ein, in die "Wohnungswarteschlange". Dieses Verteilsystem wird von der Stadtverwaltung betrieben. Es soll garantieren, dass auch auf dem heiß umkämpften Markt alles ganz gerecht zugeht. Jeder bekommt erst dann eine Wohnung, wenn er an der Reihe ist, egal wie viel er verdient oder was er bereit ist, an Miete zu zahlen.

Das hört sich bürokratisch an, und das ist es auch: Manchmal warten die Menschen mehrere Jahre auf eine Unterkunft. Während sie das tun, wohnen sie meist zur Untermiete. Untermietangebote sind nämlich leichter zu finden; denn jeder, der einmal nach langer Wartezeit einen richtigen Mietvertrag ergattert hat, behält diesen so lange wie nur irgend möglich. Auch wenn er zum Bespiel ins Ausland zieht - dann wird ein Untermieter gesucht.

Die Kündigung eines Mietvertrags würde schließlich bedeuten, dass man sich später irgendwann wieder in der "Bostadskö" anstellen muss. Wer innerhalb einer Stadt umziehen möchte oder zum Beispiel eine größere Bleibe braucht, versucht meistens seine Wohnung mit der eines anderen Mieters zu tauschen. Solche Geschäfte werden durch eine Besonderheit im schwedischen Mietrecht erleichtert.

Tauschanzeigen füllen mehrere Seiten in den Tageszeitungen, Mietangebote sind dagegen kaum zu finden.

Weil Mietwohnungen also knapp sind, kaufen sich die meisten Schweden ein Heim, sobald sie es sich leisten können. Wobei in Schweden meist nicht die Wohnung selbst gekauft wird, sondern das "Bostadsrätt" - man kann diesen Begriff mit "Wohnrecht" übersetzen, denn genau das ist gemeint. Man erwirbt das Recht zur Nutzung einer Wohnung, aber nicht die Wohnung selbst, die gehört nach wie vor der Baugesellschaft. Und da diese Gesellschaft sich um Pflege und Erhalt der Wohnanlage kümmert, verlangt sie eine monatliche Gebühr. In manchem Fällen kann die so hoch sein wie die Miete für eine vergleichbar große Wohnung.

Gemeinschaft ist wichtig in einer schwedischen Wohnanlage. Wenn die Treppen gefegt und das Unkraut im Vorgarten gejätet ist, trifft man sich gerne auch zum Mittsommerfest, zum gemeinsamen Flusskrebsessen im August oder zum Frühlingsfeuer in der Walpurgisnacht.

Auch sonst pflegen die Schweden einen offenen Umgang mit ihren Nachbarn. Wer einmal nachts durch eine schwedische Kleinstadt geht, dem gewähren die Fenster einen tiefen Einblick in die Wohnräume. In einem typischen Fenster leuchten Stehlämpchen auf dem Fensterbrett, und auch der Rest der Einrichtung ist mit kleinen Dingen wie Kerzen, Blumenvasen, Obstschalen und Ähnlichem durchsetzt - als würde man an einem Ikea-Katalog vorbeilaufen.

Man kann solche Beobachtungen von der Straße aus anstellen, denn Rollläden sind eine Ausnahme und schwedische Gardinen sind meistens nicht zugezogen. Weit oben im Norden des Landes, wo die Wälder groß und die Siedlungen klein sind, verzichten manche Leute sogar darauf, ihre Wohnungstür abzusperren. Selbst wenn sie nicht zuhause sind. Dann wird einfach ein Besen vor den unverschlossenen Eingang gestellt. Er signalisiert dem Besucher: Ich bin nicht da, aber du kannst gerne reinkommen und dir schon mal einen Kaffee machen. Da es in Nordschweden extrem kalt werden kann, wäre es unhöflich, einen Gast im Wald stehen zu lassen.

Aber wie gesagt: Das richtige Landleben bleibt einigen Wenigen vorbehalten. Aber auch in den Städten wollen die Schweden nicht darauf verzichten. Das wohl am häufigsten gebrauchte Adjektiv in Wohnungsanzeigen ist "naturnah".

In der Idealvorstellung des Skandinaviers liegt selbst die zentrale Stadtwohnung in unmittelbarer Nähe zu einem Wald, einem See oder irgendeiner Form von Ufer. Da Städte wie Stockholm über ausgedehnte Grünanlagen verfügen, kommen viele Wohnungen diesem Ideal sogar nahe.

Und wer dann immer noch Sehnsucht nach der Natur hat, der findet schließlich Trost in den Ferienhäusern des Landes. Viele Schweden besitzen eines oder haben zumindest die Möglichkeit, über Verwandte oder Bekannte günstig ein Sommerdomizil zu nutzen: ein rotes Holzhaus am Wasser mit einem Bootssteg davor und einem großen Garten ohne Zaun.

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