Regulierung der Finanzmärkte:Angelsächsisches Modell am Ende

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Alle Vorstöße für mehr Transparenz auf den Finanzmärkten prallten bislang an der angelsächsischen Front ab. Nun müssen die Verteidiger der unbeschränkten Marktfreiheit begreifen, dass ihr Modell zahllose Volkswirtschaften in den Abgrund reißt.

Hans Eichel

Warnende Stimmen hat es genug gegeben. Seit Jahren haben die Kontinental-Europäer in der G-8-Gruppe immer wieder auf mehr Transparenz in den Finanzmärkten und bessere Regulierung gedrängt; zunächst die Finanzminister, 2005 auch Bundeskanzler Gerhard Schröder beim G-8-Gipfel in Gleneagles.

Hans Eichel (SPD), Bundesfinanzminister von 1999 bis 2005. (Foto: Foto:)

Alle Vorstöße prallten an der angelsächsischen Front ab. Hauptverteidiger der unbeschränkten Marktfreiheit war Alan Greenspan. Dass es so schlimm kommen würde, wie wir es jetzt erleben, hat freilich niemand vorausgesehen.

Vor einem halben Jahr richteten ehemalige Präsidenten der EU-Kommission, europäische Regierungschefs und Finanzminister, darunter Jacques Delors, Helmut Schmidt, Poul Nyrup Rasmussen und der Verfasser dieses Artikels einen Appell an die EU-Kommission und die EU-Ratspräsidentschaft, eine Konferenz der großen Industrie- und Schwellenländer einzuberufen, um Vorschläge zu erarbeiten, wie die Krise an den Finanzmärkten eingedämmt werden könne, welche grundlegenden Änderungen vorzunehmen seien. Wir befürchteten eine dramatische Entwicklung. Sie ist eingetreten.

Jetzt braucht es zuerst und vor allem Krisenmanagement. Der Zusammenbruch der Finanzmärkte mit dann unabsehbaren Konsequenzen für die Realwirtschaft muss verhindert, deren Liquidität gesichert werden. Das ist den Regierungen und Notenbanken bisher in guter Zusammenarbeit gelungen. Und die französische EU-Ratspräsidentschaft will jetzt auch eine globale Konferenz zur Neuordnung des Weltfinanzsystems einberufen.

Der ursprüngliche Zweck der Finanzmärkte war die Versorgung der Realwirtschaft mit Krediten. Dazu gab und gibt es die Börsen und die Banken. Im Laufe der Jahrzehnte sind dann - immer mehr und immer schneller - neue Spieler auf den Markt gekommen: Hedge-Fonds, Pensionsfonds, Staatsfonds, Private Equity Fonds und Rating-Agenturen, sie alle sind nicht oder nur gering reguliert und intransparent.

Immer mehr und immer größere unregulierte Offshore-Finanzzentren und Steueroasen sind entstanden. Rechtlich haben dort die meisten all dieser neuen Spieler ihren Sitz, eben um sich vor Regulierung und Transparenz zu schützen. Tatsächlich operieren aber die meisten von ihnen aus der Wall Street oder der Londoner City heraus.

Sie erfinden immer mehr und immer schneller neue Produkte, die immer undurchschaubarer werden. Die Geschäfte zwischen den Finanzmarktteilnehmern, abseits der Realwirtschaft, nehmen mit atemberaubender Geschwindigkeit und in atemberaubendem Umfang zu. Die Finanzmärkte führen ein Eigenleben, das weitgehend losgelöst von ihrer ursprünglichen Bestimmung ist.

Und sie definieren, ausgehend vom Verhalten der neuen Spieler, Ziel, Horizont sowie Regeln der Märkte neu. Damit bedrängen sie immer stärker die regulierten Marktteilnehmer und die Realwirtschaft. Sie erhöhen damit drastisch die Risiken an den Finanzmärkten, mit immer gefährlicheren Auswirkungen auf die Realwirtschaft.

Das neue Ziel: extrem hohe Profite, wie sie in der Realwirtschaft nicht erreicht werden können. Damit werden dann auch der regulierte Sektor und die normalen Unternehmen unter Druck gesetzt. Kapitalinteressen bestimmen einseitig die Regeln, die Balance zwischen Aktionären, Arbeitnehmern und Management gerät aus den Fugen. Der neue Horizont: die kurze Frist. Manager werden durch die Investoren dazu getrieben, in einem Vierteljahr, einem halben Jahr, längstens in einem Jahr hohe Profite zu erzielen - wenn nicht, verlieren sie ihren Job.

Die neue Regel: Die Gehälter der Manager werden immer extremer an den kurzfristigen Profit gebunden. So entstehen Managereinkommen, die weder von den Arbeitnehmern noch von den Völkern länger akzeptiert werden. Und weil ihre Jobs ebenfalls sehr unsicher geworden sind, streben sie nach dem schnellen Geld für sich und einer hohen Abfindung, wenn sie gehen müssen. So wird Söldnermentalität belohnt, nicht beharrliche Arbeit und langfristiger Erfolg.

Diese Veränderungen sind nicht typisch für alle neuen Marktteilnehmer. Aber es ist offenkundig, dass die Entwicklung insgesamt genau in diese Richtung gegangen ist. Die Folge: Die Marktwirtschaft hat bereits dramatisch an Akzeptanz verloren. Und am Ende verliert die Demokratie, wenn sie nicht für bessere, gerechtere Regeln zu sorgen imstande ist.

Auf der nächsten Seite: Warum das angelsächsische Modell uns alle in den Abgrund reißt.

Banken in Gefahr
:Wie die Finanzkrise Europas Staaten trifft

Das Bankensterben greift auf Europa über: Die Briten teilverstaatlichen ihre Großbanken, die Deutschen bürden sich eine Garantie von einer Billion Euro auf - und Island steht vor dem Staatsbankrott.

Welche müssten das sein? Vor allem: Es darf keine unregulierten, intransparenten Sektoren und Teilnehmer auf den Finanzmärkten geben. Sie alle beeinflussen sich gegenseitig und stehen im Wettbewerb miteinander. Wir benötigen umfassende Transparenz, um zu erkennen, wo sich die Risiken sammeln. Für Offshore-Aktivitäten und Steueroasen ist in einem geordneten Weltfinanzsystem kein Raum.

Zweitens: Wir müssen die Risiken in den Finanzmärkten begrenzen, und damit auch die Profite - denn Profite und Risiken sind zwei Seiten derselben Medaille. Wir brauchen mehr Sorgfalt und Solidität bei der Kreditvergabe. Die Eigenkapitalempfehlungen der Zentralbanken und Bankenaufsichtsbehörden ("Basel II") müssen weltweit - auch in den USA! - vollständig umgesetzt werden.

Wir brauchen viel mehr Eigenkapital bei Hedgefonds sowie Private Equity Fonds, und wer seine Kreditforderungen weiterverkauft, der muss einen spürbaren Anteil daran behalten müssen. So wird die langfristig orientierte Investition gestärkt, die allein am kurzfristigen Profit orientierte dagegen wird unattraktiver.

Neue Finanzprodukte sollten - wie der Nobelpreisträger Joseph E. Stiglitz vorgeschlagen hat - ein intensives Zulassungsverfahren durchlaufen, bevor sie gehandelt werden dürfen. Darüber hinaus müssen die Gehälter der Manager begrenzt und vor allem am langfristigen Erfolg ausgerichtet werden.

Und schließlich benötigen wir eine weltweit funktionsfähige Aufsicht. Das setzt gemeinsame Regeln und Standards voraus. Die Zersplitterung der Finanzmarktaufsicht in den USA und in Europa muss überwunden werden. An der Spitze eines gegliederten Aufsichtssystems könnte der Internationale Währungsfonds die Rolle eines Entwicklers von Normen und eines Frühwarnsystems übernehmen.

Der Wettbewerb auf den Finanzmärkten muss basieren auf Transparenz, fairen Regeln und einer pro-aktiven Aufsicht, damit die Risiken minimiert und die soziale Balance der Marktergebnisse gewahrt werden. Die EU muss dazu die Initiative ergreifen. An den Tisch müssen alle großen und aufstrebenden Volkswirtschaften, die G8 reicht nicht. Und die angelsächsische Welt muss begreifen, dass ihr Modell sie selbst und uns alle in den Abgrund reißt.

© SZ vom 09.10.2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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