Private Altersvorsorge:Angst vor der Börse

Lesezeit: 2 min

Die staatliche Rente reicht nicht, Privatleute müssen selbst vorsorgen - zum Beispiel an der Börse. Mit den Schwankungen dort müssen sie jedoch leben.

Markus Zydra

Kunden handeln rational: Steigt der Preis für eine Ware, dann fällt die Nachfrage. Investoren hingegen handeln irrational: Die meisten kaufen Aktien erst, wenn sie teuer sind, und verkaufen, wenn die Preise fallen. Wer diese ökonomische Verhaltensanomalie verinnerlicht, kann kaum noch abstreiten, dass die Börse ein seltsamer Ort ist.

Die Börse in Frankfurt: Wer investiert am besten? (Foto: Foto: AP)

Nun ist es so, dass dieser seltsame Ort immer wichtiger für jeden Bundesbürger wird. Die staatliche Rente reicht nicht, Privatleute müssen selbst vorsorgen - und zwar an der Börse, wo die Stimmung seit einem Jahr sehr schlecht ist. Kein Wunder also, dass die Deutschen wieder zweifeln, ob es tatsächlich weise ist, dort ihr Geld anzulegen, um für das Alter vorzusorgen.

Vertreter der Finanzindustrie schütteln gern den Kopf angesichts der deutschen Aktienmuffel, schließlich gebe es langfristig keine bessere Renditequelle. Doch was heißt langfristig? Auf Sicht der letzten zehn Jahre hat beispielsweise der deutsche Leitindex Dax kaum etwas abgeworfen, berücksichtigt man die Inflation, ist das Ergebnis sogar negativ.

Gleichzeitig konnten Sparer zwischen 1998 und 2000 sowie zwischen 2003 und 2007 enorm viel Geld an der Börse verdienen, in den Phasen dazwischen aber auch sehr viel verlieren. Internetblase und Finanzkrise haben innerhalb kürzester Zeit zu extremen Verwerfungen geführt.

Schwankungsanfällige Börsen

Man sollte sie also ernst nehmen, die Furcht der Sparer. Ja, die Börsen sind deutlich schwankungsanfälliger als noch vor 20 Jahren. Ja, damit steigt das Risiko, falsche Zeitfenster zu erwischen und sein Kapital zu verzocken, weil man zu teuer gekauft hat und nur noch billig verkaufen kann.

Die Schaukelbörsen sind kein Zufall, sondern Folge grundlegender Veränderungen, in denen der Computer das Börsengeschäft revolutioniert hat. "Algo-Trader" bestimmen das Geschäft. Hier handelt es sich um Börsenhändler, die auf Basis von mathematischen Regeln Aktien kaufen und verkaufen.

Kaum jemand außerhalb der Finanzszene hat wohl je von dieser besonderen Berufssparte gehört, doch ihr Einfluss ist enorm: In Frankfurt machen sie mittlerweile 40 Prozent des Aktienhandels aus, in New York gar 50 Prozent. Algo-Trader können Hedgefonds, Banken, Versicherer und Privatleute sein. Ein Computerprogramm spuckt Kauf- und Verkaufsbefehle aus. Gehandelt wird ständig, in Millisekunden.

Dem Computer ist es natürlich völlig egal, ob der Daimler-Chef Dieter Zetsche heißt und Daimler ein Autokonzern ist. Die mathematische Regel, der programmierte Algorithmus, gibt den Takt vor. Es geht hier um das Erkennen von Trends, beispielsweise die Tatsache, dass eine Aktie drei Tage hintereinander gestiegen ist oder drei Stunden oder drei Minuten. Dann wird gekauft.

Die Börse hat viel von ihrem Geist verloren, dem Makeln vieler Ideen. Nachmachertum ist angesagt. Es gibt kaum noch Leute, die sich gegen Trends stellen. Die aktuelle Finanzkrise, in die nahezu alle Banken hineingeschlittert sind, bestätigt das erneut. Keiner will verpassen, was die anderen machen. Der Druck, schnellen Erfolg vorzuweisen, hat zugenommen. Fondsmanager sagen, dass ihre Leistung im Nachkommastellenbereich täglich mit der Konkurrenz verglichen wird.

Sie haben deshalb immer weniger Geduld mit einer Aktie. Die Renditeerwartungen sind hoch. Aus langfristigen "Shareholdern", also Aktienbesitzern, sind kurzfristige "Shareseller" - Verkäufer - geworden. Die Börse schwappt wie eine riesige Schiffsschaukel hin und her. Preis und Wert einer Aktie decken sich selten, meist herrscht extreme Über- und Untertreibung. Die Grundidee der Investition - Kapital langfristig für eine Geschäftsidee bereitzustellen - ist weitgehend pervertiert worden, was durchaus Anlass zu Unbehagen gibt.

Dennoch müssen sich die Bürger in diesem Umfeld behaupten, denn ohne Kapitalmarktrendite reicht die Rente in den meisten Fällen nicht. Es gibt einige wenige Profis, die vergangene Börsenstürme gut gemeistert haben. Diese klugen Köpfe könnten ein Investment wert sein, in der Hoffnung, dass ihr gutes Näschen sie auch in Zukunft nicht verlässt.

© SZ vom 11.08.2008/ssc - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: