Pendlerpauschale:Ein Privileg, kein Grundrecht

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Die Pendlerpauschale ist ein Relikt aus der Wirtschaftswunder-Zeit. Sie sollte abgeschafft werden.

Claus Hulverscheidt

Die Deutschen sind ein seltsames Volk. Wenn sich im Osten Rechtsextremisten zu Herren ganzer Landstriche aufschwingen, wenn der Innenminister zur Terrorabwehr die Bürgerrechte einschränkt, wenn private Daten fröhlich verkauft werden - fast immer ist die Aufregung nach ein, zwei Tagen vorbei. Wenn aber die Pendlerpauschale abgeschafft wird, eine Steuersubvention, die es in fast keinem anderen Industrieland gibt, steht die Republik am Rande der Staatskrise.

Republik am Rande der Krise: Die Pendlerpauschale soll abgeschafft werden (Foto: Foto: AP)

Es wirkt manchmal so, als zähle die steuerliche Absetzbarkeit von Fahrtkosten, über die das Bundesverfassungsgericht am Mittwoch verhandelt hat, zu den Grundrechten, als hätten die Väter des Grundgesetzes formuliert: "Alle Bürger haben das Recht auf körperliche Unversehrtheit, Meinungsfreiheit und die Pendlerpauschale."

Tatsächlich ist die Pauschale wie die Eigenheimzulage und das Ehegattensplitting ein Relikt aus der Wirtschaftswunderzeit, als die Welt angeblich in Ordnung, die Familie intakt und der Staat in Spendierlaune war. Die Eigenheimzulage ist mittlerweile abgeschafft - weil sie jährlich zehn Milliarden Euro kostete und weil sie zur Zersiedelung der Landschaft beitrug.

Auch die Pendlerpauschale hat teils absonderliche Wirkungen, wie ein einfaches Beispiel zeigt: Man stelle sich zwei Arbeitnehmer vor, die gemeinsam im Stadtzentrum arbeiten. Kollege Müller wohnt um die Ecke, er hat hohe Miet-, aber geringe Fahrtkosten. Bei Kollege Meier, der auf dem Land wohnt, ist es genau umgekehrt.

Obwohl die Gesamtbelastung für beide gleich hoch ist, wird Meier vom Staat unterstützt, Müller aber (fast) nicht. Und noch etwas ist kurios: In den Genuss der alten Pendlerpauschale kamen auch Fußgänger und Radfahrer. Dabei waren ihnen gar keine Kosten entstanden, sieht man einmal von abgelaufenen Schuhsohlen oder einem neuen Fahrradschlauch ab.

Die Abschaffung der Eigenheimzulage zeigt, dass Subventionsabbau funktioniert, wenn er konsequent betrieben wird. Das ist bei der Pendlerpauschale nicht gelungen. Vielmehr hat sich der Staat angreifbar gemacht, indem er eine Härtefallregelung für Fernpendler schuf.

Politisch betrachtet ist diese Regelung vertretbar, schließlich wird etwa von Arbeitslosen verlangt, dass sie für einen neuen Job auch längere Anfahrtswege in Kauf nehmen. Juristisch betrachtet aber könnte eine verfassungswidrige Ungleichbehandlung vorliegen, die zu allem Überfluss auch noch den deutschen Neidreflex auslöst: Was Meier vom Staat kriegt, steht mir, Müller, auch zu.

Die Karlsruher Richter haben bei der Verhandlung am Mittwoch noch nicht eindeutig zu erkennen gegeben, wie sie entscheiden werden. Der neue Vorsitzende des Zweiten Senats, Andreas Voßkuhle, hat aber gleich zu Beginn alle Beteiligten gemahnt, "rhetorisch abzurüsten" und die Debatte zu versachlichen. Das ist in jedem Fall ein erster Erfolg. Denn es geht nur um einen Steuerparagraphen, nicht um ein Grundrecht.

© SZ vom 11.9.2008/hgn - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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