Ostsee-Pipeline: Eine Verbindung unter Druck:Das Gas riecht nach Macht

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Europa kann nicht ohne Russlands Wärme leben, doch die Abhängigkeit macht vielen Angst - sie fragen sich, ob hier zusammengeschweißt wird, was nicht zusammengehört.

N. Richter, A. Boecker, G. Herrmann und S. Zekri

Dort, wo das titanische Werk seinen Ausgang nehmen soll, ist die Ostsee ruhig, als warte sie. Über dem Meer liegt der Geruch von Salz, zarte Gräser und feiner Sand zieren die russische Portowaja Buchta, die Hafenbucht. In den Kiefernwäldern verfallen Bunker aus dem Winterkrieg. Kaum eine Spur davon, dass das europäisch-russische Unternehmen Nord Stream in anderthalb Jahren von hier aus eine 1220 Kilometer lange Unterwasserpipeline bis nach Greifswald verlegen will. Schon ein Jahr später soll eine Kompressorstation mit 220 Bar Druck Erdgas durch die erste von zwei Röhren jagen - 27,5 Milliarden Kubikmeter pro Jahr. Bislang verrät dies nur ein abgeholzter Fleck. Der Rest ist Erwartung.

27,5 Milliarden Kubikmeter Erdgas sollen zunächst pro Jahr durch die Pipeline zwischen Wyborg und Greifswald strömen. (Foto: Foto: AP)

Oder Unbehagen.

Das Stahlrohr, Durchmesser 1,2 Meter, wird zwei Welten verbinden, die einander nicht immer trauen. Die Pipeline eint - und ist doch Symptom der Abhängigkeit. Sie verbindet Russlands Gasquellen mit der EU, die den Rohstoff in absehbarer Zeit fast nur noch im Ausland beschaffen wird. Deutschland bezieht schon jetzt, über die alten Leitungen durch Weißrussland oder die Ukraine, fast 40 Prozent seiner Importe aus Russland. Und es wird noch mehr.

Wer der Pipeline-Route von Wyborg nach Greifswald folgt, der hört nicht nur Sorgen über die Zukunft der Ostsee, sondern spürt auch tiefes Misstrauen gegenüber dem russischen Energiekonzern Gazprom und dem Kreml, der das Unternehmen kontrolliert. Nord Stream spiegelt alle Widersprüche im Verhältnis Russlands zu Europa. Es wächst die Furcht, dass Gas nicht nur wärmt, sondern auch betäubt und süchtig macht. Ist diese Röhre, wie viele befürchten, ein ökologisch verheerendes Projekt, mit dem Deutschland sich den Russen ausliefert?

Dort, wo alles anfängt, in Wyborg, ist Gazprom ein Segen. 500 gut bezahlte Arbeitsplätze soll allein die Kompressorstation bringen, hofft die Verwaltung der Region. Gazprom hat der Stadt ein Schwimmbad und eine Sporthalle geschenkt. Um die neue Gasleitung zu füllen, baut der Konzern eine fast 1000 Kilometer lange Pipeline bis zur Portowaja Bucht. In drei Jahren wurden entlang der Trasse Tausende Haushalte ans Gas angeschlossen. Außerdem braucht die Kompressorstation Strom, die abgelegenen Gehöfte im Grenzgebiet können nun auf Leitungen hoffen. Gazprom löst ein, was schon die Bolschewiken versprochen hatten. Der Konzern liefert ein Viertel aller Staatseinnahmen, bietet seinen 400000 Angestellten Krankenhäuser, Supermärkte, Fitnessstudios, sogar eine Bank.

Spezialschiff unter Vertrag genommen

Das Gas für Nord Stream soll aus dem sibirischen Juschnoje Russkoje kommen, später von der Halbinsel Jamal und aus dem Schtokman-Feld in der Barentssee, es sind Eishöllen, in denen sich Arbeit und Urlaub im Monatsrhythmus abwechseln, sonst würde es keiner aushalten. Alle diese Felder brauchen Anschluss an Nord Stream, neue Trassen müssen gebaut, der Boden aufgerissen, Bäume gefällt werden. Alles mit Rücksicht auf Natur und Bürger, versichert Michail Lewtschenkow, Chef der Gazprom-Tochter Invest Sapad. Und die abgeholzten Wälder? "Was sollen wir tun? Wenn der Bauer friert, wird eben Holz gehackt."

Nord Stream hat ein Spezialschiff unter Vertrag genommen, darauf wird irgendwann Rohr an Rohr geschweißt, und während das Boot drei Kilometer am Tag zurücklegt, sinkt dahinter die wachsende Leitung auf den Grund. Schwierig wird es schon im Finnischen Meerbusen, der Seeboden ist zerfurcht, die Ingenieure müssen Hindernisse überbrücken oder einebnen und möglichst wenig giftigen Bodenschlamm aufwirbeln. Ginge es nur nach Gazprom, dann wäre das alles kein Problem. Der Konzern ist fest entschlossen zu bauen, obwohl allein die Seeleitung 7,4Milliarden Euro kosten wird. Langfristig soll sie sich rechnen, denn es entfallen die hohen Transitgebühren auf dem Festland. Allerdings wird Nord Stream finnische, schwedische, dänische und deutsche Gewässer kreuzen. Das interessiert viele kritische Parlamente und viele Fachbehörden, die noch nichts genehmigt haben. Gazprom muss deswegen etwas lernen, was es aus der Heimat so nicht kennt: beantragen, werben, überzeugen, nachbessern.

Schröder und Putin unter Kungelverdacht

Die Pipelinefirma hat sich also ein freundliches Gesicht gegeben, sie sitzt auf neutralem und steuergünstigem Boden in der Schweizer Stadt Zug, einem Ort mit einer Uferpromenade, an der Bänke im Schatten der Kastanien stehen. Die Ostsee ist weit weg. Bei Nord Stream schmücken blaue Glasscheiben den Eingang, durch die eine grüne Röhre zu schweben scheint. So leicht, so hell sieht das aus, als verkaufe man Heilwasser. Als Chef des Aufsichtsrates verpflichtete der Kreml den früheren Kanzler Gerhard Schröder. Nord Stream darf nicht russisch aussehen und nicht mächtig. Das ist eine Bedingung für den Erfolg.

Russlands früherer Präsident und heutiger Premier Wladimir Putin hatte gedacht, dass Schröder das Projekt am besten würde vermitteln können. Beide hatten im Herbst 2005, kurz vor Schröders Abwahl, den Bau vereinbart, und die Europäer waren ziemlich begeistert. Das änderte sich, als Schröder wenig später für gutes Geld in das Kontrollgremium von Nord Stream eintrat. Die Freunde Schröder und Putin standen jetzt unter Kungelverdacht, die Pipeline bekam etwas Anrüchiges. Gas und Politik sind ein tückisches Gemisch. Schröder sagt, er habe das Angebot zunächst abgelehnt. "Dann hat mich Putin überredet. Man kann dem russischen Präsidenten eine solche Bitte nicht abschlagen."

Gute Freunde: Wladimir Putin (links) und Gerhard Schröder. (Foto: Foto: AP)

Wenig später, in der Nacht zum 1. Januar 2006, drehte Gazprom der Ukraine die Gasleitung zu. Es war zwar nur ein kurzer Streit um Preise und Gasdiebstahl, aber mit schlimmen Folgen für den Ruf der Russen im Westen. Aus Moskauer Sicht rechtfertigte der Gasstreit mit der Ukraine den Bau der Ostseepipeline erst recht: So nämlich würde Gazprom unabhängiger von den osteuropäischen Transitländern. Im Westen entstand ein ganz anderer Eindruck: dass der Kreml mit Energie Politik macht - allem Anschein nach gegen die Helden der Orangenen Revolution. Wer würde der Nächste sein? Die Polen? Die Deutschen? Europa?

Der Geschäftsführer von Nord Stream, Matthias Warnig, wird oft als gemütlich beschrieben, weil Kopf und Bauch sehr rund sind und seine Stimme sehr ruhig klingt. Seit Jahrzehnten pendelt er zwischen Ost und West, einst spionierte er für die Stasi in Westdeutschland, später arbeitete er für die Dresdner Bank in St. Petersburg, wo er Putin kennenlernte. Warnig, 52, weiß um die Schwächen in diesem Lebenslauf, aber er legt Wert auf die Stärken. Er sagt, dass er überzeugtes Mitglied der SED war, bis er 1986 nach Düsseldorf zog, um westdeutsche Firmen zu beobachten. "Als wir in unserem neuen Haus ankamen, saßen die Leute im Hof und haben bei einem Fass Altbier Fußball-WM geguckt. Wir als Vertreter der DDR wurden herzlich eingeladen zu Bier und Wurst vom Grill."

Warnig sagt, er habe daraus gelernt, dass es keinen größeren Fehler gibt als das Vorurteil. Jetzt kämpft er gegen die Vorstellung, die Russen wollten die Europäer mit ihren Leitungen in die Zange nehmen, die Preise diktieren oder den Hahn zudrehen und nichts als einen sibirischen Eishauch durch die Röhren wehen lassen.

Wie alle Manager redet sich Warnig seine Geschäftspartner ein bisschen schön. Er will Putin nicht einen "lupenreinen Demokraten" nennen, wie Schröder es einst tat, aber er sagt, dass Putin Maßstäbe gesetzt habe für die russische Demokratie, weil er im Einklang mit der Verfassung sein Amt abgegeben habe.

Beleidigte Polen

Andererseits: Wo sind die Alternativen? "Wo soll die Energie denn herkommen? Aus Libyen, Iran, Nigeria?" Warnig verzieht den Mund, als seien diese Begriffe unappetitlich. In der Branche heißt es oft, man könne froh sein, dass die Russen Pipelines bauten für die Europäer, auf eigene Kosten meist, denn es garantiere ja einen Rohstoff, den Chinesen und Amerikaner auch sehr gerne hätten. "Das Gas fließt in die Richtung, in der die Pipeline verlegt wird", sagt Warnig.

Deswegen befürworten die EU-Kommission und die Bundesregierung die Ostseepipeline, und eine kritische Resolution des EU-Parlaments, die auf Betreiben der Polen und Balten in diesen Tagen verabschiedet wird, kann daran nichts mehr ändern. Die Polen stehen ohnehin unter dem Verdacht, dass sie vor allem deswegen beleidigt sind, weil sie künftig weniger Durchleitungsgebühren kassieren werden. Ihre Hoffnungen - und die aller Umweltschützer - richten sich jetzt vor allem auf die Schweden. Sie könnten die Röhre, wohl als einzige, noch verhindern.

Der schwedische Reichstag thront nahe der Altstadt auf einer Insel im "Stockholmer Strom", jener Verbindung zwischen dem Mälarsee und der Ostsee, die vor der Stadt von unzähligen Inseln gespickt ist. Von oben betrachtet sieht die Region so aus, als wären Wasser und Festland ineinander gerutscht. Es war kein Zufall, dass Schwedens alte Herrscher ihre Hauptstadt hierher legten: Wer hier regiert, will nicht nur das Land, sondern auch die See beherrschen. Heute noch fühlen sich die Schweden für das Binnenmeer verantwortlich.

Eine Zumutung

Viele Schweden empfinden es als Zumutung, dass dieses Meer, durch Überfischung, Dünger, versenkte Chemiewaffen aus dem Zweiten Weltkrieg und Schiffsverkehr ohnehin geschädigt, nun noch eine Gasleitung aufnehmen soll. Sie wird auf etwa 500 Kilometern schwedisches Gebiet queren. Unerträglich ist ihnen zudem die Vorstellung, die russische Flotte könne über der Pipeline patrouillieren, und die Forscher der schwedischen Armee unterstellten sogar, die Russen würden eine Wartungsplattform zum Spionieren missbrauchen.

"Warum soll Schweden den Preis dafür zahlen, dass Polen und Russland sich nicht vertragen?", fragt der Abgeordnete Carl Hamilton, der zum Regierungslager gehört, und auch die linke Opposition wettert dagegen. Als Umweltminister Andreas Carlgren kürzlich einige Unterlagen an Nord Stream zur Überarbeitung zurückschickte, stichelte er vor Reportern: "Es ist ein bisschen verwunderlich, dass der Antrag so unvollständig ist." Niemand weiß, ob Schweden die Pipeline am Ende genehmigt und wie lange das Prozedere dauern wird.

Schweden hat kein Interesse an russischem Gas, setzt auf Wasser- und Atomkraft. Hamilton sagt: "Wir können uns den Luxus erlauben, die Pipeline etwas offener zu diskutieren."

Ein echter Luxus. Russlands Umweltschützer haben von Bürgeranhörungen nichts mitbekommen, ihre Briefe an Unternehmen landen im Nirwana, und der staatliche Umweltschutz wurde bis zur Arbeitsunfähigkeit umstrukturiert. Aktivisten werden eingesperrt, wenn sie mit Enthüllungen stören, missbraucht, um unter ökologischem Vorwand ausländische Firmen zu verdrängen, in der Regel aber einfach ignoriert. "Sobald Wirtschaftsinteressen ins Spiel kommen, sind wir raus", erklärt die Gruppe "Freunde des Baltikums" in St. Petersburg.

In Deutschland haben die Grünen im Bundestag viele kritische Fragen gestellt. Was ist mit der Ostsee? Ist eine Überlandleitung nicht doch besser? Schafft sich Gazprom Monopole? Die Regierung hat geantwortet, dass das die Sache der Unternehmen ist. Aber die Grünen hüten sich davor, das Thema zu ideologisieren. Atom und Kohle sind unerwünscht, die Öl- und Gaspreise steigen ohne Pause, und die Grünen wollen den Eindruck vermeiden, sie würden die Gaszufuhr noch teurer machen.

Im Hafen von Sassnitz-Mukran auf Rügen, im äußersten Nordosten Deutschlands, schweben also schon die Röhren ein. Der Einweiser dirigiert mit der linken Hand, in der rechten hält er seinen Kaffee. Er winkt einen Tieflader herbei, darauf setzt ein Stapler zwei Rohre ab, sie sind mit der Bahn aus Mülheim an der Ruhr gekommen und wiegen zusammen 22470Kilo. Hier werden sie mit Beton ummantelt, und weil vom Werk erst der Rohbau steht, wachsen die Rohre im Wartestand zu Wällen. Nord Stream hat noch keine einzige Baugenehmigung erhalten, aber Warnig sagt: "Ein Szenario des Scheiterns habe ich nie im Hinterkopf."

Deutschland und das russische Gas - das war schon immer wirtschaftlich logisch und doch politisch heikel. In den siebziger Jahren, während der Energiekrise, erkannte Kanzler Willy Brandt im sowjetischen Treibstoff eine Alternative zum Ölmonopol der Araber. Die Amerikaner protestierten, aber Brandt ließ sich nicht beirren. Das war vor 35Jahren, und trotz Nato-Doppelbeschluss und Mauerfall haben die Russen immer geliefert. Wie weit die Ideologien auch auseinanderlagen - die deutsche Industrie brauchte Energie, die Russen brauchten Geld. 1990 ging BASF eine Partnerschaft mit Gazprom ein, denn der Chemiekonzern hatte schlicht keine Lust mehr, beim Monopolisten Ruhrgas zu kaufen.

Jetzt aber wird manchen mulmig, weil Gazprom so schnell wächst. Der Konzern ist, wie Putins Heldenposen, der Inbegriff russischer Macht. Kaum ein Buch über den Giganten kommt ohne Slogans aus wie: "Gazprom ist eine Waffe, deren Wirkung wir noch zu spüren bekommen." Der Hesse Roland Koch, der immer zu wissen glaubt, was alle fürchten, warnt davor, dass Gazprom "alles in der Hand halten" könnte, und Bundeswirtschaftsminister Michael Glos, der Russland weniger traut als Schröder, sagt gern: "Man steht nicht nur auf einem Bein."

In der Tat will Gazprom-Chef Alexej Miller bald den einflussreichsten Energiekonzern der Welt führen, und in Deutschland expandiert er kräftig. Gazprom will Kraftwerke bauen und Gastankstellen, vor allem aber am Vertrieb bis zum Endverbraucher mitverdienen. Ein Instrument dafür ist die mit BASF/Wintershall betriebene Firma Wingas, der ein wachsendes Leitungsnetz gehört. Gazprom ist daran inzwischen fast zur Hälfte beteiligt.

Der Traum von Alternativen

Viele Kenner der Branche können diesen starken Drang nach Westen nicht nachvollziehen und finden, die Russen sollten lieber in ihre Förderanlagen investieren statt in deutsche Gasleitungen. Die Bundesregierung will sich ein Veto-Recht sichern, um deutsche Strom- und Gasnetze vor ausländischen Investoren zu schützen, und die EU-Kommission hat eine "Gazprom-Klausel" erfunden, die verhindern soll, dass die Russen europäische Netze kontrollieren. Gazprom hat mit Drohungen reagiert: Man könne sich die Kunden auch anderswo suchen.

Die Europäer träumen natürlich von Alternativen. Von Flüssiggas aus Katar. Oder von der Nabucco-Pipeline, die Russland im Süden umgehen und Gas aus Zentralasien in den Westen leiten würde. Aber das Projekt stockt, auch deswegen, weil Gazprom das Gas aus der Region längst selber aufkauft, um es dann über die eigenen Netze zu vermarkten.

Aus Sicht der Russen mag das ganz banaler Wettbewerb sein. Ihr kraftstrotzendes Auftreten aber beunruhigt Umfragen zufolge viele Deutsche. "Die Kommunikation bei Gazprom ist altmodisch und arrogant", sagt der Russland-Experte Alexander Rahr. "Die Manager sind nicht daran gewöhnt, Presse und Parlamenten ihre Absichten zu erklären, und vielleicht sind sie auch zu betrunken vom großen Öl- und Gasfest."

Bei der deutschen Tochter Gazprom Germania bemüht man sich um den guten Ruf. Nein, man wolle keine Stadtwerke aufkaufen, nein, durch die Pipeline marschiere nicht die Rote Armee. Der Konzern mit der blauen Flamme sponsert den Fußballclub Schalke04, und bei Gazprom heißt es, das Ansehen im Ruhrpott sei messbar gestiegen. Im Schalke-Fanshop gibt es Teddy-Bären, deren Gesichter niedlich aussehen, und auf ihrer Brust tragen sie das Gazprom-Logo, das gar nicht niedlich ist, sondern für Kraft und Macht steht.

Mit dem Staatskonzern arrangiert

Die deutschen Energie-Manager haben sich dagegen längst mit Gazprom arrangiert. "Wir müssen uns daran gewöhnen, dass andere etwas haben, das wir brauchen", heißt es bei BASF. "Gazprom ist sicher nicht immer ein leichter Partner, aber ein stets zuverlässiger." Die deutschen Energie-Chefs plagen sich nicht mit Geostrategie und dunkler Ahnung, sie schließen lieber Lieferverträge bis 2043, gekoppelt an den Ölpreis, über die im Streitfall Schweizer Gerichte entscheiden. Es gibt etliche Joint-Ventures und gegenseitige Beteiligungen. Eon ist Aktionär bei Gazprom, zusammen mit BASF bauen sie Nord Stream. Und weil BASF den Russen Anteile am deutschen Netz übertragen hat, darf der Konzern aus Ludwigshafen in Sibirien fördern.

"Wenn man die Chance hat, Zukunft gemeinsam zu gestalten, dann sollte man nicht sagen: Mit dem aber nicht!", mahnt der Vorstandsvorsitzende von BASF, Jürgen Hambrecht, und er klingt genervt davon, dass den Russen ständig unanständige Motive unterstellt werden. Die deutschen Manager halten nichts von EU-Schutzklauseln. "Heiße Luft aus Brüssel", findet BASF, "wird die winterliche Kälte jedenfalls nicht aus den Wohnzimmern vertreiben." Die Manager sind überzeugt, dass Gazprom durch Verträge und Kartellrecht ohnehin gebändigt ist, dass es im Übrigen auch anderswo noch genug Gas gibt und dass der Westen sich schon wehren könne gegen mögliche Diktate aus Russland.

Trotz allem bleiben künftige Geschäfte mit dem Kreml-Konzern abhängig vom politischen Wetter. Schröder hatte das schnell erkannt, und auch Angela Merkel hat, wenngleich mit mehr Distanz, das Verhältnis gepflegt. Russland ist ein großer Markt, nicht nur für Gas, sondern auch für deutsche Exporte.

In Lubmin bei Greifswald wird die Pipeline auf das deutsche Festland stoßen. Man erreicht die Stelle über Feldwege, der Fleck am Boddenufer heißt hier "Schröder-Schleife", für einen Besuch des Nord-Stream-Aufsehers wurde eigens Kies aufgeschüttet. Dutzende Schwäne ruhen im Bodden, am Himmel kreisen Seeadler. Gazprom und Eon wollen hier ein Gaskraftwerk bauen und Strom produzieren. Trotz der geplanten Eingriffe in die Naturidylle gibt es in und um Lubmin herum nicht viel Kritik. Es ist letztlich nicht anders als drüben im russischen Wyborg. Hier in Mecklenburg-Vorpommern, wo früher die DDR war, ist man dankbar um jeden neuen Arbeitsplatz, um jeden Investor.

Die Pipeline wird von hier über Land weiter nach Süden und nach Westen verlaufen. Die Schneise durch die Kiefern ist bereits geschlagen.

© SZ vom 05./06.07.2008/mel - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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