Ökonomie:Eine Ahnung von der Krise

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Wirtschaftswissenschaftler haben die Finanzkrise viel zu spät erkannt. Nur zwei verpönte Denkschulen sahen das Unheil kommen.

Markus Zydra

Sitzen ein Chemiker, ein Physiker und ein Ökonom auf der einsamen Insel und haben nur Konserven zu essen. Wer öffnet wie die Dose? Der Chemiker macht Feuer, der Physiker nimmt einen Stein, und der Ökonom sagt: "Nehmen wir doch einfach mal an, wir hätten einen Büchsenöffner."

Einige Ökonomen haben Alarm geschlagen, nur hatten sie in der Öffentlichkeit keine große Plattform dafür.Im Bild: die US-Börse Wall Street (Foto: Foto: AP)

Ja, über Ökonomen lässt sich gut Witze machen. Viel ist geschimpft worden auf diese Zunft, weil die meisten von ihnen die verheerende Finanzkrise viel zu spät erkannt haben. Zu modellgläubig seien sie, zu leichtgläubig würden sie sich auf Statistiken verlassen, um daraus Prognosen abzuleiten, so der Vorwurf. Warum hat kein Experte rechtzeitig die rote Flagge gehisst?

"Menschliche Marktwirtschaft"

Die Frage ist suggestiv und nicht ganz fair. Denn einige Ökonomen haben Alarm geschlagen, nur hatten sie in der Öffentlichkeit keine große Plattform dafür. Guido Hülsmann ist einer von ihnen, Professor an der französischen Universität Angers. Er warnt schon lange vor dem Kollaps des Finanzsystems, weil zuviel billiges Papiergeld im Umlauf sei. Erst die niedrigen Zinsen in den USA hätten die Immobilienkrise möglich gemacht, sagt er. Doch die Mehrheit der Ökonomen hielt und hält niedrige Zinsen bis heute für ein gutes Instrument.

Hülsmanns Thesen stehen nur auf wenigen Lehrplänen. Er bemängelt eine "Homogenisierung" der ökonomischen Ausbildung. "Das Grundstudium ist keynesianisch geprägt, und dessen Makroökonomie geht davon aus, dass der Staat die Wirtschaft in Wachstum lenken kann", sagt Hülsmann, der völlig anderer Meinung ist. Die aktuellen Rettungsaktionen für Banken und Unternehmen sowie die Konjunkturprogramme hält er für falsch. Der Markt würde verzerrt, schlechte Unternehmen erhielten Hilfe auf Kosten der guten. Banken würden gerettet, nicht das Banking.

Auch Ulrich Thielemann ist ein Außenseiter im Wissenschaftsbetrieb. Er ist Vizedirektor des Instituts für Wirtschaftsethik an der Schweizer Universität St.Gallen. Dieser Forschungszweig hat europaweit nur wenige Lehrstühle. "Dabei spürt die Bevölkerung, dass da etwas schief gelaufen ist", sagt Thielemann.

Und die Politik greift dieses Gefühl auf. Bundeskanzlerin Angela Merkel fordert etwa eine Gestaltung der Globalisierung hin zu einer menschlichen Marktwirtschaft. "Aber wer berät Merkel eigentlich darin, wie diese menschliche Marktwirtschaft aussehen könnte?", fragt Thielemann rhetorisch und gibt die Antwort selbst: "Die Profiberater sind ja beinahe ausnahmslos durch die Schule der Marktgläubigkeit gegangen." Dem eloquenten Wirtschaftsethiker fehlt der Pluralismus in der ökonomischen Lehre. "Es gibt eine Art Kartell. Wer das System in Frage stellt, kommt mit seinen Forschungsergebnissen nicht in die wichtigen Wissenschaftsjournale."

Ökonom Hülsmann kann sich ebenfalls auf eine sympathische Art in Rage reden. Seine Argumentation klingt zwar fremd, sie kommt aber eingängig daher, ganz ohne Zahlen. "Die Banken haben aus ihrer eigenen Perspektive genau richtig gehandelt, denn sie wussten, dass die Zentralbanken sie retten", sagt Hülsmann. Die Banker bewegten sich im Ordnungsrahmen der Politik, dessen Thesen das Establishment belächle.

Billiges Geld

Hülsmann ist Vertreter der Österreichischen Schule, einer seit Jahrzehnten öffentlich kaum beachteten ökonomischen Denkrichtung. Der österreichische Ökonom Ludwig von Mises und Wirtschaftsnobelpreisträger Friedrich von Hajek sind die bekanntesten Vertreter dieser staatskritischen Lehre. Das Grundproblem auch dieser Krise sei die Existenz der Zentralbanken, die das Geld viel zu billig auf den Markt werfen, um andere Banken zu retten. "Es gibt eine Vollkasko-Mentalität in der Finanzwelt, wir haben eine Planwirtschaft in der Geldversorgung", sagt Hülsmann. Er will die Zentralbanken abschaffen und die Geldproduktion privatisieren. Mit solchen Vorschlägen erzeugt Hülsmann eine Abwehrhaltung, was fast schon verständlich ist, denn all das klingt sehr radikal. Doch öffentlich debattiert sollten diese Vorschläge schon werden, meint er, was jedoch nur selten geschieht.

Wirtschaftsethiker Thielemann erkennt hier ein Aufklärungsparadox: "Als Wissenschaftler müssten sich die Ökonomen eigentlich sagen: Das ist doch eine ganz andere Position, mit der wir uns beschäftigen müssten - doch genau das passiert nicht." Natürlich sollten Unternehmen nach Gewinnen streben, "die Gewinnmaximierung ist jedoch ethisch unzulässig", sagt Thielemann, der inzwischen große politische Einigkeit spürt, dass es wichtig ist, dem Managementnachwuchs Integrität nahezubringen. "Ziel der Wirtschaftsethik ist es, die ökonomische Rationalität zur Vernunft zu bringen." Der Markt tauge nicht zum obersten Gesellschaftsprinzip.

Guido Hülsmann ist derzeit häufiger als Gastredner gefragt als früher. Doch er hat es schwer, mit seinen Argumenten durchzudringen. "In den Doktorandenkursen sieht man eine Spezialisierung auf Modellbildung", sagt er. Man befasse sich dort nicht mehr mit der Wirtschaft an sich, sondern mit der Modellierung von wirtschaftlichen Zusammenhängen. "Man kann aber nicht alle Risiken modellieren", sagt Hülsmann. Mitunter fehlt er einfach, der Büchsenöffner.

© SZ vom 04.04.2009/hgn - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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