München und seine "BMW Welt":Barock 'n' Roll

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Schon jetzt kündet der sensationelle Bau, der dem Futurismus gewidmet ist, von seiner eigenen Geschichte.

Gerhard Matzig

Es war der französische "Revolutionsarchitekt" Claude-Nicolas Ledoux, der sich im 18. Jahrhundert als "Rivale des Schöpfers" bezeichnet hat. Aber erst dem Architektur-Professor Wolf D. Prix, Kopf des zusammen mit Helmut Swiczinsky 1968 in Wien begründeten Architektur-Büros "Coop Himmelb(l)au", war es vergönnt, tatsächlich ein eigenes Universum zu errichten: die neue BMW-Welt.

Die "BMW Welt" markiert den Höhepunkt eines Endzeit-Phänomens. (Foto: Modell-Foto: Stephan Rumpf / SZ)

Dort sind vor allem Autos zu bestaunen. Drapiert sind sie wie seltene Insekten auf dem schwungvoll zelebrierten Grundriss eines pentagonal strukturierten, kraftvoll suggestiven Raumes, der tief in die Erde eingegraben ist und sich unter ein riesenhaftes, an den Rändern gewölbtes und zur Raummitte dramatisch abgesenktes Dach schmiegt.

Zum Dialog der Formen gerät das Gebilde durch die markante, den Haupteingang anzeigende, streng gehaltene Großform eines dem Bau Richtung Olympiapark vorgelagerten Doppelkegels, der von weitem - gegen die Organik der Dachform betrachtet - an einen rätselhaften Pilz erinnert. Der Bau besitzt inszenatorische Wucht, Tempo und zugleich die Bildmacht der Archaik.

Aber natürlich werden unter dieser Dach-Architektur, die getragen wird von expressiv geformten Pendelstützen aus Beton und die begrenzt wird von einer filigranen, mehrfach geknickten Stahl-und-Glas-Haut, natürlich werden hier auch profane Dinge verhandelt: veloziferisches Zubehör.

Vor allem aber sollen hier die Vehikel selbst wie kunstvolle Unikate im Sinne des Futuristischen Manifests von 1909 gefeiert werden, in dem das Automobil über die Kunst triumphiert ("schöner als die Nike von Samothrake"). Den von weither angereisten, etwa aus den USA gekommenen Premium-Kunden sollen "ihre" Autos nicht nur ausgehändigt, sondern kraft einer den imposanten Preis der Mobilie vergessen machenden, also ähnlich imposanten Choreographie überantwortet werden.

Unordnung und früher Neid

Am 17. Oktober soll dieses diesseitige Paradies der Automobilität eröffnet werden. Also ausgerechnet jetzt - im Schatten der Diskussion um die Rolle der Familie Quandt in der NS-Zeit. Die "Freude am Fahren" erhält für rund 500 Millionen Euro ein nahezu barockes, nämlich sinnlich ausschweifend und auf die Schauwerte konzentriertes Zuhause. Eines mit denkwürdiger Adresse: "Am Olympiapark 1".

Man muss diese Adresse und die intime Nachbarschaft zu einigen der bedeutendsten Architekturen Münchens kennen, um zu ahnen, dass das "68er"-Büro von Prix, diesem legitimen Erben Ledoux"scher Hybris, eigentlich ungeeignet für das Projekt erscheinen musste. Gelegen am Schnittpunkt zweier Verkehrsschneisen, muss sich das Gebilde - 180 Meter lang, 130 Meter breit und fast 30 Meter hoch - einfügen in den städtisch-ikonischen Kontext; und zugleich muss sich der Neubau souverän behaupten gegen seine prominenten Nachbarn.

Die BMW-Welt ist indessen ein dankenswert öffentlicher Raum, der nicht nur dem neuen Menschengeschlecht der "Abholer", sondern auch anderen Besuchern offensteht - wobei architektonisch raffiniert, fast unmerklich, zwischen den beiden getrennt organisierten Sphären vermittelt wird. Der Bau umfasst ober- und unterirdisch insgesamt 73.000 Quadratmeter, die sich auf sechs Ebenen verteilen. Dieses Universum der Dynamik ist ausgestattet mit Parkdecks und allerlei Restaurants, mit Fahrsimulatorräumen, "Business"-Arealen und einer Art Jugend-forscht-Abteilung - vor allem aber mit dem gewichtigen Ort der eigentlichen Fahrzeugübergabe: mit einer machtvollen, dem Raum Dynamik und Fliehkraft verleihenden Rampe.

One, two - open!
:BMW-Welt - Countdown

Blitzend, gigantisch - größenwahnsinnig vielleicht? Die neue BMW-Welt ist ein Autotempel der Superlative - das Innere wird nun zu sehen sein. Am Mittwoch ist Eröffnung.

Im Osten wird diese Welt, die erst dank ihrer inspirierten Architektur als tatsächlich welthaltige Szenerie überzeugt, vom legendären BMW-Hochhaus markiert - dem von Karl Schwanzer errichteten "Vierzylinder". (Schwanzer hatte übrigens in Wien einen gewissen Prix zum Schüler.) Zudem fügt sich die ebenso narrative Schalenform des BMW-Museums ins Bild. Und von schräg gegenüber winken die Pylone und das Gespinst der von Günter Behnisch und Frei Otto entworfenen Olympia-Anlagen inmitten der sanft modulierten Topographie der von Günther Grzimek kongenial gestalteten Parklandschaft.

In dieser Ahnengalerie muss es selbst den Juroren des im Januar 2001 entschiedenen Architekturwettbewerbs tollkühn erschienen sein, mit dem Ersten Preis die manchmal ob ihres Erfolgs beneideten, oft wegen ihres Hangs zu signethafter Architektur angefeindeten Coop-Anarchisten zu würdigen. Ein Büro also, das für Statements bekannt wurde, die nachbarschaftlicher Harmonie unverdächtig sind. "Architektur muss brennen" ist so ein Satz.

Wolke versus Maschine

Oder: Häuser und Städte müssen sich wie Rock "n" Roll anhören. Und immer wieder Wolken: Der "Rubber Grid", den sich die Bau-Kommunarden von dem Beatles-Album "Rubber Soul" borgten, wird in Wien als "dynamisches Entwurfsnetz für Städte wie Wolkenfelder" verherrlicht.

Kein Wunder, dass der in Wahrheit wie eine Maschine, nämlich stählern glimmende Komplex der BMW-Welt schon seit der Wettbewerbsentscheidung als "Wolke" vermarktet wurde. Wo es um das Gehäuse für eine Marke geht, ist auch das Branding des Gehäuses selbst die Regel. Aber der Bau ist nichts weniger als wolkig. Im Gegenteil:

Die seidig, dennoch technoid schimmernde Hülle, geprägt von den mal konkav, mal konvex geformten Edelstahlplatten, bestimmt durch einem dunklen Terrazzo und der metallischen Untersicht der Dach-Lochbleche, thematisiert die Ästhetik der Maschine.

Muskulös wirken Stege, Brücken und Rampe. Das Haus ist gebaut wie ein Motor. Zum Glück. Man möchte die Architekten selbst dann vor dem sehr modischen, allerdings albern-poetisierenden Bau von Wolken (dazu zählt auch das Projekt von Graft für Berlin) warnen, wenn sie sich ausweislich ihres Büro-Namens auf den Himmelbau verstehen.

Die Architektur muss der Schwerkraft nicht misstrauen. Es ist ihr aber gegeben, einprägsame Räume auf ihrem Grund zu schaffen. Das ist Wolf Prix gelungen. Die BMW-Welt ist ein kommunikativer Bau in der Denktradition Etienne-Louis Boullées, der - gefolgt von Ledoux - die sprechende Architektur (architecture parlante) propagiert hat. Sie fügt sich stadträumlich beredt ein in die heterogene, aber charakterstarke Stadtraumsituation zwischen BMW-Fabrik und Park. Coop Himmelb(l)au widerlegen mit diesem Bauwerk ein Vorurteil: Das Büro errichtet keine Himmel, sondern formt irdische Stadtlandschaften - und zwar entgegen der Prix"schen "Babel-Theorie" im Einklang mit den Gegebenheiten.

Die letzte große Party

Die ökonomisch durchdachte, zugleich sinnlich wahrnehmbare Raumfolge der BMW-Welt wertet trotz der berühmten Nachbarn am Olympiapark die Umgebung enorm auf und ordnet das Terrain der starken Geometrien neu. Zudem ist der Bau so funktional, wie es die Bauaufgabe der "Carchitecture" gebietet, die auch in Leipzig (Porsche), Wolfsburg (VW), Ingolstadt (Audi) oder Stuttgart (Mercedes) auf die Deutungshoheit der Architektur setzt. Die Funktion ist: Glamour. Das Wesen aber ist: Emotion.

Dies ist den Architekten vorzüglich geglückt. So ist vielleicht kein Himmel entstanden, wohl aber ein dreidimensional erlebbarer Theaterdonner. Der Provokateur Prix hat eine (energetisch übrigens durchdachte) Kathedrale im Glauben an das Tempo, die Raserei und die Unendlichkeit der Ressourcen errichtet. Und wie in den glänzendsten, vollkommensten Kirchen fühlt man sich auch in der BMW-Welt der Säkularisation näher als anderswo.

Schon jetzt kündet dieser sensationelle Bau, der dem Futurismus gewidmet ist, von seiner eigenen Geschichte. In München ist vielleicht die letzte große Feier, der letzte große Fetisch unserer Zeit zu bestaunen.

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