München:Schluss mit Waldeslust

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Wo es früher Häuschen mit 100 Quadratmeter Wohnfläche gab, sind es später Wohngebäude mit 500 Quadratmeter und mehr: Nachverdichtung heißt das im Jargon der Stadtplaner.

Bernd Kastner

Die Straßen sind schmal und ruhig. Sie heißen Waldeslust, Waldesruhe oder Am Waldrand. Die Gärten sind groß, alte Bäume stehen drin, darunter verstecken sich kleine Häuschen. Manchmal ziert eine Bautafel das Straßenbild. Und zwischendrin, da ist ein neues, großes Gebäude mit mehreren Wohneinheiten und einer Tiefgarage auf eines der kleinen Grundstücke gequetscht.

Mehr- statt Einfamilienhäuser: Gerade auf teuren städtischen Boden wird platzsparend gebaut. (Foto: Foto: sueddeutsche.de)

Was in Großhadern auffällt, ist auch in Trudering zu beobachten, in Freimann und in Laim. Genau genommen in fast allen Stadtrandgebieten Münchens. Während alle Welt über die Aufwertung der Innenstadt-Quartiere spricht, über Mietervertreibung im Glockenbachviertel oder in Sendling, verändern sich Hadern und Co. fast noch rasanter. Zuerst optisch, dann sozial.

Münchens Randlagen sind - noch - geprägt von kleinen Häuschen, oft mit spitzen Giebeln und großen Gärten. Gebaut wurden sie kurz vor oder nach dem Zweiten Weltkrieg, die Eigentümer sind alt oder schon verstorben. Da wittert mancher Bauträger ein gutes Geschäft.

"Der Run auf diese Häuschen geht so weit", sagt Rudolf Stürzer, Vorsitzender von Münchens Haus- und Grundbesitzerverein, "dass alte Leute immer wieder Zettel von Bauträgern im Briefkasten finden: Wollen Sie nicht verkaufen? Wir bieten Höchstpreise!" Viele gehen auf solche Angebote ein.

Oft sind es auch die Erben, die ein Problem mit dem Anwesen haben: Einer allein, so Stürzer, kann es sich kaum leisten, die Mit-Erben auszuzahlen. Die Grundpreise sind einfach zu hoch. Also bleibt nur der Verkauf - möglichst lukrativ, versteht sich.

Während nach den Bodenrichtwertkarten in diesen Stadtteilen 700, vielleicht 800 Euro pro Quadratmeter "normal" seien, zahlten manche Bauträger schon mal 1000 Euro, nur für den Grund, beobachtet Stürzer. "Welche Privatperson kann sich das leisten?"

Niemand.

Deshalb rücken die Bagger an, reißen das Häuschen ab und buddeln eine große Grube für eine "Stadtvilla" oder ein "Palais". Im Werbeprospekt klingt das dann so: "Kleine Mehrfamilienhäuser mit nur vier bis acht Wohnungen" - "Villen-Architektur"- "sorgfältig ausgewählte Standorte in gewachsenen, ruhigen Wohnlagen".

In so einem "monströsen Bau" (Stürzer) gibt es meist sechs, acht Wohnungen mit 80 bis 100 Quadratmetern und zwei oder drei Zimmern. Die Wohnung im Parterre nennt sich Gartenwohnung, die ganz oben Penthouse oder Dachterrassen-Traum.

"Nachverdichtung" heißt das im Jargon der Stadtplaner. Wo es bisher im Häuschen vielleicht 100 Quadratmeter Wohnfläche gab, sind es ein Jahr später 500 Quadratmeter oder noch mehr. Das geht, weil für solche Gebiete eine GFZ von 0,7 gilt. Die GFZ ist eine Zauberformel und steht für Geschossflächenzahl: Auf einem 1000-Quadratmeter-Grundstück dürfen so 700 Quadratmeter Wohnfläche gebaut werden.

Zum Beispiel in Laim. Dort sitzt Josef Mögele dem Bezirksausschuss vor und kann ein langes Lied singen von den Folgen der "Nachverdichtung". Stand vor dem alten Häuschen bisher ein Auto, so sind es nun drei, vier, fünf, weil die Bewohner die Tiefgarage nicht nutzten und weil der Trend zum Drittwagen gehe.

Auch in Laim aber, sagt Mögele, sind die Straßen oft schmal, ein ungeschickt parkendes Auto kann alles verstopfen, kein Müllwagen kommt mehr durch, die Nachbarn schimpfen. Die Infrastruktur passt nicht zur neuen Baudichte.

Noch gravierender aber dürften die sozialen Folgen im Viertel sein, befürchtet Mögele. In die neuen Wohnungen ziehen, so beobachtet er, vor allem gut verdienende Singles oder Doppelverdiener, selten Familien mit Kindern. Kinder aber sind entscheidend für das Miteinander im Quartier: Wo Kinder sind, lernen sich auch die Erwachsenen schnell kennen. Keine Kinder - kaum Kontakte.

Auch bei Kirchengemeinden oder politischen Institutionen schauten die Neubürger selten vorbei, klagt Mögele. Die zögen den Kurztrip nach Rom übers verlängerte Wochenende vor. "Es gibt kaum Kontakt zwischen Alt und Neu", die Anonymität nehme zu, sagt Mögele. "Bedauerlich."

Nun überrascht es kaum, dass andere das anders sehen, Josef Kastenberger zum Beispiel. Der ist Inhaber einer mittelständischen Bauträgerfirma und Vorsitzender des Landesverbandes Freier Immobilien- und Wohnungsunternehmen Bayern. Doch, doch, meint er, es gebe viele Familien, die in diese Neubauten zögen. Tatsächlich? Naja, sagt er, wirklich familiengerechte Wohnungen mit vier oder mehr Zimmern gebe es selten in diesen neuen Häusern.

Kastenberger spricht von einem "Dilemma": Zwar sei die Nachfrage nach großen Wohnungen groß, "doch die wenigsten Familien mit Kindern können sich so eine Eigentumswohnung leisten". Also werden sie auch kaum gebaut.

Nicht so schlimm, dürften sich die Investoren denken. Die kleinen Wohnungen gehen auch so gut weg, berichtet Stephan Kippes vom Immobilienverband Süd. Und wieder spielt die Anonymität eine Rolle, diesmal umgekehrt: Wohnen in gewaltigen Blocks mit Kasernenambiente, wo niemand den Nachbarn kennt, ist out - überschaubare Anlagen sind in. So weit der Markt. Dennoch warnt auch Kippes: "Man muss stadtplanerisch aufpassen und darf es nicht übertreiben."

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