Martin Blessing:Der Minus-Mann

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An ihrer Spitze hat die Commerzbank mit Martin Blessing einen tapferen Kämpfer - und zugleich einen Mann ohne Fortune.

Hans von der Hagen

Eigentlich stimmt alles an Martin Blessing, dem Chef der Commerzbank. Er hat eine passable Karriere hinter sich, war Partner bei der Unternehmensberatung McKinsey, besetzte schon wichtige Posten bei anderen Banken - und hat mit gerade erst 45 Jahren noch ein großes Stück Weg vor sich.

Würde er die Dresdner Bank noch einmal kaufen? "Ich weiß es nicht genau", sagt Martin Blessing (Foto: Foto: dpa)

Er gilt als umgänglich und locker - und zugleich als kühler Entscheider. Hätte sich die Commerzbank einen besseren Mann suchen können, als sie im Frühjahr 2008 ihr langjähriges Vorstandsmitglied Blessing, den Enkel des einstigen Notenbankpräsidenten Karl Blessing, zum Chef machte?

Desaströse Bilanz

Die Antwort muss mittlerweile "ja" lauten. Blessing, der mit viel Schwung die Übernahme der Dresdner Bank vorantrieb, hat sich an dem maroden Institut schrecklich verhoben. So sehr, dass der Staat mit gut 18 Milliarden Euro jetzt mehr als das Fünffache des aktuellen Unternehmenswertes in das Institut stecken muss. Seit Blessings Antritt hat die Aktie der Commerzbank 80 Prozent verloren. Eine desaströse Bilanz.

Gewiss, vieles könnte den Umständen zugeschrieben werden. Martin Blessing trat seinen Posten mitten in der Finanzkrise an. Die Übernahme der Dresdner Bank wurde unmittelbar vor der Pleite der US-Bank Lehman Brothers verkündet. Das Scheitern der Lehman-Rettung verunsicherte die Branche derart, dass die Finanzkrise anschließend richtig zum Ausbruch kam.

Es sprengte die Vorstellungskraft der Banker, dass eine Bank in der Größenordnung von Lehman Bros pleitegehen könnte. Darum wird bis heute die Lehman-Pleite in der Branche als Naturkatastrophe gehandelt, als ein Ereignis, das nicht vorhersehbar gewesen sei und damit auch nicht den Bankern angelastet werden dürfe.

Warum eigentlich? Mit welcher Chuzpe nahm die gesamte Finanzwirtschaft an, dass das scheinbar Undenkbare - die Insolvenz einer Großbank - nicht eintreten könnte?

Die fatale Vorstellung, dass im Zweifelsfall immer der Steuerzahler einspringen würde, hatte eine seltsame Unverwundbarkeits-Philosophie in den Köpfen der Banker zementiert. Diese hat auf verheerende Weise die Geschäftspolitik der Banken beeinflusst und damit die Finanzkrise überhaupt erst möglich gemacht - und auch die Übernahme der Dresdner Bank durch die Commerzbank.

Zauderer oder Zupacker

Die US-Behörden hätten bei ihrer Entscheidung, die US-Investmentbank Lehman Brothers in die Insolvenz gehen zu lassen, die systemischen Risiken "massiv unterschätzt", zürnte Blessing im November.

Doch er hätte einen ähnlichen Vorwurf an sich selbst richten müssen: Blessing selbst hat das Risiko einer Lehman-Pleite massiv unterschätzt. Getrieben von der Idee, dass Commerzbank und Dresdner Bank zusammengehören - schon vor mehr als zehn Jahren hatte er sich für eine Vereinigung beider Institute starkgemacht - ließ sich der Finanzmanager in der entscheidenden Phase der Krise von der Mutmaßung leiten, dass das Schlimmste bereits überwunden sei. Manches sprach seinerzeit dafür - aber auch vieles dagegen.

Gut möglich, dass er bedrängt wurde, vor allem von der Politik, die befürchten musste, dass die Allianz die Dresdner Bank nach China verkaufen könnte. Vielleicht ließ er sich auch zu sehr von der Allianz überreden, die alles dran setzte, die Dresdner Bank loszuwerden.

Und: Wer möchte sich nicht einmal in dem Glück sonnen, in schwierigen Zeiten beherzt Chancen ergriffen zu haben, ein Zupacker und nicht Zauderer gewesen zu sein. Spekulanten werden verteufelt, wenn sie verloren haben - aber gefeiert, wenn sie gewinnen. Auch dem kühlsten Strategen sind solche Gedanken nicht fremd. Doch Blessing hätte im entscheidenden Moment "nein" sagen müssen.

Rückblickend ratlos

Jetzt hat der Firmenchef eine wichtige Runde verloren. Darum wird seine Bank nun teilweise verstaatlicht. Der Bund darf künftig bei allen Entscheidungen Blessings mitreden. Die Commerzbank, die schon einmal Anfang der achtziger Jahre fast in die Pleite gerutscht wäre, steht wieder als Verliererinstitut da. Das ist umso bitterer, als das Institut in den vergangenen Jahren auch vieles gut und richtig gemacht hat - und sich vor der Krise weit besser positioniert hatte als der einstige Rivale Dresdner Bank.

Manche loben Blessing als den Mann der Krise: Er sei derjenige gewesen, der den Bann gebrochen habe, als er vorpreschte und sich mit der Commerzbank unter den Rettungsschirm des Bundes begab. Mittlerweile aber scheint es fast, als sei der Fonds vor allem für die Commerzbank eingerichtet worden, um die Übernahme der Dresdner Bank abzusichern. Als Blessing am Donnerstag gefragt wurde, ob er die Dresdner Bank noch einmal kaufen würde, sagte er: "Ich weiß es nicht genau."

In der Bankenwelt gilt eine ungeschriebene Regel: Wenn ein Unternehmer ein großes Darlehen für seine Firma beantragt, solle der zuständige Betreuer jenseits aller Kennziffern auch darauf achten, ob der Mann eine glückliche Hand im Geschäftsleben hat.

Blessing hätte es da mittlerweile schwierig. An der Spitze der Commerzbank zeigt er sich als Mann ohne Fortune.

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