Licht und Schatten am Swimmingpool:Der Aufstand der Nassen

Lesezeit: 6 min

Wer darf sich wann und mit wem das Becken teilen - die Geschichte des Swimmingpools zeigt auch die gesellschaftliche Entwicklung der USA auf.

Viola Schenz

Am ersten Montag im September feiern die Amerikaner Labor Day, den Tag der Arbeit. Das heißt, sie feiern nicht wirklich, sie packen die Koffer, stehen sicherlich im Highwaystau, warten an Schaltern auf ihren Rückflug. An Labor Day kehrt die Nation zurück - nach Hause, in die Arbeit, in ein neues Schuljahr.

Erst sonnen - dann das erhitzte Mütchen kühlen (Foto: Foto: dpa)

Labor Day bedeutet das inoffizielle Ende des Sommers, das Ende der großen Ferien - und der Swimmingpool-Saison. Denn "Sommer", das ist gleich "Swimmingpool". Amerikaner besitzen mehr Pools als der Rest der Welt zusammen, hat jemand errechnet. Kann gut sein. Wer beim Landeanflug auf eine beliebige amerikanische Stadt aus dem Fenster schaut, sieht vor allem: runde, eckige, nierenförmige türkise Bassins in den Gärten der Vorstädte.

Eigenes Haus - das ist schon lange nicht mehr schwer, aber eigenes Haus mit Pool - damit hat man es geschafft, ist angekommen im Olymp der Mittelklasse: jenes flache Wasserloch hinter der Terrasse, das ein stets rotierender Saugroboter von Algen und Ungeziefer röchelnd freihält, an dem nachmittags die Freunde der Kinder herumkreischen und sich abends die Freunde der Eltern zum Barbecue versammeln - das ist die Sahnehaube auf dem amerikanischen Traum.

Dem Pöbel gefiel's

Dort hausten sie dann nach der 14-Stunden-Maloche in den Fabriken, ganze Familien eingepfercht in Einzimmer-Verschlägen - ohne Dusche oder Bad. Waschen? Die einzige Möglichkeit für einen New Yorker Slumbewohner war damals ein Sprung in den Hudson, wo er sich das Wasser allerdings mit Industrieabfällen, Fäkalien und Hausmüll teilte.

Die schwere Hitze, die in einem amerikanischen Sommer oft alles lähmt, tat das Ihre, die hygienischen Zustände unerträglich zu machen. Aus Angst vor Seuchen beschlossen die Stadträte, öffentliche Badeanstalten zu bauen, und zwar nicht nur die überdachten "Brausebäder", wie sie auch Deutschland um diese Zeit aus ähnlichen Gründen einführte, sondern - das Klima machte es möglich - Freibäder, in denen sich die Fabrikarbeiter kostenlos säubern - und sich nebenbei die Hygienetugenden des Mittelstands aneignen sollten.

Dabei stehen am Anfang der amerikanischen Poolkultur ausgerechnet die, von denen man sich mittels dieser Wasserwanne eigentlich distanzieren will: die Proleten. Jene Armutsflüchtlinge, die um die Wende vom 19. zum 20. Jahrhundert aus Europa rübermachten und zu Hunderttausenden in die Städte des Nordostens einfielen.

Der Pöbel fand Gefallen an der Sache. Die Bäder waren oft die einzige Abwechslung von der tristen Schufterei und eine Erlösung von der erbarmungslosen Großstadtglut. Aus Bädern wurden Spaßorte, die Sache mit der Hygiene trat bald in den Hintergrund. Die oberen Schichten entnahmen mit wohligem Schauder und bei gekühlter Limonade den Zeitungen, wie sich Krethi und Plethi mit Vergnügen in riesigen Gemeinschaftswannen den Dreck teilten.

Die Situation in den übervölkerten Großstädten entspannte sich, als die Regierung in den zwanziger Jahren die Immigration streng quotierte. So mancher Neuankömmling war inzwischen in ein besseres Viertel gezogen - und mit ihm das gewohnte Freibad. Auch die hochnäsige Mittelschicht der Golden Twenties fand plötzlich Gefallen am kollektiven Planschen.

Schwimmen demokratisierte

Als dann auch noch die Amerikanerin Gertrude Ederle 1926 als erste Frau den Ärmelkanal durchschwamm, gab es sogar für bisher abstinente Damen kein Halten mehr: Jung, Alt, Männlein, Weiblein, Arbeiter, Angestellte strömten jetzt sommers an die Becken, die immer weniger den Charakter von Anstalten hatten als von Freizeitparks mit künstlichen Sandstränden, Steininseln und Sonnenstühlen.

Auch die Wirtschaftskrise 1929 und die Depression, die ihr über Jahre folgen sollte, stellten sich dem nicht in den Weg, im Gegenteil. Mit den Arbeitsbeschaffungsprogrammen, die Präsident Roosevelt 1933 startete, entstanden nicht nur Straßen, Krankenhäuser, Schulen, Flughäfen und Parkanlagen, sondern auch Hunderte Freibäder im Land.

Laut einer Umfrage aus dem Jahr 1933 besuchten 60 Prozent der Amerikaner sie regelmäßig. Schwimmen demokratisierte merklich. "Verbannt den Schein und die Heuchelei der Kleidung, schlüpft in einen Badeanzug, und alle sind gleich!", so forderte etwa ein Lokalpolitiker in Pittsburgh.

Wo die teuren Uhren und der Schmuck in den Umkleidekabinen blieben, und jeder Körper auf nasse Haare und Badeanzug reduziert war, ließ sich der soziale Status nicht mehr so leicht ausmachen. Die unteren und mittleren Klassen kamen sich auf den Badelaken näher.

Die High Society freilich hielt sich von solchem Massenauftrieb weiter fern. Hinter den Mauern und Hecken ihrer Anwesen hatte längst eine Poolkultur eigener Couleur Einzug gehalten. Allerdings dienten die Becken weniger Sport oder Spaß, sondern als monumental-architektonische Kulisse. "Ihr Sinn und Zweck war es, den Garten zu verschönern und die Partys zu beleben", schreibt der niederländische Architekturhistoriker Thomas van Leeuwen.

Milchshake am Rande des Pools

In F. Scott Fitzgeralds "Großem Gatsby" bringen sich gelangweilte Schönheiten in Smoking und kessem Cocktailkleid auf Long Island gegenseitig auf dumme Gedanken. Derweil entbrannte an der anderen Küste, in der Film-Society Kaliforniens, ein Wettkampf, wer auf Hearst Castle, das Schloss des Zeitungsmagnaten William Randolph Hearst, eingeladen würde.

Dort galt und gilt der Neptune Pool mit seinen 32 mal 28 Metern, den griechischen Statuen, Kolonnaden und dem Nachbau eines antiken Portikus als die Krönung der Poolarchitektur - im Inneren des Schlosses ließ Hearst ein mosaikübersätes Pendant errichten. Der Bau zog sich von 1924 bis 1936 hin.

Wer es hierher schaffte, um neben Charlie Chaplin, Cary Grant oder Joan Crawford, nein, keinen Whisky - Alkohol war bei Hearst streng untersagt, wer mit Drink erwischt wurde, flog raus - einen Milchshake zu schlürfen, der war geadelt. In den Pool sprang inzwischen niemand mehr, weder hier noch dort auf Long Island.

Die Angst von früher, sich Dreckbazillen einzufangen, wurde zwischenzeitlich abgelöst von der Angst, sich mit Kinderlähmungsviren anzustecken. Ein Präsident, der als junger Mann im Rollstuhl landete, war Warnung genug. Im Zentrum der Poolkultur stand nicht mehr das Eigentliche, das Wasser, sondern das müßige Rumstehen am Beckenrand - privat oder öffentlich, mit oder ohne Cocktail.

Nur eine Gruppe störte die schöne Freizeitidylle: die Schwarzen. In den Südstaaten gab es zwar ohnehin keine gemischtrassigen Bäder, im liberaleren Norden aber war das anders. Dass sich dort jetzt halbnackte schwarze Männerhaut mit halbnackter weißer Frauenhaut zusammenfand, und das auch noch in aller Öffentlichkeit - das war selbst den halbaufgeklärten Nordstaatlern zu viel.

Die Urangst vor dem ungezügelten Sexualtrieb der Schwarzen brach sich Bahn. Zu allem Überfluss waren die schwarzen Männer meist auch noch verdammt gut gebaut, weil sie in ihren Jobs körperlich hart schufteten. Die White-Collar-Boys mit ihren schlaffen Büro-Bodys konnten da nicht mithalten. Mit den öffentlichen Pools aber entstand die Körperkultur.

Neue Bademoden, die immer knapper saßen, und Materialien, die sich immer raffinierter an den Körper schmiegten und einen nicht mehr kiloschwer unter Wasser zogen, taten das Übrige. Manche gingen weniger zum Schwimmen als zum Glotzen in die Bäder. So viel kostenlose Fleischbeschau gab es sonst nirgends im Land. Der weiße Mann witterte Gefahr.

Wer sich wann und mit wem das Becken teilen darf, hat die Geschichte des Swimmingpools von Anfang an begleitet. Die soziale und geschlechtliche Barriere war längst gefallen, aber jetzt kam die Rassenfrage auf. Man versuchte es mit willkürlichen "Gesundheitszeugnissen", die nur schwarzen Besuchern am Eingang abverlangt wurden und die sie natürlich nicht hatten, weil es sie nicht gab.

Mal waren die Pools grundsätzlich schon "überfüllt", wenn eine Gruppe Schwarzer rein wollte, mal gab es plötzlich exorbitant hohe Eintrittspreise. Wer davon nicht entmutigt war, den erwartete drinnen ein weißer Mob, der zu allem bereit war, auch dazu, schwarze Gäste unter Wasser zu drücken. Die Segregation, die man eigentlich nur von den Südstaaten kannte, hielt, was das Baden anging, auch im Norden Einzug.

Die Stadtverwaltungen bauten in Schwarzen-Vierteln Pools, um die Bewohner davon abzuhalten, dorthin zu gehen, wo mehrheitlich Weiße schwimmen gingen. Die Ersatzbäder hatten die Größe und den Charme einbetonierter Pfützen und bald den appetitlichen Beinamen "öffentliche Urinale". Immer wieder kam es zu grotesken Szenen, wie 1951 in Youngstown im Bundesstaat Ohio, als eine Jugend-Baseballmannschaft ihren Sieg im örtlichen Schwimmbad feiern wollte.

Nur ein Spieler, Al Bright, durfte nicht rein - er war dunkelhäutig. Der Bademeister zwang ihn, hinter dem Zaun zu bleiben. Erst als sich mehrere - weiße - Eltern ein Herz fassten und auf den Bademeister einredeten, durfte Al, nachdem alle anderen Jungs das Becken verlassen hatten, ins Wasser, besser gesagt: aufs Wasser - auf einer Luftmatratze sitzend.

"Was auch immer du machst, berühr' auf keinen Fall das Wasser!", rief ihm der Bademeister warnend zu, erfährt man in der gerade erschienenen Sozialgeschichte des amerikanischen Swimmingpools (Jeff Wiltse: Contested Waters: A Social History of Swimming Pools in America, University of North Carolina Press 2007).

Ratzfatz zum eigenen Schwimmbecken

Die Bürgerrechtsbewegungen und die Sozialreformen der Sechziger machten solchem Schwachsinn ein Ende. Das bedeutete aber nicht, dass Weiße sich nun freiwillig mit Schwarzen das Wasser teilten. Im Gegenteil: Der Wirtschaftsaufschwung der Fünfziger hatte auch in den Gärten seine Spuren hinterlassen.

Wer neben Fernseher, Chevy, Haus und drei Kindern ein weiteres Statussymbol brauchte, ließ die Männer von Gunite Pool kommen: Die buddelten ratzfatz eine Spritzbeton-Metallgitter-Vertiefung in den Rasen und füllten sie mit Wasser - für erschwingliche 3000 Dollar. Banken vergaben Poolkredite.

Wenn das die Nachbarn immer noch nicht neidisch machte, war ihnen auch nicht zu helfen. 1965 hatten 575.000 Familien ihren eigenen Pool, fünf Jahre später waren es schon 800.000. So konnte man unter sich bleiben. Weil die weiße Mittelklasse also nicht mehr öffentlich baden gehen wollte, steckten die Gemeinden auch kein Geld mehr in die Bäder.

Das sollte sich rächen: Zwischen 1964 und 1968 zählte das Land 329 "schwarze Aufstände" in 257 Städten, die meisten fanden in schwül-heißen Sommernächten statt. Trotz allen Reformgeists in den Sechzigern geriet der simpelste Zweck des Pools in Vergessenheit: die erhitzten Gemüter frustrierter Ghetto-Bewohner buchstäblich abzukühlen.

Ein Statussymbol ist der Pool bis heute. Jedes Motel versucht, die Konkurrenz nebenan mit vier Neonbuchstaben auszustechen ("Pool!") - auch wenn es nur eine eingezäunte Großwanne ist zwischen Parkplatz und Cola-Automat. Ein amerikanischer Vorstadt-Sommer ist eine Serie von Poolpartys, inzwischen auch mit schwarzen, hispanischen und asiatischen Nachbarn. Dass sich die Prolls in den Trailerparks derweil mobile Mini-Pools zulegen, stört keinen.

© SZ vom 1.9.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: