Klagewelle gegen Konzerne angekündigt:Versicherte verschenken Milliarden

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Vor einem Jahr fällte der Bundesgerichtshof einige grundsätzliche Urteile zu den Erstattungsansprüchen bei gekündigten Lebensversicherungen. Trotzdem haben Millionen Versicherte noch kein Geld zurückbekommen.

Thomas Öchsner

Am 12. Oktober 2005 sprach der Bundesgerichtshof (BGH) ein Machtwort: Kunden, die eine private Lebensversicherung oder eine Rentenversicherung abgeschlossen und vorzeitig gekündigt haben, können höhere Rückzahlungen verlangen als bisher üblich. Die Urteile gelten zwar nur für Verträge, die zwischen Juli 1994 und Mitte 2001 abgeschlossen und seither vorzeitig aufgelöst wurden (Aktenz.: 162/03, 177/03, 245/03).

Nur wer sich meldet, bekommt Geld. (Foto: Foto: ddp)

Trotzdem treffen sie nach Berechnungen der Verbraucherzentrale (VZ) Hamburg sieben Millionen Verträge. "Bei einem Rückforderungsbetrag von durchschnittlich 500 Euro geht es dabei um Nachforderungen von etwa 3,5 Milliarden Euro", schätzt Edda Castelló, Finanzexpertin der VZ Hamburg.

Glimpflich davon gekommen

Bisher kam die deutsche Versicherungsbranche jedoch glimpflich davon: Nach Angaben der VZ Hamburg haben erst einige tausend Kunden einen Nachschlag bekommen.

Castelló, die für die anderen Verbraucherzentralen den juristischen Kampf gegen die Versicherungsunternehmen organisiert, erhebt deshalb schwere Vorwürfe gegen die Branche: "Währung der Kunde bei einem Auto mit Konstruktionsfehlern mit dem Rückruf des Herstellers rechnen kann, melden sich die Versicherer nicht, um sich vor einer Rückzahlung drücken zu können."

Kunden wurden nicht informiert

Der Ombudsmann der Branche, der ehemalige BGH-Richter Wolfgang Römer, hatte die Gesellschaften dazu aufgerufen, zumindest bei den juristisch unumstrittenen Fällen die Kunden von sich aus zu informieren. Dies ist nach den Erfahrungen der VZ Hamburg aber nicht geschehen.

"Die Versicherer sitzen das Problem einfach aus und verlassen sich darauf, dass nur ein Bruchteil ihrer Ex-Kunden die Forderung anmeldet", kritisiert Castelló. Diese Strategie scheint bislang aufgegangen zu sein. Nur wenige der ehemaligen Versicherten haben in den vergangenen zwölf Monaten die jeweiligen Unternehmen angeschrieben - trotz zahlreicher Aufrufe in den Medien.

Die Leute bücken sich nicht, um das Geld aufzuheben

"Uns ist es schleierhaft, warum die Leute sich nicht bücken und das Geld aufheben, das auf der Straße liegt", bedauert die Finanzexpertin. Dabei sei es einfach, sein Geld zurückzubekommen. Die meisten Versicherer zahlten oft schon nach Aufforderung durch einen schlichten Brief - wenn auch nie mit nachprüfbarer Rechnung.

Nach Angaben der VZ Hamburg gibt es aber auch Unternehmen, die selbst dann noch versuchen, ihre Ex-Kunden abzuwimmeln. Negativ fiel dabei zunächst die Hamburg-Mannheimer auf. Erst nachdem die Verbraucherzentrale eine Sammelklage gegen das Unternehmen eingereicht hatte, leistete der Versicherer Nachzahlungen zwischen 185 und 857 Euro.

Die gleiche Mauertaktik wirft Castelló der Aachen-Münchener Lebensversicherung vor. Gegen das Unternehmen reichte die VZ Hamburg deshalb ebenfalls eine Sammelklage ein.

"Die Aachen-Münchener hat mit der Deutschen Vermögensberatung, der DVAG, einen besonders aggressiven Vertrieb", sagt Castelló. Dieser habe offenkundig immer wieder Policen an Bürger verkauft, die finanziell nicht dazu in der Lage waren, die lange Laufzeit einer Lebensversicherung durchzuhalten. Dies zeige auch die Stornoquote der Gesellschaft, die mit 6,8 Prozent mit am höchsten unter den deutschen Versicherern sei.

Kein Stau in der Bearbeitung

Ein Sprecher des Unternehmens wies die Vorwürfe zurück. "Wir haben in allen berechtigten Fällen ausgezahlt und bei den Rückkaufswerten keinen Stau in der Bearbeitung", sagte er.

Die hohe Stornoquote führte der Sprecher unter anderem auf die starke Präsenz des Unternehmens in den neuen Bundesländern zurück. Viele der Kunden litten unter den schlechten wirtschaftlichen Verhältnissen in Ostdeutschland und hätten deshalb ihre Policen gekündigt.

Weitere Unternehmen im Visier

Neben der Aachen-Münchener hat die VZ Hamburg noch weitere Unternehmen im Visier. So bereiten die Verbraucherschützer Klagen gegen Axa, Swiss Life und Deutscher Herold vor.

Außerdem wollen die Verbraucherzentralen juristisch klären lassen, inwieweit die BGH-Urteile sich auf vier weitere Fallmuster übertragen lassen: fondsgebundene Versicherungen, angeblich verjährte Forderungen, Verträge vor 1995 und Verträge ab Herbst 2001, bei denen die neuen Klauseln zu den Abschlusskosten und Stornogebühren juristisch umstritten sind.

Jede zweite Lebensversicherung wird vorzeitig gekündigt

In Deutschland wird mehr als jede zweite Lebensversicherung vorzeitig gekündigt. Davon stornierten Versicherte in der Vergangenheit viele Verträge so früh, dass der Rückkaufswert wegen der Kosten für Provision und Verwaltung sowie wegen der Stornogebühren bei null lag. Damit machte der BGH Schluss. Die Richter entwickelten eine Formel für einen Mindestrückkaufswert.

Auch die Bundesregierung hat inzwischen Konsequenzen gezogen. Der am Mittwoch im Kabinett verabschiedete Entwurf für ein neues Versicherungsvertragsrecht sieht kundenfreundlichere Regelungen vor, so etwa bei der Verjährung oder bei der Beteiligung an den stillen Reserven des Versicherers. "Davon können auch Kunden profitieren, die ihre Police vorzeitig kündigen", sagt Wolfgang Scholl.

© SZ vom 12.10. 2006 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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