Investition in die Zukunft:Kostüme, Kamelle und Kommerz

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In den Karnevalshochburgen werden zur fünften Jahreszeit Netzwerke gepflegt, viele Unternehmen zeigen sich großzügig - der nächste Auftrag kommt bestimmt.

Caspar Dohmen

Werner Blum lebt vom Karneval. Drei der 99 Wagen und einige große Figuren hat der 46-jährige Künstler gemeinsam mit einigen freien Mitarbeitern für den diesjährigen Kölner Rosenmontagszug gebaut, einen mit drei überlebensgroßen Pappmascheegrazien, die im Bikini vor einer fett gewordenen Colonia, der Patronin der Millionenstadt am Rhein, tänzeln.

Seit Anfang November arbeitet Blum wie alle anderen Wagenbauer auch in einer metallschimmernden Industriehalle, die innen mit Farbeimern auf dem Boden und Skizzen an den Wänden wie ein großes Atelier aussieht.

Am Karneval verdient nicht nur Blum, längst ist das Geschäft mit Orden, Kamelle oder Touristen ein handfester Wirtschaftsfaktor, vor allem in den rheinischen Karnevalshochburgen Köln, Düsseldorf und Mainz.

Karneval als Jobmaschine

So schätzt der Bund Deutscher Karneval BDK den bundesweiten Umsatz mit der fünften Jahreszeit auf vier bis fünf Milliarden Euro. Etwa 50.000 Jobs in 3000 Unternehmen würden am Karneval hängen, sagt BDK-Präsident Volker Wagner.

Auf die Wirtschaftskraft angesprochen redet Christoph Kuckelkorn erst einmal über das "Gefühl Karneval". Der 43-Jährige, der den Lebensunterhalt für seine sieben Köpfe starke Familie als Bestatter verdient, leitet den Rosenmontagszug. Selbstverständlich ehrenamtlich. Er versuche den Kommerz soweit möglich aus dem Karneval herauszuhalten, sagt er.

Der Zugleiter, ein Mann mit wallendem Haar, Vollbart und einem Dreiteiler mit weißem Hemd, hat sich in seinem Büro im ersten Stock des Kölner Karnevalsmuseums gerade warm geredet, da klingelt sein Handy, oder genauer: Es ertönt die Marschmusik "La Rida". Sie ist gewöhnlich immer dann zu hören, wenn die Blauen Funken in einen Sitzungssaal einziehen. Die Blauen Funken gehören zu den ältesten der 160 Karnevalsgesellschaften in Köln.

Kuckelkorns Vater ist Präsident, er selbst quasi Mitglied seit seiner Geburt. Solche Mitgliedschaften haben viel mit Brauchtum, bei genauerem Hinsehen aber auch etwas mit Wirtschaft zu tun.

Dies wird deutlich, als Kuckelkorn doch noch einen Einblick in die Lektion Fastelovend (rheinisch für Fastnacht) und Wirtschaft gibt. Viele Unternehmen arbeiteten zu deutlich günstigeren Konditionen für eine Karnevalsveranstaltung, sagt er und erzählt dann von der Firma, die einen Mitarbeiter umsonst nach Bremen schickte, weil er dort einen günstigen Trecker für den Zug gefunden hatte.

Solche Hilfen sind für den Oberjecken typisch. ,,Man kennt sich, man hilft sich'', zitiert Kuckelkorn die Definition des kölschen Klüngels und schiebt dann schnell hinterher, dies seien aber keineswegs Geschäfte auf Gegenseitigkeit.

Müllmann fragt den Banker

Karnevalgesellschaften vereinen Menschen aus allen Schichten. Da frage der Müllfahrer bei Problemen mit seiner Sparkasse eben den Sparkassendirektor aus seiner Gesellschaft, umgekehrt laufe es, wenn sich der Sparkassendirektor über einen Müllberg auf dem Gehweg ärgere, erzählt Kuckelkorn. So entstünden stabile Netzwerke, die sich natürlich auch einmal für die Beteiligten wirtschaftlich auszahlen könnten.

"Man vergibt eben gerne einen Auftrag an jemanden, den man gut kennt", sagt Kuckelkorn. Ihn kennt fast jeder in Köln, nicht zuletzt seit einer vierteiligen Fernseh-Dokusoap über seine Familie auf Vox. Kuckelkorn ruft man in Köln, wenn Prominente wie der Volksschauspieler Willy Millowitsch beerdigt werden.

Der Zugleiter ist bei allem Lob für Tradition und Ehrenamt eben auch ein Geschäftsmann. Als solcher sieht er mehr Potential in der Marke "Rosenmontagszug". Da möchte er mehr herausholen als seine Vorgänger, die schwarz-weiß abgelichtet mit Anzug und Karnevalsmütze auf den Schreibtisch ihres Nachfolgers schauen.

So ahndet er nun in dieser Session erstmals streng, wenn Firmen ungerechtfertigter Weise das Zugmotto nutzen, welches diesmal "Mir all sin Kölle" lautet. Erlaubt ist dies nämlich nur den Karnevalsgesellschaften und den Sponsoren, zu denen fast alles zählt, was in Köln Rang und Namen hat, ob WDR, Ford, Kaufhof, die Sparkasse Köln-Bonn und Kreissparkasse Köln oder die Schweizer Privatbank UBS und die Fluggesellschaft Germanwings. Einige von ihnen verdienen kräftig am Karneval.

"Drink doch ene met"

Die Fluggesellschaft Germanwings profitiert gleich doppelt von der Karnevalszeit. Viele Rheinländer zöge es in den dollen Tagen zurück in ihre Heimat, sagt ein Sprecher, aber auch ehemalige türkische Gastarbeiter buchten einen Kurztrip. Umgekehrt gebe es eine Menge Karnevalsflüchtlinge. All dies lässt den Ticketabsatz anschwellen. Vor allem aber profitieren die lokalen Geschäftsleute, ob Taxifahrer, Wirte oder Hoteliers, vom närrischen Treiben.

Mancher Wirt nimmt in den sechs Tagen zwischen Weiberfastnacht und Aschermittwoch dreimal mehr ein als im restlichen Jahr, ganz nach dem kölschen Motto: "Drink doch ene met." Dafür renovieren die Wirte anschließend gern die Kneipe.

Auch als Musikgruppe lässt sich blendend verdienen, wenn man es schafft, einen Hit für die Session zu schreiben. Mehr als zwei Millionen Platten hat zum Beispiel die Gruppe "Höhner" bisher in ihrer Karnevalskarriere verkauft. Hinzu kommen Hunderte bezahlter Auftritte.

Gerichtsvollzieher klopft an

Ob 1. FC Köln, Tüv Rheinland oder Kaufhof - fast jede Körperschaft zelebriert ihre eigenen Karnevalssitzungen. So werden auf mehr als 2000 Veranstaltungen in einer Session schätzungsweise 340 Millionen Euro ausgegeben. Der Sitzungskarneval ist straff organisiert. Sitzungstermine in den großen lukrativen Sälen oder die Auswahl der Künstler für die TV-Sitzungen legt das Festkomitee Kölner Karneval fest.

Nicht immer geht die Rechnung auf. "Eines Tages stand der Gerichtsvollzieher wegen unseres Vereins vor meiner Tür", sagt der Präsident eines Kölner Karnevalsvereins. Wenn eine Sitzung floppe, käme schnell ein Minus von mehreren tausend Euro zusammen. Die Musikgruppe "Höhner" ist dagegen stets gut für volle Säle. Mittlerweile tritt die Band während des ganzes Jahr auf. Längst sind Hits wie "Viva Colonia" auch bei der Handball-WM, beim Après-Ski oder auf Mallorca zu hören.

Kuckelkorn warnt aber vor einer Ballermannisierung des Karnevals. "Wichtig für die Marke ist die Begrenzung der Aktivitäten auf die Zeit zwischen dem 11.11. und Aschermittwoch", sagt der Zugleiter. Deshalb stimme das Kölner Festkomitee, dem Kuckelkorn als Vizepräsident angehört, auch nur selten Sommerauftritten wie dem Marsch von Roten Funken oder Treuen Husaren bei Veranstaltungen wie der Steuben-Parade in New York zu.

Zu strenge Regeln schadeten dem Karneval aber, sagt Kuckelkorn. "Karneval ist immer auch Anarchie."

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