Interview mit Otmar Issing:"Ohne den Euro wäre Benzin noch viel teurer"

Lesezeit: 5 min

Der frühere Notenbanker Issing über die Vorteile einer starken Währung, steigende Bierpreise und wieso er selbst manchmal noch in D-Mark rechnet.

Helga Einecke und Martin Hesse

Der starke Euro beschert Wirtschaft und Verbrauchern enorme Vorteile, findet Professor Otmar Issing, 72. Er hat vor zehn Jahren als Chefvolkswirt die Europäische Zentralbank (EZB) mitaufgebaut.

Otmar Issing: "Der Dollar bleibt auf absehbare Zeit die Nummer eins auf der Welt." (Foto: Foto: Bloomberg)

Die gemeinsame Währung hält er für eine soziale Errungenschaft, weil sie trotz der jetzigen Preissteigerungen auf mittlere Sicht Stabilität verspreche. Inflation hingegen sei das Unsozialste, was es gibt. Sie treffe vor allem die Armen.

SZ: Herr Issing, jeder dritte Deutsche will die D-Mark zurück. Ist der Euro ein Fehlschlag?

Otmar Issing: Nein. Für die Deutschen war der Abschied von der D-Mark eine schmerzliche Trennung. Es ist ein großer Erfolg, dass sich zwei Drittel der Bevölkerung so schnell mit dem Euro angefreundet haben. Im übrigen würde niemand die Ablösung des Euro wünschen, wenn er überlegt, was das bedeuten würde.

SZ: Aber jeder zweite Deutsche macht den Euro für steigende Preise verantwortlich.

Issing: Viele Dinge des täglichen Lebens, wie der Espresso oder ein Brötchen, sind sehr viel teurer geworden. Aber der Ölpreis hat sich seit 1998 verzehnfacht, die Mehrwertsteuer wurde massiv erhöht. Die Preissteigerungen, die das zur Folge hatte, haben nichts mit dem Euro zu tun. Der starke Euro erspart den Deutschen sogar noch höhere Ausgaben für Benzin und Heizöl.

SZ: Rechnen Sie persönlich noch in D-Mark um?

Issing: Bei größeren Anschaffungen haben alle Menschen meiner Generation ihr Bezugssystem aus D-Mark-Zeiten. Das ist auch ein Grund für die gefühlte Teuerung. Die Maß Bier beim Oktoberfest wird zum Beispiel Jahr für Jahr teurer, egal ob in D-Mark oder Euro. Verglichen wird jedes Jahr der Euro-Preis mit dem letzten Referenzwert der D-Mark aus dem Jahr 2001. Das erzeugt dann leicht das Gefühl, dass wegen des Euro die Preise steigen.

SZ: Ist der starke Euro gut oder schlecht?

Issing: Er ist eindeutig von Vorteil. In erster Linie profitieren die Verbraucher, die sonst fast zwei Euro für den Liter Benzin an der Tankstelle zahlen müssten. Fraglos leiden einzelne Exportbranchen. Aber in den meisten Exportprodukten stecken importierte Vorprodukte, nicht zuletzt Energie. Beim Porsche Cayenne ist zum Beispiel nur noch wenig deutsche Wertschöpfung enthalten. Unternehmen der chemischen Industrie räumen offen ein, dass sie mehr vom starken Euro profitieren als darunter leiden.

SZ: Hat der Euro das Zeug, den Dollar als Leitwährung abzulösen?

Issing: Nein. Der Euro ist die zweitwichtigste Währung. Der Dollar bleibt auf absehbare Zeit die Nummer eins.

SZ: Sie haben gerade ein Buch über den Euro geschrieben und dazu gesagt, Geschichte sollte von Siegern geschrieben werden. Fühlen Sie sich als Sieger?

Issing: Militärisches Denken ist mir fremd. Eine Motivation, dieses Buch zu schreiben, war, dass der Erfolg des Euro nicht vom Himmel gefallen ist. Der ist hart erarbeitet worden.

SZ: Bremst der Zwang zum Konsens in der Europäischen Zentralbank nicht die Entscheidungsfreude?

Issing: In Deutschland ist der Begriff Konsens negativ belegt. Darunter versteht man meist langes Palavern und einen Kompromiss auf dem kleinsten gemeinsamen Nenner. Das trifft auf den Rat der EZB nicht zu. Nach einer eingehenden Diskussion wird eine einvernehmliche Entscheidung getroffen. Diese wird von jedem EZB-Mitglied mitgetragen.

SZ: Die US-Notenbank Fed gilt als entscheidungsfreudiger und ist mit Zinsänderungen schneller bei der Hand.

Issing: Die EZB ändert nicht deshalb weniger häufig die Zinsen, weil sie warten muss, bis das letzte Ratsmitglied an Bord ist. Sie verfolgt eine vorausschauende Strategie. Die Lage ändert sich im allgemeinen nicht alle paar Wochen.

SZ: Während der Finanzkrise konnte man schon den Eindruck haben, die Welt ändere sich in vier Wochen. Ist da nicht eine schnelle Entscheidung gefragt?

Issing: Die EZB hat in der Finanzkrise sehr schnell reagiert. Anfang August vergangenen Jahres stellte sie sofort zusätzliche Liquidität zur Verfügung. Davon zu trennen ist der geldpolitische Kurs, der mittel- bis langfristig orientiert ist. Zinsänderungen entfalten ihre volle Wirkung erst in ein bis zwei Jahren.

SZ: Ist es ein Verdienst der EZB, dass die Finanzkrise Europa nicht so hart getroffen hat?

Issing: Das Prinzip stetiger Politik hat sich bewährt. Die Finanzmärkte brauchen eine langfristige Garantie für stabile Preise.

SZ: Bundespräsident Horst Köhler hat die Finanzmärkte als Monster bezeichnet. Ist das gerechtfertigt?

Issing: Ich fürchte, das Wort Monster verschärft ohnehin bestehende Ängste. Die Dinge können nicht so bleiben wie sie sind. Die Akteure an den Finanzmärkten können auch nicht nach völliger Freiheit rufen, aber wenn die Dinge schief gehen, die Hilfe des Staates einfordern.

SZ: Die Banken leben seit fast einem Jahr von der ständigen Geldzufuhr der Notenbanken. Ist es denn die Aufgabe von Zentralbanken, Banken nach Fehlern dauerhaft zu subventionieren?

Issing: Eindeutig nein! Zunächst ging es darum, Störungen am Geldmarkt zu beseitigen. Das ist Aufgabe der Notenbank. Die Liquidität fließt dabei automatisch zurück, und das hat mit einer Subvention nichts zu tun.

SZ: Wie lange soll die EZB die Versorgung der Banken mit Liquidität über das normale Maß hinaus durchhalten?

Issing: Das lässt sich nicht voraussagen. Die Spannungen am Geldmarkt sollten sich allmählich auflösen. Es fehlt ja nicht an Liquidität, sondern an Vertrauen.

SZ: Wie passt die Krise des Finanzsystems mit dem Aufschwung in Deutschland zusammen?

Issing: Wir können froh sein, dass es in Deutschland trotz Finanzkrise und Rezession in den USA weiter aufwärts geht.

Aber wir sollten das erste Quartal nicht überschätzen. Das zweite Quartal wird vermutlich deutlich schwächer ausfallen.

SZ: Ist es ein Zufall, dass die Arbeitslosigkeit in Deutschland zurückgeht, während die Preise steigen?

Issing: Dass sich der Arbeitsmarkt bessert, wenn die Inflation zunimmt, oder die Arbeitslosigkeit steigt, wenn die Inflation bekämpft wird, ist eine These aus der Rumpelkammer. Solche Irrtümer scheinen unausrottbar. Das gilt auch für die Kaufkraft-Theorie der Löhne. Die erinnert an den Schwindler Münchhausen, wenn sie verspricht, eine Wirtschaft könne sich durch forcierte Lohnsteigerungen quasi selbst aus dem Sumpf der wirtschaftlichen Schwäche ziehen. Solche Thesen werden aufgewärmt, wenn sie in die politische Argumentation passen. Sie sind und bleiben falsch.

SZ: Die amerikanische Notenbank nimmt Inflation in Kauf, um die Wirtschaft in Schwung zu bringen und den Arbeitsmarkt zu stabilisieren.

Issing: Ich bestreite das. Keine Notenbank vergisst die Erfahrungen der 70er Jahre. Am Ende gab es mehr Inflation und höhere Arbeitslosigkeit. Die Entwicklung endete in einer Stagflation. Das letzte, was wir brauchen, ist eine Wiederholung dieser Erfahrungen.

SZ: Wie kann die EZB die heutige Inflation, die über steigende Energie- und Rohstoffpreise von draußen kommt, eindämmen?

Issing: Wenn die Scheichs uns eine höhere Rechnung schicken, wirkt das wie eine Steuer. Daran kann niemand etwas ändern, wir müssen die Rechnung bezahlen. Aber aus den einmaligen Preiserhöhungen darf kein Inflationsprozess entstehen. Die Wirtschaft darf nicht mit anhaltend steigenden Preisen rechnen. Nicht umsonst spricht man von der Lohn-Preis-Spirale.

Lesen Sie auf der nächsten Seite, warum Issing gegen eine Sozialunion ist.

SZ: Sind denn unsere Lohnsteigerungen schon Teil einer Spirale?

Issing: Die Kombination aus langer Zurückhaltung bei den Löhnen, besserer Wirtschaftslage und einer Serie von Steuererhöhungen haben für Unmut bei den Arbeitnehmern gesorgt. Von einer Wiederholung der 70er Jahre sind wir aber weit entfernt.

SZ: Verlieren die Notenbanken nicht an Einfluss, weil sie selbst die Kapitalmärkte kaum noch steuern können?

Issing: Nein. Die Finanzmärkte zeigen Vertrauen in die Politik der EZB. Das zeigt sich auch in dem starken Euro.

SZ: Gefährden denn die Eingriffe von Politikern die Erfolgsbilanz des Euro?

Issing: Die Währungsunion verlangt mehr Flexibilität, weil sich die Wechselkurse nicht mehr wie früher verschieben lassen. Die Regierungen wissen das, bleiben aber die überzeugende Antwort schuldig. Sie haben außerdem den Stabilitätspakt gröblich verletzt.

SZ: Politiker fordern eine Sozialunion in Europa. Ist das nicht ein Weg zu mehr Wohlstand?

Issing: Eine Zone stabiler Währungen ist eine soziale Einrichtung. Inflation ist das Unsozialste, was es gibt, sie trifft immer die schwächsten Mitglieder der Gesellschaft am stärksten. Was unter der Überschrift "Sozialunion" häufig gefordert wird, sind europaweit harmonisierte Rechte bei Kündigungsschutz oder Sozialhilfe auf höchstem Niveau. Das würde den Aufholprozess der schwächeren Euroländer behindern.

© SZ vom 27.5.2008/hgn - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
Zur SZ-Startseite
Jetzt entdecken

Gutscheine: