Inflation:Wie halbierte Geldscheine

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Global greift die Inflation um sich und gefährdet das Wachstum. In vielen Schwellenländer hat es bereits zweistellige Preissteigerungen gegeben - die Fortschritte eines ganzen Jahrzehnts sind in Gefahr.

Markus Zydra

Die Inflation ist zurück. Sie quält die deutschen Gemüter, denn die Preise für Benzin, Gas, Rohöl und Lebensmittel steigen rasant. Innerhalb der europäischen Währungsunion lag die Inflationsrate im März bei 3,6 Prozent und im April bei 3,3 Prozent.

Angst vor hoher Inflation: Vor allem den Menschen in Schwellenländern wie Indien machen die galoppierenden Preise zu schaffen. (Foto: Foto: AP)

Die Menschen reagieren reflexartig mit Furcht. Sie sparen so viel wie seit 1993 nicht mehr. Im ersten Quartal 2008 legten die Deutschen 14,8 Prozent ihres verfügbaren Einkommens auf die hohe Kante, meldet das Statistische Bundesamt. Dabei stiegen die Löhne im Vergleich zum Vorjahr um durchschnittlich 3,4 Prozent. Doch die Teuerung frisst dieses Plus nahezu vollständig auf.

Anschaffungen werden auf Eis gelegt

In diesem Jahr dürfte die Inflation im Durchschnitt bei etwa 2,6 Prozent liegen, schätzt das Deutsche Institut für Wirtschaftsforschung (DIW Berlin). Dabei werde die Teuerung erst in der zweiten Jahreshälfte etwas zurückgehen. "Die niedrigen Inflationsraten der 90er Jahre wird es aber auf absehbare Zeit nicht mehr geben", prognostiziert DIW-Konjunkturchef Christian Dreger.

Er warnt zugleich vor einer Gefährdung der weiteren wirtschaftlichen Entwicklung. "Die Preisentwicklung dämpft die Erholung des privaten Konsums, auf der die konjunkturellen Perspektiven für dieses und nächstes Jahr beruhen." Inflationsängste halten Konsumenten von der Shopping-Tour ab, schon jetzt. "Größere Anschaffungen legen die Verbraucher nun auf Eis", stellt Rolf Bürkl fest, Experte der Gesellschaft für Konsumforschung (GfK). Das ist die Binnensicht auf die Dinge.

Problem der Dollarbindung

Mindestens ebenso gefährlich ist die Tatsache, dass Inflation ein globales Phänomen geworden ist, denn Rohstoffe und Lebensmittel haben einen globalen Preis. Neben den Vereinigten Staaten sind vor allem die Schwellenländer betroffen, die Wachstumsmotoren der letzten Jahre. Würgt die Teuerung die dortige Konjunktur ab, leiden auch die exportorientierten Industriestaaten. In Russland beträgt die Geldentwertung inzwischen 14 Prozent, in China 8,5 Prozent und in Argentinien gar mehr als 20 Prozent pro Jahr. Hauptgrund: Teure Nahrungsmittel machen dort einen viel größeren Anteil an den Verbraucherausgaben aus.

Eigentlich müssten in diesen Staaten die Zinsen angehoben werden. Die Geldmenge ist dort im vergangenen Jahr durchschnittlich ein Fünftel gewachsen, so viel wie lange nicht. Doch höhere Zinsen würden für die Währung einen Aufwertungsdruck erzeugen, was die politisch gewollte Anbindung an den Dollar gefährdet. Um die Wechselkurse stabil zu halten, müssten die dortigen Notenbanken Dollar kaufen. Das könnten sie nur mit neu gedrucktem Geld, was die Inflation weiter anheizt. Ein Teufelskreis.

Lesen Sie weiter, warum die von Ökonomen gefürchtete Lohn-Preis-Spirale vor allem den Schwellenländern droht.

Viel wahrscheinlicher ist es, dass in den Schwellenländern höhere Löhne bezahlt werden. Die Bürger brauchen Geld für Nahrungsmittel, der politische Druck ist enorm. Das würde eine Lohn-Preis-Spirale in Gang setzen, die in einer schlimmen Stagflation enden kann, wie im Europa der 70er Jahre.

Diese Gefahr droht hierzulande nicht. "Das ist ein Novum, die Lohn-Preis-Spirale funktioniert in Deutschland nicht mehr, weil Arbeit wegen der globalen Konkurrenz nicht wesentlich teurer werden kann", sagt Folker Hellmeyer, Chefanalyst der Bremer Landesbank.

Die Zinsfrage

Die Reallöhne in Deutschland sind in den vergangenen zehn Jahren nahezu unverändert geblieben. Das war noch irgendwie vertretbar in Zeiten niedriger Inflation. Jetzt ist alles anders, und es sind nicht nur die Rohstoffe, die teurer werden. Lange profitierten die Industriestaaten von der Billigproduktion in den Schwellenländern. Für viele Produkte sanken die Preise. Nun aber steigen die Rohstoffpreise zur Herstellung dieser Güter, ebenso steigen die Löhne in den Schwellenländern. Die Importe von dort nach Deutschland würden also wieder teurer werden, argumentieren Experten. Inflation dürfte ein Thema bleiben.

Auch in Europa und den USA steht deshalb die Zinsfrage ganz oben auf der Agenda. Die US-Notenbank hat auf die Finanzkrise mit radikalen Zinssenkungen reagiert, was einerseits den ökonomischen Kollaps verhinderte, andererseits aber erneut viel Papiergeld in den Kreislauf pumpt, was die Inflation weiter antreibt. Die Europäische Zentralbank (EZB) hat die Zinsen hingegen konstant gehalten, nun wird angesichts der Teuerung mit einer Zinsanhebung gerechnet.

Der Zielkonflikt der Notenbanker: zu hohe Zinsen schwächen die Konjunktur, zu niedrige Zinsen bringen mehr Inflation. Während die US-Notenbank bereit ist, für die Konjunktur den Preis der Inflation zu bezahlen, folgt die EZB guter alter deutscher Tradition: Die Preisstabilität ist das Wichtigste. Hintergrund sind die Erfahrungen der Hyperinflation in der Weimarer Republik Anfang der 20er Jahre. Die Wissenschaft ist uneins über den richtigen Weg. Bis heute streiten sich Gelehrte darüber, ob steigende Preise nur Folge von Inflation sind. Hier wird Inflation als übermäßige Geldmengenausweitung verstanden, wenn es also, einfach gesprochen, mehr Papiergeld als produzierte Güter gibt.

Beträchtliche Geldentwertung

"Inflation gilt", so hat es ein unbekannter Aphoristiker formuliert, "als Methode, einen Geldschein zu halbieren, ohne das Papier zu verletzen." Betroffen von der Entwertung sind folglich die Sparer. Ihre Zinserträge werden von der Inflation aufgefressen. Ein Quentchen höhere Preise, die EZB räumt maximal zwei Prozent ein, gilt hingegen als unbedenklich. Sehr viel Furcht hat die Fachwelt dagegen vor einer Deflation, die Japan ein Jahrzehnt lang eine Wirtschaftskrise bescherte.

Aber auch bei geringen Inflationsraten ergibt sich über einen längeren Zeitraum eine beträchtliche Geldentwertung. So sind 50.000 Euro aus dem Jahr 1978 heute noch etwa 24.800 Euro wert, wie das Statistische Bundesamt für die SZ berechnet hat. Innerhalb von 20 Jahren schrumpfte der Wert auf 33.300 Euro, auf Sicht von zehn Jahren reduzierte die deutsche Inflation die Ursprungssumme auf 42.700 Euro.

Für Anleger ist die Sache damit klar: Sie müssen dafür sorgen, dass die Kapitalerträge den Kaufkraftverlust durch die Geldentwertung übersteigen. Aktien gelten langfristig als inflationsneutral. Grund und Boden in der richtigen Lage sind in einem solchen Umfeld ebenfalls eine gute Idee. Man muss aber immer den Einzel-fall prüfen. Zuletzt warfen Staatsanleihen real nichts mehr ab: die Rendite lag unter der Inflationsrate. Dasselbe gilt für Sparbücher und auch manches Tagesgeldkonto mit mageren Zinsen. Eine Alternative sind inflationsgeschützte Anleihen, die sich aber nur lohnen, wenn die Geldentwertung tatsächlich eintritt. Edelmetalle wie Gold gelten als sicherer Hafen, doch ist der Goldpreis zuletzt deutlich angestiegen, es kann daher auch zu Rückschlägen kommen.

© SZ vom 30.5.2008/jkf/tob - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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