Hypo Real Estate:Projekt "Blauer Mond"

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100 Milliarden Euro in einem Monat: Interne Dokumente zeigen den immensen Kapitalbedarf der Hypo Real Estate - und die waghalsigen Versuche, an das Geld zu kommen.

Klaus Ott

Wo die staatlichen Bankenkontrolleure und -retter bei der Hypo Real Estate (HRE) auch hinschauen, überall entdecken sie Probleme. Geringere Sicherheiten bei Immobilien, die das Münchner Geldinstitut finanzierte, "erhebliche Kreditrisiken" in anderen Bereichen, und so weiter und so fort. Die problematischen Geldanlagen summieren sich auf 268 Milliarden Euro.

Unter der Lupe: Bei der Untersuchung zur Hypo Real Estate kommen immer neue, erschreckende Details ans Tageslicht. (Foto: Foto: dpa)

So steht es in Papieren der Bankenaufsichtsbehörde Bafin und des staatlichen Bankenrettungsfonds Soffin. Bundesregierung und Bafin beteuern, es handele sich aber nicht um drohende Ausfälle. Gleichwohl braucht die HRE mehr Hilfen vom Bund als jedes andere Finanzinstitut.

Das ist auch die Folge einer riskanten Geschäftspolitik der früheren Konzernspitze um den damaligen Vorstandschef Georg Funke. Die Bank brauchte ständig neues Geld, um flüssig zu bleiben. Wie sehr die HRE am Tropf des Finanzmarktes hing, dokumentieren interne Bankunterlagen. Zeitweise mussten das Münchner Geldhaus und seine irische Tochterbank Depfa binnen eines Monats gut 100 Milliarden Euro auftreiben. Das ist mehr als der Jahresumsatz der weltweit agierenden Siemens AG.

Projekt "Blue Moon"

Im Juni 2008 besorgte sich die Depfa am Geldmarkt exakt 90,6 Milliarden Euro. Im Monat darauf, im Juli, waren es sogar 117,1 Milliarden Euro. Also mehr als 200 Milliarden Euro in zwei Monaten, und das bei einem Geschäftsumfang (Fachausdruck: Bilanzsumme) bei der Hypo Real Estate von insgesamt gut 400 Milliarden Euro. Als "kurzfristige Refinanzierung" wird das in HRE-Papieren bezeichnet.

Der "Umfang der unbesicherten kurzfristigen Refinanzierung" lag in den vergangenen drei Jahren im Schnitt bei mehr als 50 Milliarden Euro. Das alles notierten Anwälte der Bank in einem beim Münchner Landgericht eingereichten Schriftsatz. Dort klagen Aktionäre auf Schadenersatz für die Kursverluste.

Dem Schriftsatz zufolge prüfte die Depfa regelmäßig mit "Stresstests", was passiere, falls der Geldkreislauf zwischen den Banken gestört werde. "Der im Rahmen des Stresstests betrachtete Zeitraum betrug fünf Handelstage", also gerade mal eine Arbeitswoche. Der Vorstand um Funke sei davon ausgegangen, dass bei der Depfa eine "kurzfristige Refinanzierung" der Hälfte der ausgegebenen Kredite "vertretbar" sei, heißt es in einem weiteren Papier anderer HRE-Anwälte mit dem Titel "Projekt Blue Moon" (Blauer Mond).

Liquiditätsrisiko langfristig zu hoch

Das Papier gibt Aufschluss über frühzeitige kritische Phasen. Mitte März 2008 "wurde der kurzfristige Liquiditätsstatus wieder problematischer", darauf habe der Vorstand aber reagiert. Zu diesem Zeitpunkt habe die HRE-Gruppe über eine "Liquiditätsreserve", also eine Art Geldvorrat für schlechte Zeiten, in Höhe von 40,4 Milliarden Euro verfügt. Das war nicht einmal die Hälfte dessen, was zeitweise in einem Monat aufgetrieben werden musste.

Die alte HRE-Spitze um Funke kannte offenbar den Ernst der Lage. Im "Projekt Blue Moon" findet sich eine entsprechende Passage. Dem Vorstand sei "bewusst" gewesen, dass das Liquiditätsrisiko bei den von der Depfa vergebenen Krediten an Staaten in aller Welt "insgesamt langfristig als zu hoch einzuschätzen ist". Der Vorstand habe daher am 22. Juli 2008 beschlossen, einen "Refinanzierungsmix" mit weniger kurzfristigen Mitteln anzustreben.

Dazu kam es aber nicht mehr. Nach der Pleite der US-Investmentbank Lehman Brothers war das gegenseitige Vertrauen in der Finanzbranche dahin, die HRE konnte auf die Schnelle nicht mehr genügend Mittel auftreiben und brauchte staatliche Hilfe.

Die Bankenaufsicht Bafin betrachtet die Geldstrategie der irischen Depfa als einen Grund der HRE-Krise. Diese Geschäftspolitik "hätte man so in Deutschland nicht fahren können", sagte Bafin-Präsident Jochen Sanio im Bundestag.

© SZ vom 30.04.2009/kaf - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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