Heiligendamm:Auf Strand gebaut

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Der Ort an der Ostseeküste gehört zu großen Teilen einem Investor. Nun saniert und baut das Unternehmen in Deutschlands erstem Seebad teure Luxusvillen. Vieles verändert sich - Widerstände gibt es kaum.

Von Sabine Richter

Am 22. Juli 1793 stieg Herzog Friedrich Franz I. von Mecklenburg-Schwerin auf Anraten seines Leibarztes am "Heiligen Damm" in die Ostsee - und begründete damit das erste deutsche Seebad. Heute ist Heiligendamm eines der prominentesten Touristenziele Deutschlands. Nachdem viele historische Gebäude heruntergekommen waren, ist ein Investor seit Jahren dabei, dem alten Seebad wieder Glanz zu verleihen. Derzeit werden viele in die Jahre gekommene Gebäude saniert und neue Wohnungen gebaut. Die Siedlung verändert sich - nicht immer zur Freude ihrer Bewohner.

Acht historische Strandvillen gehören zu der sogenannten "Perlenkette"

Heiligendamm ist ein kleiner, etwas abgeschiedener Ort an der Ostseeküste Mecklenburg-Vorpommerns. Neben den historischen Gästehäusern am Strand, dem Hotel und der Seebrücke gibt es hier nur wenige Sträßchen und Häuser. Nur etwa 240 Menschen leben in der kleinen Siedlung, die offiziell ein Stadtteil des etwa sechs Kilometer entfernten Bad Doberan ist.

Seit der Herzog im Jahr 1793 in das vermeintlich heilende Salzwasser gestiegen war, entwickelte sich das Seebad immer mehr zum beliebten Urlaubsort. Verschiedene Architekten schufen zwischen 1854 bis 1874 ein Ensemble aus Logier-, Bade- und Gesellschaftshäusern. Die Gebäude wurden zum Vorbild für die spätere typische Bäderarchitektur an der Ostsee. Acht historische Strandvillen zählen zu der sogenannten "Perlenkette" - benannt nach der ersten Villa "Großfürstin Marie-Perle". Die Inschrift "Heic te laetitia invitat post balnea sanum" (Hier empfängt dich Freude, entsteigst du gesundet dem Bade) am Giebel des Kurhauses wurde zum Leitspruch. Spaß machte das Seebad im Laufe der Jahre allerdings oft nicht mehr. Die Spielbanken in Doberan, Hauptfinanzierungsquelle des Bades, mussten schon im 19. Jahrhundert geschlossen werden. Dann richtete auch noch eine Sturmflut große Schäden an. Später folgten eine Insolvenz und Zwangsversteigerung. Im Jahr 1939 wurde das Bad für Heereszwecke beschlagnahmt und als Reserve-Lazarett genutzt. Zu DDR-Zeiten dienten die Gebäude als Sanatorium und Fachhochschulstandort.

Entscheidend für die heutige Entwicklung war das Jahr 1996, als die Entwicklungs-Compagnie Heiligendamm (ECH), ein zur Fundus-Gruppe gehörendes Unternehmen, das Seebad der Treuhand-Liegenschaften Gesellschaft (TLG) abkaufte. Mit dem Deal kaufte der Investor den gesamten historischen Ortskern mit 26 Häusern. Projektentwickler ist Anno August Jagdfeld - ein Immobilienunternehmer, der in den vergangenen Jahrzehnten mit einigen spektakulären Großprojekten wie dem Hotel Adlon aufgefallen ist, allerdings nicht immer mit Erfolg.

In den Jahren nach dem Kauf restaurierte der Investor in Heiligendamm zunächst einige historische Gebäude und baute sie, ergänzt um einen Neubau, zur 5-Sterne-plus-Hotelanlage "Kempinski Grand Hotel Heiligendamm" aus, die im Frühjahr 2003 eröffnete. Im Juni 2007 trafen sich dort die Staatschefs zum G8-Gipfel - das Foto mit Angela Merkel und ihren Gästen im überdimensionierten Strandkorb ging um die ganze Welt.

Von der Prominenz konnte der Ort aber kaum profitieren. In der Stadtvertreterversammlung wurde erbittert gestritten. Es ging um Details wie die Wegeführung für Tagesgäste, Wohnrechte, die geplante Tiefgarage. Es ging aber auch um die grundsätzliche Frage, ob der Investor ein Fluch oder Segen für das Seebad ist. Für viele Bürger war der schillernde Fonds-Manager aus dem Westen, der mal eben einen ganzen Ort aufkaufte und ein Luxushotel für reiche Touristen baute, ein rotes Tuch.

Viele Einwohner waren aber auch froh darüber, dass wieder Leben in die mittlerweile ergraute "weiße Stadt" kam, wieder mehr Touristen da waren, Arbeitsplätze geschaffen wurden. Viele Hoffnungen wurden indes enttäuscht. Vor allem das Hotel lief bei Weitem nicht wie erhofft. Im Februar 2009 stieg die Kempinski-Gruppe nach heftigem Streit aus. Ende Februar 2012 meldete die "Grand Hotel Heiligendamm GmbH & Co. KG" beim Amtsgericht Aachen Insolvenz an. Mit zusammen etwa 130 Millionen Euro hatten sich 1900 Anleger an dem Hotel-Fonds beteiligt - und ihr Geld verloren. Im Juli 2013 wurde das Hotel von dem Hannoveraner Unternehmer Paul Morzynski erworben, der den Betrieb fortführt und das Haus vorsichtig um- und ausbauen will.

Inzwischen ist auch der jahrelange Stillstand im übrigen historischen Heiligendamm beendet. Der Investor ECH betreibt mit seinen Immobilien und Grundstücken heute ein klassisches Bauträgergeschäft: Das Unternehmen saniert und verkauft die historischen Gästehäuser als Eigentumswohnungen. Das Tempo ist hoch. Derzeit wird an fünf Villen, die seit Ende der Neunzigerjahre leer stehen, gleichzeitig gearbeitet. Die Preise sollen laut ECH zufolge bei etwa 16 000 Euro pro Quadratmeter liegen, ein ungefährer Wert, "denn die Wohnungen werden weitgehend individuell mit den Erwerbern, die von der Denkmalabschreibung profitieren, zusammen geplant", erklärt Christian Plöger, Sprecher der Jagdfeld-Gruppe.

Neuer Glanz: Ein Investor saniert die historischen Gästehäuser am Strand. Die Gebäude waren zum Teil stark heruntergekommen. (Foto: ECH)

Die Häuser waren zum Teil in so einem schlechten Zustand, dass vom einstigen Charme nicht mehr viel übrig war. So fehlten die typischen Balkone, Turmbauten und filigranen Schmuckelemente, die jetzt originalgetreu nachgebildet werden. "Zwischen Nutzern, Planern und Denkmalschützern müssen stets Kompromisse gefunden werden", sagt Julius Jagdfeld, Sohn des Firmengründers. Die Zusammenarbeit zwischen Landkreis, Stadt und Eigentümer war oft voller Spannungen. "Wir waren unterschiedlicher Auffassung, wie sich Heiligendamm entwickeln soll, auch in der Stadtvertretung", blickt Bürgermeister Thorsten Semrau zurück. "Die Emotionen waren hochgekocht, ohne eine Mediation wären wir nicht weitergekommen. Inzwischen ist Ruhe eingekehrt, die Beteiligten sprechen und arbeiten wieder miteinander."

Die ECH saniert nicht nur die alten Häuser, sondern baut auch neue Villen. Insgesamt sollen bis Ende 2022 etwa 130 Eigentumswohnungen entstehen. Die Investoren wetten darauf, dass sich genug Käufer finden werden, die für die Apartments in Mecklenburg-Vorpommern so viel Geld ausgeben wie in den besten Lagen Münchens. Bisher scheint der Plan aufzugehen, viele Wohnungen in den historischen Häusern sind bereits verkauft. Dabei hat das Seebad heute noch mit dem gleichen Problem zu kämpfen wie bei seiner Gründung: Es ist wenig los im Ort. Außer einem einzigen Geschäft für Sportbekleidung gibt es zum Beispiel keine Läden.

"Es ist herrlich ruhig" - so formuliert es Martin Dostal, einer der Gästeführer in Heiligendamm und Chronist des Seebades. "Man kann, zumindest in der Vorsaison, am Strand spazieren gehen, ohne einen Menschen zu treffen", sagt Dostal. Die Aussage "Hotel top, Umgebung Flop" gelte nicht mehr. Viele Bewohner haben ihre ehemals grauen Häuser renoviert. In zahlreichen Privathäusern werden Zimmer und Ferienwohnungen vermietet. Etwa 250 private Betten soll es geben, schätzt Dostal.

Pläne für eine ganz große Erweiterung liegen schon lange in der Schublade

Wie es mit dem Ort weitergehen wird, dürfte aber in erster Linie von der ECH abhängen. Der Investor hat in Heiligendamm weiter eingekauft, zum Beispiel das Prinzessin-Reuß-Palais, die Villa "Augusta" der Familie von Witzleben samt Gästehaus, das Seehospiz. Für viele dieser Häuser gibt es noch keine konkreten Konzepte. "Die Entwicklung Heiligendamms ist nicht auf die Perlenkette beschränkt", sagt Plöger, "schon jetzt arbeiten wir parallel auch an der Entwicklung der zweiten Reihe." Im Hinterland soll ein dreistöckiges Apartment-Haus entstehen, inklusive Läden und anderen Gewerbeflächen. Das ist auch ganz im Sinn der "Vision Heiligendamm" des amerikanischen Stararchitekten Robert A. M. Stern. Um die Jahrtausendwende entwickelte der inzwischen fast 80-Jährige einen Masterplan für Heiligendamm, der die Wiederherstellung des historischen Ortes bei einer sukzessiver Erweiterung zum Ziel hatte. Stern wollte das Seebad in ein Refugium der Ruhe und Erholung verwandeln.

Die meisten Einwohner von Heiligendamm und Bad Doberan hätten ihren Frieden mit den neuen Verhältnissen gemacht, berichtet Martin Dostal. Viele profitierten vom wachsenden Fremdenverkehr, sagt der Chronist. Andere wollten einfach nur ihre Ruhe haben.

© SZ vom 04.05.2019 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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