Haushalt: Erster Überschuss seit 1989:Der Abgabenstaat im Dilemma

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Obwohl die Staatseinnahmen sprudeln, verbietet sich der simple Ruf nach Steuererleichterungen. Gleichwohl haben viele Steuerbürger ein Anrecht auf Entlastung - durch Änderungen im System.

Paul Katzenberger

Die Kunde aus Wiesbaden löste bei der Regierung alles andere als Euphorie aus, obwohl sich das Kabinett in Berlin eigentlich keine bessere Erfolgsmeldung hätte wünschen können: Erstmals seit 1989 hat der Staat im ersten Halbjahr 2007 mehr Geld eingenommen als ausgegeben, wie das Statistische Bundesamt verbindlich feststellte.

Doch zum Feiern ist den Fachleuten aus beiden Regierungsparteien deswegen nicht zumute: In seltener Einmütigkeit redeten die Haushaltsexperten von Union und SPD den eigenen Erfolg klein: Die Konsolidierung des Bundeshaushaltes sei "bisher nicht nachhaltig", sagte etwa Kurt Lauk, Präsident des CDU-Wirtschaftsrates. Und Finanzminister Peer Steinbrück hatte aller fiskalischen Fortune nichts Besseres zu tun, als die Größe des staatlichen Schuldenbergs mit konkreten Zahlen zu belegen: Mit 1.505 Milliarden Euro stehe Deutschland in der Kreide, mahnte der SPD-Haushälter.

Begehrlichkeiten ersticken

Was die Koalitionäre umtreibt, ist klar: Angesichts überquellender Staatskassen wollen sie jede noch so kleine Begehrlichkeit im Keim ersticken: Steuersenkungen oder höhere Ausgaben, etwa für Bildung, Kinderbetreung oder für die Bekämpfung der Altersarmut - all das klingt vernünfig, gleichwohl wollen sich die Regierenden nicht darauf vergattern lassen.

Die defensive Haltung ist - zumindest für den Augenblick - berechtigt: Ein halbes Jahr, in dem die Konjunktur besser läuft als erwartet, bedeutet noch lange keine neue Ära für die Schuldennation Deutschland.

Es mag im Moment des fiskalischen Glücks miesepetrig klingen, doch an den strukturellen Finanzproblemen des Landes hat sich wenig geändert: Der Schuldenberg ist immer noch riesig, die Konjunktur nach wie vor fragil und die absehbaren Herausforderungen bei Klimaschutz, demographischer Entwicklung sowie Gesundheitsversorgung sind gewaltig. Es macht daher Sinn, für die Zukunft vorzusorgen - und die fürs Gesamtjahr ja noch immer mögliche Neuverschuldung abzudämpfen.

Vernünftig und unbefriedigend

So vernünftig die fiskalische Vorsicht von Steinbrück & Co. auch ist, so unbefriedigend wirkt sie auf viele Steuerbürger. Denn erst Anfang Juli stellte der Bund der Steuerzahler fest, dass in kaum einem anderen Land der Welt die Belastung mit Abgaben und Steuern höher sei als in Deutschland.

In der Tat: Nachdem die Große Koalition die Mehrwert- und Versicherungssteuer erhöht sowie die Pendlerpauschale und den Sparerfreibetrag gekürzt hat, ist die durchschnittliche Belastungsquote in diesem Jahr noch mal auf gut über die Hälfte der Bruttoeinkommen angestiegen. Da wirkt der stolze Einnahmenüberschuss des Staates zumindest unglücklich.

Doch mit diesem Dilemma werden sich viele Steuerbürger vermutlich abfinden müssen. Selbst wenn die Konjunktur weiterhin so gut läuft wie zuletzt, wird das Plus in der Kasse kaum ausreichen, den gewaltigen Schuldenberg Deutschlands rasch abzubauen.

Lohnsteueranteil stieg kontinuierlich

Je länger aber die Entschuldung Deutschlands andauern wird, desto stärker sollte sich die Frage stellen, wer diese Last eigentlich zu tragen hat. Während beispielsweise der Anteil der veranlagten Einkommensteuer am gesamten Steueraufkommen seit 1960 beständig gesunken ist, stieg gleichzeitig der Anteil der Lohnsteuer kontinuierlich an.

Noch immer sind zudem die Erbschaftsteuersätze in Deutschland geringer als etwa in Ländern wie Großbritannien oder den USA. Auch die Frage, warum Wohnungs- und Hausvermieter nicht in die unattraktive gesetzliche Rentenversicherung einzahlen müssen, der normale Lohnempfänger aber schon, sollte sich stellen.

Die nervenberuhigende Wirkung, die volle Staatskassen in aller Regel für Staat und Bürger haben, sollte daher produktiv umgesetzt werden: zu der ein oder anderen Strukturveränderung des deutschen Steuer- und Sozialsystems.

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