Hafencity:Alles neu

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Hochhäuser, soziale Mischung, nachhaltige Gebäude, neue Mobilitätskonzepte: In der Hamburger Hafencity zeigt sich, wie sich die Stadtentwicklung verändert hat.

Von Sabine Richter

Seit fast 20 Jahren baut Hamburg seinen ehemaligen Hafen in einen neuen Stadtteil um. Es ist ein gigantisches Vorhaben, mitten in der Stadt. Wo früher auf 157 Hektar Hafenanlagen, Speicher, Fabriken und Industriehallen standen, entstehen Wohnungen, Büros und Kultureinrichtungen. Die Hafencity, ein eigener Stadtteil mit 157 Hektar, wächst. 77 Projekte sind mittlerweile fertiggestellt, 63 sind in Bau oder in Planung. 2025 soll der Stadtteil fertig sein. Dann werden 7500 neue Wohnungen entstanden sein, etwa 15 000 Menschen werden hier leben und 45 000 arbeiten.

Die Hafencity ist für viele Superlative gut. Hier stehen die teuersten Wohnungen der Metropole, viele prämierte Bürogebäude, bald Hamburgs erster Wolkenkratzer, von Herbst 2022 an das größte Einkaufszentrum der Stadt und mit der Elbphilharmonie seit 2017 ein aufsehenerregendes Konzerthaus.

"Neben den spektakulären Leuchtturmprojekten liegen die interessanten Themen aber ganz woanders", sagt Jürgen Bruns-Berentelg, Professor für Integrierte Stadtentwicklung und Chef des städtischen Tochterunternehmens Hafen City Hamburg GmbH. Hier wehe städtebaulich so viel frischer Wind wie sonst nirgendwo in Europa. Tatsächlich spiegeln sich in der Entwicklung des Stadtteils sehr viele städtebauliche Herausforderungen wider. Dazu gehören der Umwelt- und Klimaschutz, die Mischung von Wohnen und Arbeiten auf engem Raum, soziale Vielfalt, weniger Autos, eine gute Anbindung an den öffentlichen Personennahverkehr und die Schaffung von urbanen Lebensräumen.

In dem Quartier leben schon jetzt 4600 Menschen. Auch fast 1000 Unternehmen sind präsent

Die Hafencity war für viele Hamburger keine Liebe auf den ersten Blick. Klotzige Langeweile, kalt und zugig, steril und unbelebt - das waren die meistgehörten Prädikate. Man ging die Elbphilharmonie ansehen oder -hören, probierte eins der neuen Restaurants aus, wunderte sich über die häufig wechselnden Läden und entschied, dass man da auf keinen Fall wohnen möchte. Nach 20 Jahren Bauen und Entwickeln hat sich vieles verändert. Ein wesentlicher Grund dafür ist, dass sich die Hafencity immer mehr mit Leben füllt. Derzeit leben hier 4600 Menschen, etwa 2800 Wohnungen sind fertiggestellt, etwa 1350 weitere Einheiten sind derzeit im Bau. Und mittlerweile sind etwa 930 Unternehmen präsent. "Wir haben mit hohem Druck die Weiterentwicklung der sozialen, wirtschaftlichen und ökologischen Qualitäten betrieben", so Bruns-Berentelg. Übersetzt: Die Hafencity hat sich während des Bauens immer wieder neu erfunden.

So hatten die Planer zu Beginn der Entwicklung nur Eigentumswohnungen vorgesehen. Kein Wunder: Schließlich wurde das Konzept in Zeiten entwickelt, in denen die Mieten noch niedrig und die Leerstände von Sozialwohnungen groß waren. Schon 2003 wurde die Entscheidung kassiert; mit dem Quartier "Am Dalmannkai" entstand das erste größere und sozial gemischte Quartier mit 750 Miet- und Eigentumswohnungen. Inzwischen ist das Standard. Seit 2011, als in Hamburg der sozial geförderte Wohnungsbau wieder eingeführt wurde, muss bei jedem Wohnbauvorhaben mindestens zu einem Drittel geförderter Wohnraum geschaffen werden. "Mir geht es darum, dass eine Stadt Begegnungsfähigkeit von unterschiedlichsten Menschen und Milieus erzeugen muss, dazu brauchen wir unterschiedlichste Formen des Wohnens", sagt Bruns-Berentelg.

Inzwischen hat sich eine Vielzahl von Genossenschaften, sozialen Trägern sowie städtischen Wohn- und Betreuungsunternehmen in der Hafencity engagiert. Von den 7500 Wohnungen, die hier insgesamt entstehen, werden 1500 bis 2000 öffentlich gefördert sein. Während frei finanzierte Mieten in der Hafencity im Schnitt bei mehr als 20 Euro pro Quadratmeter liegen, werden Genossenschaftswohnungen ab 12 Euro angeboten. Im neuen Strandkai-Quartier wird die durchschnittliche Anfangsmiete bei 15 Euro netto kalt liegen, so der Bauverein der Elbgemeinden. Im Vergleich zu den Durchschnittsmieten der Genossenschaften ist das teuer.

Prominente Lage: In der Elbphilharmonie befinden sich die teuersten Wohnungen der Stadt. (Foto: Fabian Bimmer/Reuters)

"Das Engagement in der Hafencity ist für Wohnungsunternehmen eine große Herausforderung", erklärt Andreas Breitner, Direktor des Verband Norddeutscher Wohnungsunternehmen. "Die Baukosten sind aufgrund der unmittelbaren Nähe zur Elbe und des Hochwasserschutzes noch einmal deutlich höher als in anderen Teilen der Stadt. Hinzu kommt, dass die Hafencity ein Feld für experimentelle Wohnformen, wie beispielsweise den Verzicht auf ein Auto, ist. Dadurch entstehen zusätzliche Kosten."

Hier gibt es die teuersten Apartments der Stadt. Aber es werden auch Sozialwohnungen gebaut

Ein Beispiel für soziale Vielfalt ist das Baufeld 70 an der Shanghaiallee, damals ein absolutes Novum, nicht nur für die Hafencity. Die Gemeinnützige Baugenossenschaft Bergedorf-Bille eG hat hier 15 geförderte Wohneinheiten errichtet. Nebenan finden sich frei finanzierte Miet- und Eigentumswohnungen vom Bauträger Otto Wulff. Der Verein "Leben mit Behinderung" hat in diesem Bauabschnitt 29 Einzelapartments mit inklusiver Hausgemeinschaft. Zum Projekt gehören zwei Kindergärten, ein Quartierstreffpunkt und ein begrünter Innenhof mit Kinderspielplatz. Ein Orgelbauer hat sich angesiedelt, es gibt ein erfolgreiches Drei-Sterne-Restaurant. Es ist eine bunte Mischung. 19 Baugemeinschaften, die eher ein mittleres Preissegment bedienen, haben bis dato in der Hafencity ihre Projekte umgesetzt. Darunter sind auch sehr spezielle Nutzungen, zum Beispiel ein Musikerhaus mit schallentkoppelten Wänden. Baugemeinschaften wurden besonders gefördert: "Sie geben wichtige Impulse für die Bildung von nachbarschaftlichen Strukturen", sagt Bruns-Berentelg. Bei Besitzern von Eigentumswohnung herrsche zuweilen eher die Haltung "my home is my castle" vor.

Für den Zusammenhalt und die Begegnung im Stadtteil engagiert sich seit 2009 das Netzwerk Hafencity e.V., ein selbst organisierter Verein von Bewohnern und Gewerbetreibenden der Hafencity. Viele Räume und Läden in den Erdgeschossen haben mittlerweile Nutzer gefunden. Unterschiedlichste, auch ungewöhnliche Läden haben sich angesiedelt, Ausstellungsflächen, Architekturbüros, Kindergärten, originelle Manufakturen wie zum Beispiel eine Lederhosenwerkstatt. "Das ist gewollt, kostet allerdings extrem viel Arbeit und wird von uns zu Beginn indirekt subventioniert", erklärt Bruns-Berentelg. Denn: Dem freien Markt könne man das Thema nicht allein überlassen. "Urbanität und Diversität muss man komponieren, das kriegt man nur mit einer differenzierten Strategie hin. Über die Kaufverträge regeln wir, dass die Bauherren für circa 80 Prozent der Einzelhandelsflächen nur 20 Euro Miete nehmen dürfen", sagt Bruns-Berentelg. Deshalb könnten in der Hafencity auch "unkommerzielle Konzepte" überleben. Zum Vergleich: In bester Lauflage der Hamburger Innenstadt zahlen Händler bis zu 310 Euro pro Quadratmeter. "Die Hafencity soll ein Ort der kurzen Wege sein, nicht nur wegen der absoluten Entfernung, sondern weil es immer was zu sehen, zu erledigen gibt, weil man immer jemanden trifft und sich austauschen kann", erklärt Bruns-Berentelg.

Moderne Mobilität: In der Hafencity gibt es viele Wege für Fahrräder und Fußgänger. (Foto: Miguel Ferraz/Hafencity GmbH)

Wie bei anderen Stadtentwicklungen ist auch in der Hafencity die Mobilität ein Kernthema. So soll das Fahrrad eines der wichtigsten Verkehrsmittel sein. Überall vor den Haustüren gibt es Fahrradabstellplätze und Bügel zum Anschließen. Zu den Vorgaben in den Architekturwettbewerben gehörten beispielsweise Rampen, über die man sein Rad bequem in den Keller schieben kann.

Natürlich spielt mittlerweile auch die Elektromobilität eine große Rolle. In den jüngeren Quartieren haben mindestens 40 Prozent, in einzelnen Bereichen sogar bis zu 80 Prozent der Parkplätze für Wohnungen und Büros sowie alle Carsharing-Parkplätze einen Stromanschluss für E-Autos. Das Kfz soll aber nur eine untergeordnete Rolle spielen. So wird es in der östlichen Hafencity nur maximal 0,4 Parkplätze pro Wohneinheit geben, im Quartier Elbbrücken werden auch die gewerblichen Stellplätze für Büros um 70 bis 75 Prozent reduziert. "Wir schaffen Wahlmöglichkeiten für Menschen abseits der Zwangsmobilität über das Auto", so der Hafencity-Chef. Dazu gehört natürlich auch die Anbindung an den öffentlichen Nahverkehr. Der von den Architekten Gerkan Marg und Partner gestaltete U-Bahnhof Elbbrücken wurde bereits im Dezember 2018 eröffnet.

Über das reine Bauen hinaus entwickelt sich die Hafencity zu einem "Zukunftslabor" für Gebäude mit hohen Nachhaltigkeitsstandards. "Wir arbeiten an allen energetischen Fragestellungen, sagt Bruns-Berentelg. "Wenn wir so tun, als ob wir nur weniger heizen müssen, werden wir keine nennenswerte Verbesserung der CO₂-Bilanz bekommen." Ein Beispiel ist das geplante Wohnhochhaus "Moringa" im Quartier Elbbrücken. Es wird aus recyclefähigen Materialien bestehen und begrünte Flächen auf dem Dach und an den Fassaden bekommen. Auf der Grundstücksfläche von 4740 Quadratmetern werden rund um einen grünen Innenhof Wohnungen, eine Kita, Veranstaltungsräume, Fitnessräume und Gastronomie Platz finden. Das wird nach dem Prinzip einer "zirkulären Ökonomie" erstellt, ein Großteil der Baumaterialien ist also rückbau- und wiederverwertbar. Weitere große experimentelle Projekte sind im Bau.

Im besonderen Fokus steht derzeit die größte noch unbebaute Fläche des Elbbrückenquartiers. Hier werden in den nächsten Jahren Milliarden investiert. Das Quartier an der Spitze des Baakenhafens bildet den "Schlussstein in der Entwicklung der Hafencity im Osten", so Jürgen Bruns-Berentelg. Es soll eines der urbansten und lebhaftesten Viertel der Hafencity werden. In etwa fünf Jahren solle das Elbbrückenquartier fertig sein.

© SZ vom 07.03.2020 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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