Grundstücks-Streit in Kanada:Minenfeld vor der Haustür

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In Kanada graben Bürger auf fremden Grundstücken nach Bodenschätzen - und zwar ganz legal. Die Landbesitzer sind entsetzt. Doch ein neues Gesetz lässt auf sich warten.

Bernadette Calonego

Hier draußen auf dem Land, eineinhalb Autostunden von der kanadischen Hauptstadt Ottawa entfernt, hat Frank Morrison gefunden, was er suchte: Ruhe, Stille, Glück. Morrison ist 63, Rentner und hat vor acht Jahren mit seiner Frau Gloria ein Stück Land gekauft. 32 Hektar, Wald, Wiese, Haus. Alles schön, alles gut. Solange, bis eines Tages jemand die Bäume auf Morrisons Grundstück mit einer Axt markierte.

Die Landschaft in British Columbia, Kanada, ist eigentlich wunderschön. Blöd nur, wenn plötzlich der Bagger anrückt. (Foto: Foto: Reuters)

Seitdem ist der Rentner schockiert, entsetzt, fassungslos. Und das Schlimmste ist: wehren kann er sich auch nicht. Morrison sagt: "Sie drangen in mein Land ein, ohne mich zu fragen - und sie müssen es laut Gesetz auch nicht tun."

Traum von Reichtum und Ruhm

"Sie", das sind sogenannte Prospektoren. Sie haben für 15 Euro eine staatliche Lizenz erworben, die ihnen erlaubt, in dünn besiedelten Gebieten nach Bodenschätzen zu suchen - auch auf privatem Boden wie auf dem Grundstück von Morrison. Die rechtliche Grundlage dafür liefert ein 140 Jahre altes Minengesetz der kanadischen Provinz Ontario. Vor allem Ferien- und Landhausbesitzer fern der Städte sind betroffen. Die bis zuletzt hohen Rohstoffpreise ziehen immer mehr Menschen zum Buddeln und Schürfen aufs Land. Sie träumen von Reichtum und Ruhm. In Ontario haben etwa 5000 Prospektoren eine Lizenz erworben.

Das Ergebnis ist auf Frank Morrisons Grundstück zu besichtigen: Auf den Bäumen hängen jetzt Metallplaketten, festgenagelt, sie halten den Anspruch auf Schürfrechte im Felsengrund unter Morrisons Wald und Wiese fest. So schreibt es das Minenbüro in Ontario vor. "Ich hatte keine Ahnung, dass mir das passieren könnte", sagt Morrison.

Die Prospektoren verkauften ihre Minenrechte an eine Firma. Falls diese mit der Exploration weitermacht und eine Mine baut, würde Morrison enteignet und mit dem Marktwert entschädigt. Doch der Besitz hat bereits durch den "Claim", wie der Anspruch der Minenfirma genannt wird, an Wert verloren, denn niemand will solches Land mehr kaufen. Es sieht so aus, als sei es vorbei mit dem, was Frank Morrison suchte, vorbei mit der Stille, der Ruhe und dem Glück.

Private Schießanlage zur Abschreckung

Auch auf dem 70-Hektar-Grundstück von Peter Griesbach im Südosten Ontarios steckten Prospektoren einen Claim ab. Griesbach richtete darauf als Abwehrmaßnahme eine private Schießanlage auf seinem Besitz ein und hängte abschreckende Warnschilder auf. Jahrelang stritt er mit den Minenbetreibern vor Gericht, bis sie schließlich aufgaben, obwohl ihnen das Gesetz Recht gegeben hätte. Dann griff Griesbach zu einem Trick: Er erwarb eine Prospektoren-Lizenz für sein eigenes Land.

Er will keineswegs auf dem schönen Grundstück am See eine Mine bauen, sondern verhindern, was einem Nachbarn passierte: Auf dessen Besitz hob ein Prospektor drei Meter tiefe Gräben aus. "Es sieht aus wie im Ersten Weltkrieg", sagt Griesbach, der seinen Kampf weiterführt. Eine Bergbaugesellschaft besitzt für die andere Hälfte von Griesbachs Grundbesitz immer noch Schürfrechte. Selbst Chris Hodgson, der Präsident der Minenvereinigung von Ontario, findet, private Grundbesitzer müssten mehr Rechte haben. Aber ein neues Gesetz lässt weiterhin auf sich warten.

Lesen Sie auf der nächsten Seite: In nur wenigen Klicks ist die schöne Landschaft zum Buddeln freigegeben.

Auch die Bewohner der Sunshine Coast hätten nie gedacht, dass so etwas möglich wäre: Die Menschen in dieser idyllischen Naturlandschaft an Kanadas Südwestküste erfuhren vor zwei Jahren, dass sich eine Explorationsfirma im nahen Vancouver die Schürfrechte für den Boden unter ihren Häusern gesichert hatte. Nach dem Minengesetz der Provinz British Columbia besaß nun die kleine, unbekannte Firma Pan Pacific Aggregates (PPA) das Recht, die privaten Grundstücke unangemeldet zu betreten, um nach Bodenschätzen zu bohren und zu graben.

"Die Macht des Minengesetzes ist schon erstaunlich"

Die Besitzer können nichts dagegen tun, denn in British Columbia gehört der Untergrund meistens dem Staat und nur ein bisschen Erde darüber dem privaten Eigentümer. "Es war ein furchtbarer Schock", sagt der Umweltschützer Daniel Bouman: "Wir wachten plötzlich auf."

Einige tausend Bewohner sahen jäh ihre eigenen Grundstücke potentiell durch riesige Industrieprojekte bedroht - genauso wie ihr Paradies für Touristen, Ruheständler, Naturfreunde und Fischer. Der örtliche Behördenvertreter John Rees, dessen Haus auch betroffen war, erklärte damals: "Die Macht des Minengesetzes ist schon erstaunlich."

Das ursprüngliche Gesetz stammt aus dem Jahr 1859, als man Goldsucher und Minenbauer anzulocken suchte und diese in Wildwest-Manier graben durften, wo immer sie wollten. Seit drei Jahren haben es Bergbauunternehmen in British Columbia besonders leicht: Sie können die Gebiete, auf denen sie nach Bodenschätzen suchen wollen, im Internet für sich reservieren. Mit dem Drücken einiger Tasten hatte die Firma PPA die Fischerdörfer, lauschigen Buchten, die Wälder und Berge an der Sunshine Coast zu ihrer Explorationszone erklärt, den privaten Grundbesitz miteingeschlossen - insgesamt mehr als 20.000 Hektar.

Der Zufall wollte es, dass darin auch die Minenrechte für den Boden unter der Villa des Premierministers von British Columbia, Gordon Campbell, in der Nähe des Dorfes Sechelt enthalten waren. Ausgerechnet Campbells Regierung hatte in den vergangenen Jahren manche Regel für Minenfirmen deutlich gelockert.

Zwischenzeitlich hat die Firma PPA ihren Anspruch auf Exploration an der Sonnenscheinküste größtenteils zurückgezogen. Und die Regierung der kanadischen Provinz verlangt jetzt, dass private Grundbesitzer wenigstens vorher informiert werden, bevor ein Bergbauunternehmen deren Grundstück betritt und dort zu buddeln oder gar zu sprengen anfängt.

© SZ vom 11.9.2008/kim/tob - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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