Griechenland:Jetzt gibt's die Quittung

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Die Beschimpfungen an jeder Bankfiliale in Athen belegen: Diejenigen, die am meisten angelogen wurden, sind die Griechen selber. Doch die Selbsterkenntnis wächst.

Jens Bastian

Kein Wort hat in den vergangenen Monaten größere Resonanz in Deutschland erhalten und tiefere Bestürzung in Griechenland ausgelöst als dies: "Pleite-Griechen". Die Hellenen fühlen sich nicht nur beleidigt. Wer als Deutscher in ihrem Land lebt, der wird von seinen griechischen Nachbarn gefragt: "Warum sehen uns die Deutschen so negativ?" Haben die Griechen Veränderungen in der deutschen Gesellschaft in den vergangenen Jahren übersehen? Ist ihr Deutschlandbild noch aktuell?

Die Wut ist groß: "Feuer den Banken" steht auf einem Graffito an einer Filiale der Citibank in Athen. (Foto: Foto: Reuters)

Für einen deutschen Staatsbürger, der seit 13 Jahren in Griechenland lebt, ist die Beantwortung solcher Fragen eine Auseinandersetzung mit seinem Mutterland und mit seinem heutigen Gastland.

Nicht bloß Krise und Schulden

In Deutschland muss man klarmachen, dass Griechenland nicht bloß aus Krise und Schulden besteht. Zudem fällt auf, dass in Deutschland griechische Themen derzeit in einer Weise instrumentalisiert werden, die mehr über die Deutschen als über die Griechen aussagt.

Die CDU versucht so, sich über die NRW-Wahl zu retten. Die Bild-Zeitung macht sich einen Spaß daraus, Spott und Agitation zu verbreiten: "Was Kostas?" - "Griechen wollen unser Geld!" - "Warum retten wir diesen Griechen-Milliardär?" Solche Schlagzeilen haben mit Analyse nichts zu tun. Diese Tonlage geht zu weit.

Es ist nun oft gesagt worden, dass Griechenland systematisch falsche Statistiken über die Leistungsfähigkeit seiner Volkswirtschaft abgegeben habe. Von "Fälscherwerkstätten" war die Rede, als die Statistikbehörde unter der Vorgängerregierung des konservativen Ministerpräsidenten Kostas Karamanlis im Jahr 2009 Defizitzahlen nach Brüssel meldete, die mit der Wirklichkeit rein gar nichts zu tun hatten.

"Diebe" und "Gauner"

Diese Kritik am sorglosen, irreführenden Umgang mit Zahlen ist einerseits berechtigt. Andererseits übersieht sie ein zentrales Element der gesellschaftlichen Entwicklung.

Diejenigen, die von der Regierung am meisten angelogen wurden, sind die Griechen selber. Und nun sollen sie auch noch dafür bezahlen. Die am meisten benutzten Vokabeln beim Generalstreik am Mittwoch waren "Diebe" und "Gauner". Diese wurde nicht nur den Parlamentsabgeordneten am Syntagma-Platz entgegengeschleudert, sondern ebenso an jede Wand von Banken und Versicherungsgebäuden in der Athener Innenstadt geschmiert.

Gleichwohl: Die Griechen können sich nicht einfach als Opfer sehen. In den vergangenen zwei Jahrzehnten waren viele Mitglieder der Zivilgesellschaft doch Opfer und Mittäter zugleich.

Mit Satellitenbildern gegen Swimmingpool-Besitzer

Es wird nun viel zu schnell verdrängt, wie verbreitet Korruption und Steuerhinterziehung waren. Der griechische Industrieverband gibt an, dass dem Staat jährlich 23 Milliarden Euro durch Steuerhinterziehung entgehen. Wie ist so etwas möglich? Und wie lässt sich das ändern?

Nur mal ein Beispiel, das die Dimension des Problems zeigt: 324 Bürger aus den nördlichen Vororten Athens gaben im Jahr 2009 in ihrer Steuererklärung an, einen Swimmingpool zu besitzen. Nur 324. Weil die Sommer heiß und lang sind in Athen, wurden die Behörden misstrauisch. Sie fingen an, Satellitenbilder der Wohngebiete zu studieren, um herauszufinden, wie hoch denn tatsächlich die Zahl der Swimmingpool-Besitzer ist. Das Resultat: 16.974. Die Steuernachzahlungen sind bereits eingeleitet worden.

Was sagt so etwas über die Fähigkeit der griechischen Gesellschaft zur Umkehr aus? Die wachsende soziale Bewegung der Quittungssammler ist ein Beispiel dafür, dass der einsetzende Mentalitätswandel nachhaltig sein könnte.

Jens Bastian, 50, ist Ökonom bei der unabhängigen Denkfabrik ELIAMEP (Griechische Stiftung für Europäische und Auswärtige Politik) in Athen. Sie erhält Mittel unter anderem von Regierung und EU. (Foto: Foto: oh)

Im Zuge umfassender Steuererhöhungen gilt seit März die Regelung, bei allen Käufen und Verkäufen rechtlich gültige und vollständige Quittungen elektronisch auszustellen. Was in Deutschland wie eine Selbstverständlichkeit erscheinen mag - in Griechenland war dies bisher nicht üblich.

Gelder in der Schublade

Wie oft kam es vor, dass es beim Tanken keine Quittung gab (und die Leute tolerierten dies bereitwillig). Der Taxifahrer bemühte die Ausrede, er habe das erforderliche Gerät nicht einbauen können. Beim Arzt wurde bar bezahlt, danach verschwand das Geld umstandslos in dessen Schublade; Quittung: keine.

Dem Ministerpräsidenten Giorgos Papandreou ist nun ein kluger Zug gelungen. Die neuen Steuerregelungen sehen vor, dass Griechen ihre Quittungen bei der Steuererklärung einreichen können. Mit anderen Worten: Die Bürger sollen ein Eigeninteresse daran entwickeln, nur noch Geschäfte zu machen, an denen auch das Finanzamt beteiligt ist. Der Nebeneffekt dieser Politik: Die Steuerbürger agieren auch als dessen verlängerter Arm, wenn sie auf eine Quittung bestehen, die auch den Mehrwertsteuer-Betrag ausweist.

Es gibt berechtigte Zweifel (in Griechenland und im Ausland), wie tief solche Veränderungen in der Gesellschaft verankert werden können. Was allerdings bei den meisten Bürgern außer Frage steht, ist die Einsicht: So wie bisher konnte es nicht weitergehen.

Mental bereits weiter

Große Teile der Gesellschaft sind mental bereits viel weiter als etliche Vertreter von Interessengruppen. Nach Meinung der allermeisten Gewerkschafter zum Beispiel liegt die Ursache für die Krise in der internationalen Spekulation gegen Griechenland und in verantwortungslosen Bankern.

Dieses eindimensionale Weltbild verlangt konsequenterweise nach einer simplen Lösung: Die Banken sollen zahlen. Den griechischen Gewerkschaftern ist es bisher nicht gelungen, eine neue Sprache zu lernen, die ihre Mitverantwortung für die Krise und ihren Beitrag zu deren Lösung zeigen würde.

Während ihr Obstruktionspotential in einigen Branchen vor allem im öffentlichen Dienst erheblich ist, lässt sich seit einigen Monaten beobachten, dass ihre Mobilisierungsfähigkeit eher stagniert - auch wenn sie am Mittwoch in Athen Zehntausende auf die Straße brachte.

Elementare Fragen

Viele Menschen sind derzeit damit beschäftigt, finanziell irgendwie durchzukommen. Ihnen stellt sich das Problem, trotz Gehaltskürzungen und Steuererhöhungen weiter die Hypothekenrate oder das Schulgeld für die Kinder zu begleichen.

Um solch elementare Fragen geht es nun in Alltagsgesprächen, weniger um die Teilnahme an Streiks und Demonstrationen. In diesen Gesprächen wird auch die Bereitschaft erkennbar, Abschied zu nehmen von einer Realitätsverweigerung, die viel zu lange angedauert hat. Viele Griechen erkennen den Ernst der Lage. Was sie zur Selbsterkenntnis am allerwenigsten brauchen, sind ehrabschneidende Schlagzeilen und Belehrungen des deutschen Boulevards.

© SZ vom 07.05.2010 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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