Globale Finanzkrise:"Wir haben das Undenkbare gedacht"

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IWF-Vizedirektor John Lipsky äußert sich im SZ-Gespräch über die Lehren aus der Finanzkrise - und warnt vor "Selbstzufriedenheit".

Nikolaus Piper

Der Vizedirektor des Internationalen Währungsfonds, John Lipsky hat vor "Selbstzufriedenheit" im Umgang mit der Finanzkrise gewarnt. Zwar sei die unmittelbare Gefahr eines Zusammenbruchs der Finanzmärkte geringer geworden. Es gebe jedoch viel zu tun, um eine Wiederholung zu verhindern, sagte Lipsky im Interview mit der Süddeutschen Zeitung.

IWF-Vizedirektor John Lipsky warnt vor "Selbstzufriedenheit" im Umgang mit der Finanzkrise. (Foto: Foto: AFP)

Es war ein Einschnitt in der Geschichte des Weltwährungsfonds: Im vergangenen März forderte John Lipsky, der zweite Mann beim IWF in Washington, die Regierungen auf, "das Undenkbare zu denken".

Die Finanzkrise sei so schlimm, dass notfalls riesige Ausgabenprogramme notwendig seien, um die Weltwirtschaft zu stabilisieren. Wegen dieser Aussage wurde der IWF seither viel kritisiert; Politiker besonders aus Europa warfen Lipsky übertriebenen oder gar gefährlichen Pessimismus vor.

Doch auch in der Rückschau sieht sich Lipsky bestätigt. "Ja wir haben das Undenkbare gedacht und deshalb sind wir jetzt wieder einen Schritt vom Abgrund weggetreten," sagt Lipsky heute. Zu den vorher undenkbaren Maßnahmen zählt er dabei die Rettung der Investmentbank Bear Stearns durch die amerikanische Notenbank Fed und die Liquiditätshilfen, die die Bank von England gewährt hat.

"Vertrauen fehlt noch"

"Aber es gibt keinen Zweifel, dass das Ergebnis ohne die entschlossenen Aktionen mehrerer Institutionen sehr schlimm geworden wäre." Die Krise habe einen "neuen Typ von Gefahren" gezeigt. Nun komme es darauf an, diese Gefahren zu verstehen. "Weitere Aktionen könnten notwendig sein, die Probleme sind in keiner Weise gelöst."

Ehe Lipsky vor zwei Jahren in den IWF kam, hatte er bereits eine lange Karriere an der Wall Street hinter sich. Zuletzt war er Vizepräsident und oberster Risikomanager bei der Großbank JP Morgan Chase. Er kennt sich daher besser noch als seine Vorgänger mit den Details der Finanzmärkte aus.

So fordert er, dass die Notenbanken Liquidität auch über die Grenzen der Währungsgebiete hinaus zur Verfügung stellen. Als Modell sieht er dabei den neuen Kreditrahmen der Bank von England an; dabei tauscht die Notenbank für eine bestimmte Frist staatliche gegen private Wertpapiere.

"Es könnte notwendig werden, so etwas auch über die Grenzen hinweg zu machen", meint Lipsky. Dann würde etwa die Federal Reserve bei Krediten auch Wertpapiere akzeptiert, die in Euro, Franken oder Yen denominiert sind.

Lipsky sagt einen langen Lernprozess voraus: "Viele der Risiken, die wir erleben, kamen unerwartet, sind in ihre Art neu, und es gibt keine klaren Präzedenzfälle." Und er fügt hinzu: "Es wäre verfrüht zu sagen, dass das Schlimmste schon vorbei ist. Wir hoffen es, aber wir haben noch keine Evidenz." Bei der Finanzkrise komme es darauf an, nicht nur den amerikanischen Hypothekenmarkt zu sehen.

"Normalisierung des Sparverhaltens wahrscheinlich"

"Wir befinden uns in einem Prozess sinkender Vermögenswerte und in diesem Prozess entsteht Druck auf den Finanzsektor. Dabei ist das schwächste Glied der Kette, der Markt für zweitklassige Hypothekendarlehen, gebrochen. Es gibt noch keine klaren Indizien dafür; dass dieser Rückgang der Vermögenswerte zu Ende ist. Das Vertrauen ist noch nicht zurückgekehrt."

Nach Erkenntnissen Lipskys haben die Banken weltweit 320 Milliarden Dollar abgeschrieben und zum Ausgleich 235 Milliarden an neuem Kapital aufgenommen, in den USA sind es 153 Milliarden Dollar an Abschreibungen und 130 Milliarden Dollar an neuem Kapital.

Das frische Kapital habe den Druck auf die Banken verringert, ihr Kreditvolumen abzubauen. Aber das gelte nicht für andere Finanzinstitute, also für Investmentbanken und Hedge-Fonds. Der IWF sagt für die USA eine milde Rezession voraus. Wichtiger sei, dass der darauf folgende Aufschwung schwach sein wird. Der Anstieg der Energiepreise reduziere die Kaufkraft, der Arbeitsmarkt werde schwächer, die Haushalte haben zu hohe Schulden.

"Wahrscheinlich erreichen wir jetzt den seit langem erwarteten Übergang zur Normalisierung des Sparverhaltens in den amerikanischen Haushalten. Diese Normalisierung ist in der Frühphase, deshalb kann der private Verbrauch weniger beitragen zum Wachstum, es komm mehr auf die Investitionen und den Export an."

Das werde auch den Rest der Welt beeinflussen, besonders Europa. "Nachhaltiges Wirtschaftswachstum in Europa wird künftig mehr Binnennachfrage notwendig machen," sagt Lipsky, ohne dabei Deutschland speziell zu nennen. Um die Binnennachfrage erhöhen zu können müsse Europas Wirtschaft aber produktiver und effizienter werden.

Und dann das Problem der Inflation. Hier ist Lipsky vorsichtig optimistisch. Das langsamere Wachstum werde auch die Inflationserwartungen bremsen. Allerdings fordert er die Notenbanken auch zu "Wachsamkeit" auf: Wenn sich herausstellen sollte, dass der Anstieg der Energie- und Rohstoffpreise kein Einmaleffekt bleibt und sich die Inflationserwartungen verschlechtern, müssten sie schnell und entschlossen handeln, um nicht eine Stagflation wie in den siebziger Jahren zu riskieren.

Die wichtigste Lehre aus der Krise ist für Lipsky, dass die nationalen Grenzen bei der Kapitalmarktaufsicht überwunden werden müssen. "Dies war der erste Stress-Test für die globalen Kreditmärkte mit verbrieften Wertpapieren. Und der halt viele Schwächen gezeigt." Die nationalen Aufsichtsbehörden seien dabei an ihre Grenzen gestoßen und könnten ihre Aufgaben nicht mehr wahrnehmen.

Sollte der IWF die Rolle übernehmen?. "Nein, wir sind keine Regulierer, das wollen wir auch nicht sein. Aber wir sind die einzige Institution, die der globalen Finanzstabilität verpflichtet ist." Es komme darauf an, die Kooperation der IWF-Mitglieder, die derzeit noch weitgehend zersplittert und informell ist, zu institutionalisieren.

© SZ vom 10.5.2008 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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