Geldpolitik:Wer hat Angst vor der Inflation?

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Die Notenbanken pumpen Billionen in die Wirtschaft - und schüren so die Furcht vor hohen Teuerungsraten. Doch die Sorgen sind übertrieben.

C. Hoffmann

Vor ein paar Tagen wurde der US-Notenbankchef Ben Bernanke gefragt, was denn die größte Bremse für einen Aufschwung der Wirtschaft sei. Dass "wir nicht den politischen Willen haben", das Nötige zu tun, antwortete der Fed-Chef prompt. Bernanke selbst mangelt es nicht an Entscheidungskraft. Die US-Wirtschaft steckt in der schlimmsten Rezession seit Jahrzehnten, und Bernanke wirft die Notenpresse an. Die Zentralbank kauft amerikanische Staatsanleihen für 300 Milliarden Dollar. Nächste Woche geht es los. Zudem werden die Käufe von Schrottpapieren von 500 Milliarden auf 1,25 Billionen Dollar aufgestockt. Dahinter stecken Autokredite und Darlehen für Studenten, Kleinunternehmer und Immobilienbesitzer. Viele von ihnen haben auf zu großem Fuß gelebt - mit geliehenem Geld.

Die Geschichte der Preise in Deutschland - klicken Sie, um die Graphik zu vergrößern. (Foto: SZ-Graphik: Mainka)

Jetzt üben sich die Staaten im Schuldenmachen und überbieten sich mit milliardenschweren Rettungsprogrammen. Geholfen wird auf Pump, in den USA, Großbritannien und Japan werden die Wohltaten künftig von der Notenbank finanziert. Noch nie haben so viele Staaten und Zentralbanken zur gleichen Zeit so viele Milliarden locker gemacht, allen voran die Vereinigten Staaten, Europa und China. Die Zahlen rauben einem den Atem, es geht in die Billionen. Wenn die Fed ihre gerade beschlossenen Schritte getan hat, wird ihre Bilanzsumme 4,5 Billionen Dollar betragen, rund ein Drittel des amerikanischen Bruttoinlandsprodukts, schätzen Ökonomen. Es wird Geld gedruckt wie noch nie.

Die Angst sitzt tief

Nun fürchten vor allem die Deutschen, dass aufgrund der enormen Liquiditätsspritzen eine Inflation droht. Die Angst sitzt tief. 1923 hatte eine Hyperinflation die Ersparnisse der kleinen Leute vernichtet und das Vertrauen in die Republik unterhöhlt. Der Preis für einen Liter Milch sprang binnen weniger Wochen von fünf auf 360 Millionen Mark. Das Geld war nicht mehr als ein wertloser Papierfetzen. 80 Jahre später ist die Furcht wieder da, dass die Menschen ihre Ersparnisse verlieren könnten, wenn die Notenbanken immer mehr Geld in die kranke Wirtschaft pumpen. "Es gibt keinen schmerzlosen Ausweg aus der Wirtschaftskrise", sagt Thomas Mayer, Europa-Chefvolkswirt der Deutschen Bank. "Wir haben die Wahl zwischen Pest und Cholera - zwischen Deflation und Inflation. Da wähle ich lieber die Cholera. Die Chancen, dass ich die überlebe sind größer als bei der Pest."

So sieht es auch Bernanke. Nichts fürchtet er mehr als eine Deflation. Beherrscht sie erst einmal die Wirtschaft, ist ein Geldpolitiker machtlos. Die Inflation dagegen kann er zähmen, mit unverschämt hohen Zinsen, so wie es Paul Volker einst getan hat, um die zweistelligen Inflationsraten der 70er Jahre auszulöschen. Eine Deflation muss man bekämpfen, bevor sie wütet. Das hat Bernanke schon im Jahr 2002 in der berühmten Rede erklärt, die ihm den Spitznamen "Helikopter Ben" eintrug. Er ist angelehnt an einen Ausspruch des Nobelpreisträgers Milton Friedman, wonach Notenbanker gleichsam aus einem Hubschrauber Geld über einer Volkswirtschaft abwerfen. Das tut Bernanke jetzt: Die Fed druckt Geld und kauft damit Staatspapiere auf. Der Staat gibt das Geld sofort wieder aus - dieser zweite Schritt gehört zwingend zum Plan. "Damit können sie immer Inflation erzeugen", sagt Volkswirt Mayer. Genau darum geht es Bernanke jetzt: Die Inflation muss steigen, um jeden Preis. In den USA fiel die jährliche Inflationsrate von 5,6 Prozent im Juli 2008 auf 0,2 Prozent im Februar, in Deutschland schrumpfte sie von 3,3 auf 1,0 Prozent.

Sinkende Preise sind nur noch eine Frage von Monaten. In den 30er Jahren hat man gesehen, wohin es führt, wenn die Preise sinken, und die Unternehmen überschuldet sind. Weil der Preisrückgang den Schuldendienst teurer machte, investierten Privatunternehmen nicht mehr. Mit üblen Folgen: Trotz sinkender Löhne stieg die Arbeitslosigkeit sprunghaft an. Reichskanzler Heinrich Brüning verschärfte 1930 die Krise, indem er die Staatsausgaben der Weimarer Republik radikal drosselte und die Steuern erhöhte. So trug er zum allgemeinen Schrumpfen bei. Mehr und mehr Schuldner gingen bankrott, die Gläubiger mussten ihre Forderungen abschreiben, eine Pleitewelle rollte über das Land. Die Banken schnitten private Haushalte und Firmen vom Kredit ab. Von 1930 bis 1933 ging das Bruttoinlandsprodukt im Weimarer Deutschland um ein Drittel zurück.

Lesen Sie auf der nächsten Seite: Warum die Regierungen Inflation herbeisehnen.

Nach den Erfahrungen der 30er Jahre will heute jedermann eine neue Große Depression vermeiden. Deshalb wird Geld gedruckt, deshalb schnüren die Regierungen Konjunkturpakete. Sie haben keine Angst vor Inflation - im Gegenteil: Sie sehnen sie herbei, denn sie löst das Schuldenproblem der Unternehmen und der Staaten selbst. Eine hohe Teuerungsrate wertet die Schulden ab. Praktisch funktioniert das so: Der Staat drückt jedem, der sich mit Krediten übernommen hat, frisch gedrucktes Geld in die Hand. Damit kann er seine Schulden begleichen. Die Gläubiger haben dann die Taschen voller Geld - nur können sie damit nicht allzu viel kaufen: Denn einem zunächst gleichbleibenden Angebot an Waren und Dienstleistungen steht zu viel Geld gegenüber, die Preise steigen also in der Folge, es entsteht Inflation. Die Banken können auf diesem Weg ihre Bücher von Altlasten bereinigen und weitere Abschreibungen bleiben ihnen erspart.

Die Kunst der Notenbanken besteht nun darin, eine Hyperinflation zu verhindern und stattdessen über einen gewissen Zeitraum für erhöhte einstellige Inflationsraten zu sorgen, etwa um die fünf Prozent. Auf diese Art und Weise haben sich in der Vergangenheit politisch stabile Länder wie die USA und Großbritannien von ihren hohen Kriegsschulden befreit. Im instabilen Deutschland wurde die Währungsreform als Ausweg gewählt. Während die Reichsmark verschwand, gibt es britisches Pfund und US-Dollar noch - trotz Inflationspolitik.

Noch sind die Währungshüter nicht am Ziel, noch gibt es keine nennenswerte Teuerung. "Nur weil die Fed jetzt Geld druckt, gibt es keinen Inflationsdruck", sagt David F. Milleker, Chefvolkswirt von Union Investment. Bislang werde das Geld von Unternehmern und Sparern gehortet. Das frische Geld wird auf die hohe Kante gelegt, statt in der Wirtschaft zu zirkulieren. Zwar sei der Geldmantel großzügig geschneidert worden, doch die Volkswirtschaften müssten erst hineinwachsen in das übergroße Kleidungsstück, sagt Milleker. Erst wenn das Geld wieder in der Wirtschaft kreist, investiert und konsumiert wird, zieht die Konjunktur an. Erst im nächsten Boom wird die Inflation zur Gefahr - wenn die Zentralbanken die Zinssätze nicht ausreichend anziehen.

© SZ vom 20.03.2009/mel - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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