Geldpolitik der EZB:Spritzen, die süchtig machen

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Seit einem Jahr pumpen die Notenbanken Milliarden in das Geldgeschäft der Banken. Volkswirte sehen das kritisch.

Helga Einecke

Den 9. August 2007 wird der Präsident der Europäischen Zentralbank (EZB), Jean-Claude Trichet, wohl nie vergessen. Zwar versuchte er in der Bretagne in Frankreich Urlaub zu machen, blieb aber mit seinen Leuten im Frankfurter Eurotower im hektischen elektronischen Dauerkontakt.

Mit kräftigen Liquiditätsspritzen stabilisieren die Zentralbanken den Geldmarkt. (Foto: Foto: ddp)

Von einem Tag auf den anderen streikten die Banken, liehen sich gegenseitig kein Geld mehr. Die Notenbank sprang ein, stellte den Kreditinstituten für einen Tag die unvorstellbare Summe von 95 Milliarden Euro zur Verfügung und dann täglich weitere zweistellige Milliardenbeträge. Liquiditätshilfen nennen Finanzleute solche Aktionen, im Volksmund hat sich der Begriff "Geldspritzen" eingebürgert.

Inzwischen geht das schon ein Jahr lang so. Die Banken leihen sich weniger untereinander, sondern pumpen vor allem die Zentralbank an. Zu den eintägigen Geldgeschäften kamen mehrwöchige und mehrmonatige hinzu, zu den Euro-Geschäften gesellten sich die Dollar-Geschäfte.

Lob für Trichet

Seit Ende 2007 arbeiten außerdem die wichtigsten Notenbanken, also mehrere europäische und die amerikanische, im Schulterschluss, wenn es um die Geldversorgung der Banken geht.

Das rasche Handeln vor einem Jahr bescherte Trichet zunächst viel Lob. Angelsächsische Finanz-Fachblätter kürten ihn zur Person oder zum Politiker des Jahres . Auch die weniger beweglichen Zentralbank-Konkurrenten aus den USA und Großbritannien kamen um anerkennende Worte nicht herum, ja sie kopierten sogar einzelne Aktionen der Europäer.

Die Tatkraft einer anerkannten Autorität milderte die umsichgreifende Unsicherheit und Angst. Jürgen Michels, Volkswirt der Citigroup für Europa, glaubt, die EZB habe damals einige Banken gerettet. "Wir hätten sonst noch mehr Berichte über Bankenkrisen, als wir sie jetzt schon haben", sagt er.

Michels mag die Notenbank am Jahrestag ihrer Rettungsaktion aber nicht ohne Einschränkungen loben. Ja, die EZB habe Zeit gekauft, um die Finanzmarktturbulenzen zu bewältigen, von einer Lösung sei sie aber weit entfernt.

Beispielsweise hätte sie von Anfang an Banken, die noch über Geld verfügten, zum Horten ermuntert, weil diese sich günstiger bei der Notenbank refinanzieren konnten. Besser wäre es gewesen, die "guten Banken" zu bestrafen und ihnen weniger Geld zu geben. Technisch möglich sei das am Geldmarkt.

Forderung nach Zinssenkung

Schärfer geht Thomas Mayer, Europa-Fachmann der Deutschen Bank, mit der EZB ins Gericht. Von Anfang an habe sie die Finanzkrise auf eine Bankenkrise und Liquiditätskrise eingeengt. Dabei handele es sich um weit mehr, wie die Entwicklungen in den USA zeigten. Die Turbulenzen hätten nach und nach die Märkte für Geld, verbriefte Kredite, Aktien und normale Kredite erfasst und würden so mit zeitlicher Verzögerung die Konjunktur ersticken und in einen weltweiten Abschwung führen.

"Zusammen mit dem Ölpreisschock ist das einer der größten Schläge, die der Finanzsektor je abbekommen hat", diagnostiziert Mayer. Die EZB aber setze auf Zeit und glaube, die reale Wirtschaft in Europa werde diese Schocks schon verdauen. "Das scheint mir blauäugig", kritisiert der Ökonom. Die umfassende Finanzkrise erfordert seiner Ansicht nach eine Senkung der Leitzinsen in Europa, um den drohenden Abschwung abzufedern.

War nicht die zu großzügige Vergabe von Geld durch die Notenbanken an die Banken überhaupt der Auslöser der Krise? Dürfen die diesen Fehler denn derzeit wiederholen? Ulrich Kater, Volkswirt der Dekabank, sieht in der derzeitigen reichlichen Geldversorgung und der vor einigen Jahren einen großen Unterschied.

Damals sei der Preis des Geldes - also der Leitzins - zu niedrig gewesen. Vor zwei bis drei Jahren verlieh die Europäische Zentralbank ihr Geld noch zu zwei Prozent. Heute verlangt sie 4,25 Prozent.

Wie passt es dann zusammen, dass die Europäische Zentralbank einerseits viel Geld zur Verfügung stellt, andererseits vor kurzem die Zinsen erhöhte? Für Kater handelt es sich bei der zusätzlichen Geldversorgung um eine "Vorsichtskasse" für die Banken, die nicht in den weiteren Geldkreislauf gerät.

Übergreifen der Krise befürchtet

Er hält es für den wesentlichen Verdienst der Zentralbanken, den Finanzmarkt auf diese Weise überhaupt funktionsfähig gehalten zu haben. Im Laufe des letzten Jahres sei so "eine Art Grundvertrauen in das System" zurückgekehrt.

Dagegen signalisiere die Höhe der Leitzinsen die gewünschte Wirkung auf die reale Wirtschaft. Die Trennung zwischen Geldversorgung per Zins und zusätzlicher Kreditvergabe an die Banken hält Kater für richtig. "Das ist klug und pragmatisch", urteilt er. Dagegen nennt Michels diese Trennung einen "ziemlichen Spagat". Offenbar sei die Europäische Zentralbank felsenfest davon überzeugt, dass die Krise nicht so schnell auf die reale Wirtschaft übergreife.

Dabei teilen nicht einmal alle Notenbanken diesen Optimismus. Im Jahresbericht der Bank für Internationalen Zahlungsausgleich (BIZ), einer Art Notenbank der Notenbanken aus Basel in der Schweiz, ist davon die Rede, die Weltwirtschaft stehe an einem Wendepunkt, verursacht durch ein Wechselspiel zwischen Innovationen, laxen Kontrollen und über vielen Jahren zu lockeren monetären Bedingungen. "Wir müssen solchen kreditgetriebenen Übersteigerungen von vorneherein entgegenwirken", lautet eine Selbsterkenntnis für die Zukunft.

© SZ vom 09./10.08.2008/jpm/mel - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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