Gekündigte Lebensversicherungen:Verlorene Milliarden

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Jede zweite Lebensversicherung wird vorzeitig gekündigt - der Schaden für die Sparer ist gigantisch, rechnen Verbraucherschützer vor.

Thomas Öchsner

Hochgerechnet mehr als drei Milliarden Euro pro Jahr verlieren die Verbraucher in Deutschland, weil sie ihre Kapital- oder private Rentenversicherung vorzeitig kündigen. Das ergab eine Untersuchung der Verbraucherzentrale (VZ) Hamburg.

(Foto: Foto: ddp)

Die Verbraucherschützer nahmen 418 Verträge unter die Lupe und errechneten die Verluste, also die jeweilige Differenz zwischen der Summe der Einzahlungen und dem Betrag, den der Kunde zurückbekommt (im Fachjargon: Rückkaufswert).

Die Verträge hatten die Kunden überwiegend in den vergangenen zehn Jahren aufgelöst. Das Ergebnis: Im Durchschnitt liegt der Verlust bei 3362 Euro pro Vertrag. Am größten war das Minus bei einer Police des Versicherers Aspecta: Die Kundin hatte 152000 Euro eingezahlt. Nach der vorzeitigen Kündigung erhielt sie 101593 Euro zurück - also rund ein Drittel weniger.

Die VZ Hamburg macht nun folgende Hochrechnung auf: Mehr als jede zweite Lebensversicherung wird vorzeitig ausgelöst, häufig wegen Einkommenseinbußen durch Arbeitslosigkeit, Scheidung, Krankheit oder auch wegen des Kaufs einer Immobilie. Experten schätzen die Zahl der Kündigungen vor dem Laufzeitende auf eine Million Verträge jährlich.

Bei einem durchschnittlichen Verlust von 3362 Euro würde sich der Schaden damit auf rund 3,3 Milliarden Euro pro Jahr belaufen.

Die Verbraucherschützer raten deshalb, sich den Abschluss einer Kapitallebens-oder Rentenversicherung sehr gut zu überlegen und flexiblere Alternativen wie etwa Fonds-Sparpläne zu überprüfen.

Bei bereits gekündigten Verträgen sollten Verbraucher prüfen lassen, "ob der Rückkaufswert korrekt ausgezahlt, kein Stornoabschlag einbehalten und die jüngste Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs berücksichtigt wurde", sagt Finanzexpertin Edda Castelló von der VZ Hamburg. Dabei hilft die Verbraucherzentrale (www.vzhh.de).

Der BGH hatte im Oktober 2005 entschieden, dass Kunden, die zwischen Juli 1994 und Mitte 2001 eine Lebensversicherung oder eine private Rentenversicherung abgeschlossen und seither vorzeitig gekündigt haben, höhere Rückzahlungen beanspruchen können als bisher. Kürzlich entschied der BGH, dass diese Rechtsprechung "auch auf die fondsgebundene Lebensversicherung anzuwenden ist".

"Aussitzen und abwimmeln"

Insgesamt dürften von den Urteilen etwa sieben Millionen Verträge betroffen sein, schätzt die VZ. Castelló wirft den meisten Versicherern aber eine Mauertaktik vor: "Ein Großteil handelt nach der Strategie: aussitzen und abwimmeln." So wird der Anspruch auf Nachzahlung all jenen Kunden verweigert, die sich nicht von sich aus melden.

Ungeklärt ist derzeit, wann die Verjährungsfrist von fünf Jahren beginnt. Nach Auffassung der Versicherer hat die Verjährung in allen Fällen mit dem 1. Januar des Jahres begonnen, das auf die Beendigung einer Lebens- oder Rentenversicherung folgt. Die Verbraucherschützer glauben, dass die Fünf-Jahres-Frist erst mit Bekanntgabe der BGH-Urteile vom 12. Oktober 2005 begonnen hatte.

Solange dieser Streitpunkt nicht höchstrichterlich geklärt ist, rät der Hamburger Rechtsanwalt Joachim Bluhm, auf Nummer sicher zu gehen: Verbraucher, denen noch ein Nachschlag aus Verträgen zusteht, die sie 2002 vorzeitig gekündigt haben, sollten vor Ablauf des Jahres 2007 ihre Ansprüche geltend machen, um nicht in die Verjährungsfalle zu geraten.

Unterstützung erhielten die Verbraucherschützer inzwischen durch ein Urteil des Landgerichts München I. Demnach muss ein Unternehmen erläutern, wie es zu dem Rückkaufswert kommt. Die Versicherung muss dem Kunden genau vorrechnen, was sie bei Ermittlung des Wertes vor allem an Abschluss- und Stornokosten von seinen Beiträgen abgezogen hat (Aktenzeichen.: 31 S 8182/06).

© SZ vom 15.11.2007 - Rechte am Artikel können Sie hier erwerben.
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